Niederlande gegen England: Das gute Omen

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Stand: 09.07.2024, 13:20 Uhr

Von: Frank Hellmann

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Nach dem erfolgreichen Viertelfinale gegen die Türkei steht für Memphis Depay und seine Teamkollegen in orange als nächstes das Halbfinale gegen England auf dem Plan.

Nach dem erfolgreichen Viertelfinale gegen die Türkei steht für Memphis Depay und seine Teamkollegen in orange als nächstes das Halbfinale gegen England auf dem Plan. © Imago/Andre Weening

Mit massiver Unterstützung wollen die Holländer im Halbfinale ihre besondere Fußballgeschichte auf deutschem Boden fortschreiben.

Niederländische Städte wie Arnheim, Enschede oder Maastricht sind es längst gewohnt, dass am Wochenende oft die Deutschen über die Grenze kommen. Schöne Innenstädte, charmante Wochenmärkte und am Sonntag geöffnete Geschäfte üben insbesondere für Menschen im Ruhrgebiet großen Reiz aus. Nun rollt allerdings die Reisewelle in die andere Richtung. Ins Luftlinie von der Grenze nur 143 Kilometer entfernte Dortmund, wo zum EM-Halbfinale zwischen Niederlande und England (Mittwoch 21 Uhr/ ARD und Magenta TV) vonseiten der Polizei inzwischen mit 80 000 holländischen Fußballfans gerechnet wird.

Viele haben noch Tickets ergattert, die insbesondere deutsche und türkischstämmige Inhaber die vergangenen Tage über angeboten haben. Der „Oranje“-Fanwalk über die Ruhrallee zur Heimstätte von Borussia Dortmund könnte einer der stimmungsvollsten des Turniers werden – und solche Bilder dringen natürlich auch zu den Protagonisten vor.

„Wir wissen auch, was zu Hause passiert, wir sehen die Videos. Es ist schön zu sehen, dass Fußball ein ganzes Land zusammenbringen kann“, sagt Abwehrspieler Stefan de Vrij. Außer dem Triumph ihrer Frauen bei der Heim-EM 2017 hatte die Heimat diesbezüglich zuletzt fast nichts zu feiern, die Männer fehlten sogar ganz bei der EM 2016 und WM 2018. Aber nun flammt die Liebe endlich wieder auf.

Was insofern erstaunlich ist, weil der „Elftal“ die großen Namen von früher fehlen. Beim bislang letzten EM-Halbfinale 2004 scheiterten Stars wie Edwin van der Sar, Edgar Davids, Clarence Seedorf, Arjen Robben oder Ruud van Nistelrooy am Gastgeber Portugal. Nun können Bart Verbruggen, Jerdy Schouten, Xavi Simons, Memphis Depay und Cody Gakpo sogar mehr erreichen. Weniger schillernd, aber erfolgreicher? Individuell nicht mehr so herausragend, aber schlagkräftiger als Kollektiv?

Darin steckt die Chance der aktuellen Generation, aus der einige Stützen in der Premier League beschäftigt sind. Insbesondere auf die Abwehrrecken Virgil van Dijk (FC Liverpool) und Nathan Aké (Manchester City) könnte es gegen die „Three Lions“ ankommen. Die England-Expertise im niederländischen Kader kann auf jeden Fall nicht schaden. Und sollte es mit dem Finale klappen, dann würde unweigerlich die historische Klammer noch weiter gespannt.

Bis zur EM 1988 in Deutschland, als ein Ensemble um die weltweit verehrten Koryphäen Frank Rijkaard, Ruud Gullit und Marco van Basten sich als spielstärkste Mannschaft mit dem bislang einzigen Titel belohnte, und die Nation nebenbei in München ein bisschen vom Trauma des WM-Finals 1974 befreite. Natürlich wird im Land der Grachten und Windmühlen erwähnt, ob Turniere in Deutschland einfach ein gutes Omen sind. Es wäre ja das dritte Mal, dass die Niederlande hier ein Endspiel bestreiten würde. Nur 2006 war das Nachbarland – Achtelfinalaus gegen Portugal in Nürnberg – kein gutes Omen.

Insbesondere Bondscoach Ronald Koeman, beim Triumph 1988 ein durchaus eigenwilliger Abwehrchef, findet die Vergleiche mit der Vergangenheit weniger hilfreich. Aber zufrieden wirkte der 61-Jährige zuletzt schon. Im Februar 2018 heuerte er das erste Mal als Retter für den Königlichen Niederländischen Fußball-Bund (KNVB) an, brachte einiges auf den richtigen Weg. Erlag dann aber 2020 den Lockrufen des FC Barcelona. Dort war nach nur 15 Monaten in einer schwierigen Phase wieder Schluss.

Im Januar 2023 beerbte Koeman die Trainer-Legende Louis van Gaal, der zuvor bei der WM in Katar in einem hochemotionalen Viertelfinale erst am späteren Weltmeister Argentinien gescheitert war. Im Vergleich zu seinem charismatischen Vorgänger gibt sich der pragmatische Nachfolger fast schon demütig.

Koemans beschwor zuletzt in Berlin das Mantra, ja nur eine kleine Nation zu sein, die stolz sein könne, mit den Großen aus Spanien, Frankreich und England mitzuspielen. Sein einstiger Lehrmeister Rinus Michels hatte die Niederlande gerne als kickende Weltmacht betrachtet. Dabei hat die Nation ungefähr genauso viele Einwohner:innen (17,7 Millionen) wie Nordrhein-Westfalen.

Bei dieser EM so weit zu kommen, war insbesondere nach einer blassen Gruppenphase – mit dem Tiefpunkt einer ohne viel Gegenwehr erduldeten Niederlage gegen Österreich (2:3) – nicht unbedingt zu erwarten. Aber die spielerische Befreiung gegen Rumänien (3:0) und der kämpferische Akt gegen die Türkei (2:1) berechtigen zur Hoffnung, dass „Oranje“ sich das Beste für die Schlusswoche aufgehoben hat. Im Endspielstadion tanzte vergangenen Samstag bereits die ganze Kurve „naar links, naar rechts“. Kreative Kicker, wie der mit Leidensmiene tricksende Simons, der in jeder Hinsicht unberechenbare Depay und der geschmeidige Stürmer Gakpo erfüllen alle Voraussetzungen für jenen Spaßfußball, den die stets gut gelaunten Anhänger:innen sehen wollen, wenn sie in ihren einfarbigen Verkleidungen ihre einmaligen Partylieder singen.

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