Insekten in Lebensmitteln jetzt in der EU zugelassen

20 Jan 2023

Solvejg Hoffmann

Auf dem deutschen Lebensmittelmarkt sind essbare Insekten im Landeanflug. Die Europäische Union erlaubt ab dem 24. Januar dieses Jahres EU-weit das Beimischen von Grillenpulver in Lebensmitteln, auch in Fleischersatzprodukten. Was Verbraucherinnen und Verbraucher nun wissen müssen

Während sie in vielen Ländern schon Alltag sind, verursacht die Vorstellung essbarer Insekten bei den meisten Deutschen noch immer mehr Ekel als Genuss. Dabei enthalten Insekten jede Menge Protein, sind reich an Omega 3- und 6-Fettsäuren, Spurenelementen und Mineralstoffen wie Magnesium und Phosphor. Einige Heuschrecken enthalten zum Beispiel mehr als doppelt so viel Eiweiß wie Rinder- oder Hühnerfleisch. Als Proteinlieferanten übertreffen Insekten sogar Nüsse, Hülsenfrüchte und Getreide.

Und sie punkten mit einer weit umweltfreundlicheren Produktion als Fleisch herkömmlicher Nutztiere: Insekten brauchen weniger Platz und verursachen weniger Treibhausgas-Emissionen. Trotzdem: Gemahlene Mehlwürmer möchte kaum jemand gern auf dem Teller haben.

Insekten werden in verschiedener Form bereits in Deutschland, wenn auch auf einem sehr kleinen Absatzmarkt, angeboten. Es gibt sie ganz als "Insekten-Snack", zum Beispiel als gewürzte Heuschrecken oder als mit Schokolade ummantelte Mehlwürmer, oder auch im Kühlregal mancher Geschäfte als spezielle Insektenburger. Hier werden Insekten als Zutat allerdings explizit auf der Verpackung ausgelobt und offen als Verkaufsargument genutzt.

Aus einer neuen EU-Verordnung geht nun hervor, dass laut der erweiterten Lebensmittelverordnung neben Mehlwürmern und Heuschrecken ab dem 24. Januar 2023 auch Grillen EU-weit in sehr vielen Lebensmitteln zu einem gewissen Prozentsatz mitverarbeitet werden dürfen.

Insektenpulver auch in Fleischanalogen

Die Änderung basiert auf einem Antrag des vietnamesischen Unternehmens Cricket One Co. Ltd aus dem Jahr 2019 bei der EU-Kommission, teilweise entfettetes Pulver aus Acheta domesticus (Hausgrille) als neuartiges Lebensmittel in der EU zuzulassen. Diese Zulassung gilt laut "EU Verordnung 2023/5" zunächst nur für das antragsstellende vietnamesische Unternehmen, das die Grillen nun fünf Jahre lang alleine verkaufen darf. Danach dürfen auch andere Wettbewerber bei der Vermarktung der Grille mitmischen.

Der Antrag betrifft die Verwendung des Insektenpulvers in einer Vielzahl von Lebensmitteln, darunter Back- und Teigwaren, Bier, Saucen, Kartoffelerzeugnisse, Pizza, Snacks wie Chips und Cracker, Nudeln, Kekse – und Fleischanaloge, also Fleischersatzprodukte. Die Menge ist dabei begrenzt, so darf etwa ein Fleischersatzprodukt zu fünf Prozent aus Insektenpulver bestehen.

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Zukünftig dürfen also auch in Fleischanalogen pulverisierte und gemahlene Grillen beigemengt werden. Jedoch ist sich Armin Valet von der Verbraucherzentrale Hamburg sicher: Solche Produkte dürfen dann nicht mehr als "vegan" gekennzeichnet werden, da sie damit natürlich tierische Inhaltsstoffe enthalten.

Insektenbestandteile finden sich im Inhaltsverzeichnis

Doch auch bei anderen Produkten sollten Verbraucherinnen und Verbraucher genau auf die Zutatenliste schauen. Denn optisch werden sich die Nahrungsmittel nicht von herkömmlichen Produkten unterscheiden lassen. Sie müssen nicht auffällig gekennzeichnet sein oder einen Hinweis im Produktnamen tragen. Ob ein Produkt Insektenbestandteile enthält, erfahren Verbraucherinnen und Verbraucher lediglich beim Lesen des Zutatenverzeichnisses. Eine solche Bezeichnung im Zutatenverzeichnis könnte zum Beispiel lauten "getrocknete Larven/Pulver aus Larven von Acheta domesticus (Hausgrille)".

