EU-Wahl: Schafft es die FPÖ erstmals auf Platz eins, und wie wirkt ...

17 Tage vor

Als Testwahl wenige Monate vor der Nationalratswahl hat die EU-Wahl in Österreich besondere innenpolitische Brisanz. Die FPÖ führt da wie dort deutlich in den Umfragen, zwischen ÖVP und SPÖ wird ein Kopf-an-Kopf-Rennen um Platz zwei erwartet. Um 17 Uhr gibt es eine erste Trendprognose.

Wieder geht ein EU-Wahlkampf zu Ende, der sich nur mäßig um die Europäische Union drehte. Standen 2019 das „Ibiza-Video“ und seine Folgen im Mittelpunkt, war es diesmal das Verhältnis der grünen Spitzenkandidatin Lena Schilling zur Wahrheit. Wie sich die Affäre auf die Werte der Grünen auswirken wird, ist eine der spannenden Fragen des Wahlabends. Vor allem aber: Wie schlagen sich ÖVP, SPÖ und FPÖ wenige Monate vor der Nationalratswahl im ersten bundesweiten Urnengang nach den jeweiligen Wechseln an der Parteispitze? Schafft die FPÖ den Sprung vom Umfrage- zum realen Sieg? Wer all das mit Sicherheit wissen will, muss sich heute Abend lange gedulden. Doch dazu später mehr.

Wie ist die Ausgangslage?

Sieben Parteien haben die rund 6,4 Millionen Wahlberechtigten in Österreich zur Auswahl. Die ÖVP geht zum dritten Mal in Folge als Titelverteidigerin ins Rennen – die Umfragen geben ihr diesmal aber wenig Hoffnung auf Platz eins. Eher muss sie sich wohl mit der SPÖ um Platz zwei matchen. In den letzten veröffentlichten Umfragen lagen beide Parteien bei 22 bis 23 Prozent. Umfragesiegerin mit 26 bis 30 Prozent ist (genauso wie seit eineinhalb Jahren in der Sonntagsfrage zur Nationalratswahl) die FPÖ. Im Vergleich mit ihrem „Ibiza“-bedingten Debakel bei der letzten EU-Wahl 2019 mit 17,20 Prozent kann sie jedenfalls nur gewinnen.

Für die drei größten Parteien hat die Europawahl diesmal besondere bundespolitische Brisanz. Bei der FPÖ steht Herbert Kickl seit Juni 2021 an der Spitze, Karl Nehammer übernahm die ÖVP im Dezember desselben Jahres, Andreas Babler die SPÖ vor einem Jahr. Für alle drei ist es daher die erste bundesweite Wahl als Parteichef. Ein schlechtes Abschneiden am Wahlsonntag, wenige Monate vor der Nationalratswahl, könnte bei Sozialdemokratie wie Volkspartei eine Obmanndebatte hochkochen lassen (auch wenn sich die Frage nach dem Vorhandensein von Alternativ-Kandidaten stellt). Zumindest aber würde eine Wahlschlappe der Motivation für den kommenden Nationalratswahlkampf einen schweren Dämpfer verpassen.

Wie sich die Vorwürfe gegen Grünen-Spitzenkandidatin Lena Schilling auf das Ergebnis der Grünen auswirken werden, lässt sich noch nicht abschätzen. In den Umfragen verloren sie zuletzt (nur) leicht auf 9 bis 11 Prozent. Von einer grüner Schwäche profitieren könnten die Neos, denen zehn bis 15 Prozent prognostiziert werden.

 APA / Martin Hirsch

Neben den fünf bereits im Europaparlament vertretenen Parteien stehen auch die KPÖ und erstmals die Coronamaßnahmen-kritische Liste DNA (Demokratisch, Neutral, Authentisch) auf dem Stimmzettel. Die Kommunisten schnitten zuletzt bei Kommunalwahlen in Salzburg und Innsbruck überraschend gut ab und orten nun eine realistische Chance auf den Einzug ins EU-Parlament. Meinungsforscher sehen sie bei zwei bis vier Prozent; die DNA bei ein bis zwei Prozent.

Interessant wird am Wahlabend auch, wie das Interesse der Wähler ausfällt. Traditionell ist die Beteiligung an EU-Wahlen eher gering, 2019 gab es (erneut wohl „Ibiza“-bedingt) mit 59,77 Prozent aber eine deutliche Steigerung. Der bisher niedrigste Wert betrug 42,43 Prozent bei der Wahl 2003.

Worum ging es im Wahlkampf?