Das könnte Gefahren für Menschen bergen, die auf Krustentiere allergisch reagieren. "Insekten können potentielle Allergene beinhalten. Man weiß zum Beispiel bereits aus Untersuchungen, dass Menschen, die auf Krustentiere allergisch reagieren, auch nach dem Verzehr von Lebensmitteln mit Insektenpulver allergische Reaktionen zeigen können", erklärt Armin Valet von der Verbraucherzentrale Hamburg. Derzeit sei eine entsprechende Allergenkennzeichnung für Produkte mit Insekten in der EU aber nicht verpflichtend.

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Valet kritisiert: "In der neuen EU-Verordnung ist die Allergenkennzeichnung nicht klar und deutlich verlangt. Wir sind jedoch der Meinung, dass der Zusatz von Insektenpulver groß und deutlich auf dem Produkt erkennbar sein muss. Alles andere wäre eine Verbrauchertäuschung." Werde also künftig bei einer Pizza beispielsweise Insektenpulver beigemischt, so müsste das auch groß auf der Verpackung stehen, zum Beispiel "Pizza Margherita mit Insektenmehl". Solche Überlegungen seien aber derzeit noch Zukunftsmusik.

Insekten gelten als "neuartige Lebensmittel"

Laut der Weltgesundheitsorganisation sind mehr als 2.100 Insektenarten für den Menschen essbar und sie spielen eine immer wichtigere Rolle, um den Eiweißbedarf der Weltbevölkerung zu decken. Weltweit essen laut Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) derzeit rund zwei Milliarden Menschen regelmäßig Insekten. In der EU gelten Insekten hingegen als so genanntes "Novel Food" (neuartige Lebensmittel).

Als Novel Food gelten demnach Produkte, die vor dem Inkrafttreten der ersten Novel-Food-Verordnung 1997 in der EU nicht in nennenswertem Umfang verzehrt wurden. Solche Nahrungsbestandteile müssen gemäß der Novel-Food Verordnung, die im Januar 2018 in Kraft trat, jeweils in einem gesonderten Verfahren für den europäischen Lebensmittelmarkt zugelassen werden. In der Europäischen Union sind seit 2021 zwei Insekten bereits als Nahrungsmittel zugelassen: der Mehlwurm und die Europäische Wanderheuschrecke.

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Die Bedingungen für den Verkauf solcher Speiseinsekten werden dabei genau definiert. So darf der gelbe Mehlwurm beispielsweise nur getrocknet als Ganzes oder in pulverisierter Form verkauft werden. In verarbeiteten Produkten ist der Höchstgehalt streng geregelt. Kekse dürfen beispielsweise je 100 Gramm maximal zehn Gramm Mehlwurm-Mehl enthalten. Die neu zugelassene Hausgrille reiht sich damit als neuartiges Lebensmittel ein.

Derartige Entwicklungen in der Lebensmittelbranche sind nicht neu. Seit Jahren wird weltweit geforscht, welche Möglichkeiten es gibt, die Ernährung der Weltbevölkerung zu sichern. Dabei wird der Fokus auch auf die Ernährung durch Insekten gelegt. So gibt es mittlerweile bereits in einigen europäischen Ländern Insektenfarmen, zum Beispiel in den Niederlanden, Spanien, aber auch in Deutschland. Der Großteil der Hersteller aus Europa importiert allerdings aus Regionen wie Südostasien oder Kanada.

Ob Insekten sich zum massentauglichen Ersatz zu Fleisch und sogar Fisch entwickeln könnten, wird die Zukunft zeigen. Doch gerade bei der jungen Generation gibt es ein Umdenken, in den vergangenen Jahren ist dort eine steigende Akzeptanz für Insektennahrung zu beobachten.

#Themen Gesunde Ernährung Ernährung Forschung Insekten Mehl
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