Die jüngste Spitzenkandidatin, Lena Schilling, dominierte die Wahlkampfwochen. Der Grund: Es wurden Chatnachrichten der früheren Klimaaktivistin publik, die nahelegten, dass sie es im Privaten mit der Wahrheit nicht immer genau nimmt. Zudem erweckten sie den Eindruck, die 23-Jährige wolle nach dem Urnengang zur Linksfraktion wechseln. Letzteres bezeichnete Schilling als „Bullshit“, ansonsten verwies sie weitgehend auf ihre Privatsphäre. Um ihre Verbundenheit mit den Grünen zu betonen, beantragte sie umgehend die Parteimitgliedschaft. Ob Schilling den Negativ-Schlagzeilen mit ihren Auftritten in TV-Diskussionen, in denen sie den Ausstieg aus fossiler Energie und eine „feministische EU“ propagierte, noch aufhalten kann, wird sich zeigen.

Harald Vilimsky, der für die FPÖ das dritte Mal ins Rennen um das EU-Parlament geht, sorgte ebenfalls für Schlagzeilen. Nicht nur, als er ein Interview mit dem ORF kurzerhand platzen ließ, weil er sich von dem Journalisten „pauschal als rechtsextrem gebrandmarkt“ fühlte. Auch das blaue Wahlplakat, das EU-Kommissionspräsidentin Ursula Von der Leyen und den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskij in intimer Pose zeigt und „Kriegstreiberei“ unterstellt, löste Unmut aus. Zuletzt musste sich der 57-Jährige für den Umgang der FPÖ mit der deutschen AfD rechtfertigen. Inhaltlich versuchte Vilimsky, sich als Verfechter der österreichischen Souveränität zu positionieren. Zudem warnte er davor, dass der Umstieg auf die Elektromobilität eine „Atomgefahr“ mit sich bringen würde: Denn der Energiebedarf wäre dann nur mehr über Atomkraft sicherzustellen.

Verteidigen musste sich, vor allem zu Wahlkampfbeginn, auch Reinhold Lopatka, war der ehemalige schwarze Generalsekretär, Klubobmann, Abgeordnete und Staatssekretär schließlich alles andere als die erste Wahl der ÖVP. Erst nach einigen Absagen entschied man sich für den 64-Jährigen. Dieser probierte seither, sich als „beste Wahl“ zu präsentieren und mit eher freiheitlich anmutenden Positionen zu punkten. So warb er für mehr Außengrenzschutz, weniger „Überregulierung“ durch die EU, mehr Rechte für die Nationalstaaten und die Beibehaltung der Verbrennertechnologie bei Pkws.

Andreas Schieder wollte eigentlich Bürgermeister von Wien werden, stattdessen führt der 54-Jährige nun aber zum zweiten Mal die SPÖ-Liste als Erster an. Ähnlich wie Lopatka warnte er in den vergangenen Wochen vehement vor Gefahren für die Demokratie aufgrund der „sozialen Spaltung unserer Gesellschaft“ sowie vor einem drohenden Rechtsruck. Insbesondere der „Freundschaftsvertrag“ zwischen den Freiheitlichen und der Partei von Russlands Präsidenten Wladimir Putin missfiel ihm. Ein wenig aufhorchen ließ Schieder mit dem roten Motto „Europa first, statt made in China“.

Helmut Brandstätter ist mit 69 Jahren der älteste der Spitzenkandidaten, absolvierte aber dennoch seinen ersten Wahlkampf. Der ehemalige „Kurier“-Chefredakteur lieferte dabei keinen Eklat, mühte sich aber, von der Causa Schilling zu profitieren, indem er sich und Anna Stürgkh, die Listenzweite der Neos, als vernünftige und glaubwürdige Alternative in Klimafragen zu positionieren versuchte. Von der Konkurrenz abzuheben versuchten sich die Pinken auch dadurch, dass sie am vehementesten für eine Stärkung der EU und der Einführung einer Unionsarmee eintraten, um ihre Vision von „Vereinigten Staaten von Europa“ greifbarer zu machen.

Wie läuft der Wahlabend ab?

Es wird ein langer Abend: Die heimischen Wahllokale schließen zwar wie gewohnt um 17 Uhr, Ergebnisse dürfen aber erst nach dem europaweiten Finale um 23 Uhr veröffentlicht werden. Die Institute Foresight, ARGE Wahlen und Peter Hajek erstellen für 17 Uhr aber eine gemeinsame Trendprognose (im Prinzip eine Umfrage), die voraussichtlich eine Schwankungsbreite von 2,5 Prozent haben wird. Für 19 Uhr ist eine aktualisierte Prognose geplant. Nach 23 Uhr werden die veröffentlichten Ergebnisse dann um eine Hochrechnung der noch nicht ausgezählten Briefwahlstimmen ergänzt.

Die „Presse“ wird Sie ab 15 Uhr mit einem Liveticker durch den Wahlabend begleiten.

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