Abschiedsgruß an Elton John vor seinen Auftritten in Köln
Manche sagen: Er ist zwar unheimlich populär, klar, aber kein ganz Großer. Und weil sich der 76-Jährige nun von der Bühne verabschiedet, ist das die ideale Gelegenheit zu entgegnen: Doch, ist er.
12.05.2023, 05:26 Uhr
Elton John 2019 auf einem Konzert in Perth/Australien.
Foto: imago images/AAP/TONY MCDONOUGH/imagoKurz mal in die Zeitmaschine steigen, den 25. August 1970 einstellen und ins „Troubadour“ nach Los Angeles düsen. Dort trat damals ein junger Kerl auf, 23 Jahre alt, er nannte sich Elton John, und wenn man der anwesenden Linda Ronstadt glauben darf, explodierte der Ort, als der Brite auf die Bühne kam: „Er war so dynamisch und charismatisch und so gut.“ Er habe alle Höllenhunde aus seinem Piano befreit und sich beim Singen den – nee, sorry, das muss man jetzt im Original zitieren: „He sang his ass off.“ Fünf Jahre später war dieser Elton John zu einem der populärsten Stars der 70er-Jahre gereift, auf die Umsätze gerechnet wahrscheinlich zum erfolgreichsten. Zu Spitzenzeiten veröffentlichte er zwei Nummer-eins-Alben pro Jahr und war für zwei Prozent der weltweiten Plattenverkäufe verantwortlich. Von Randy Newman, der den legendären Abend im „Troubadour“ ebenfalls erlebt hat, ist dieser Satz überliefert: „Elton John hat schon mehrere Platten aufgenommen, während ich mir noch die Zähne putze.“
Obwohl viele Menschen bis heute in ihren Herzkammern am liebsten zu Songs von Elton John seufzen, rechnen manche ihn doch nicht zu den Großen seiner Generation. Mick und Keith, Joni, Paul und Bob spielten dann ja doch noch in einer anderen Liga, heißt es manchmal, und wer das behauptet, dem ist eigentlich auch nicht mehr zu helfen. Eine der neueren Singles von Sir Elton heißt übrigens „Cold Heart“, er hat sie mit Dua Lipa und Pnau produziert, und mit 1,5 Milliarden Streams allein bei Spotify ist das sein größter Hit seit 25 Jahren. Also seit die Lady Di gewidmete Neuauflage von „Candle in the Wind“ zur meistverkauften Single der Welt wurde.
Was jedoch stimmt: Elton John war anders. Ist er immer noch. Als die Kollegen in schwarzen Lederhosen auftraten, die man ihnen nach der Show vom Leib schälen musste, trug er beim Konzert im Central Park ein Donald-Duck-Kostüm. Während andere mit dem Mikroständer so Sachen machten, probte er Kopfstand am Piano. Er mochte seine Kleinstadt-Herkunft, der die Rebellen der Sixties zu entkommen versuchten. Er war schüchtern und flamboyant zugleich, ein zurückhaltender Feuerball. Es wurde mit ihm nie langweilig, er bot die große Show: Für den Film „Rocketman“ mussten sie bloß ein Best-of dieser Biografie auffächern. „Es ist wichtig, zwei Diademe zu haben, wenn Sie unterwegs sind. Sie wissen nie, wann Sie zu etwas wirklich Formellem eingeladen werden“, hat er mal gesagt.
Elton John ist auf Abschiedstournee, das Farewell läuft bereits seit fünf Jahren, aber das ist nun endgültig das Finale. Er wird drei Mal in der Arena in Köln auftreten, und wer eine Karte hat, darf sich glücklich schätzen, denn Elton John gibt keine schlechten Konzerte. Spätestens, wenn er etwas von „Yellow Brick Road“ spielt, hat er sein Publikum in der Hand: „Hey kids, shake it loose together.“
Diese Platte aus dem Jahr 1973 gilt gemeinhin als sein Meisterwerk, bei manchen als sein einziges Album von Klassikerformat. Er wollte sein siebtes Album ursprünglich auf Jamaika aufnehmen, wo die Stones gerade „Goats Head Soup“ produziert hatten. Er landete am Tag nach dem Boxkampf Foreman gegen Frazier und erlebte eine Insel im Chaos. Als er dann noch sah, dass das Studio nur ein Mikrofon hatte, floh er samt Band ins Château d’Hérouville bei Paris. Es heißt, dort gehe der Geist von Frederic Chopin um, und falls dem so sein sollte, inspirierte er Elton John sehr. In 15 Tagen wurden die Songs eingespielt. Das Album schäumt über vor Adrenalin: Progrock und Glam stehen neben Balladen und Soul- und Gospel-Zitaten. Elton John kann alles.
Er hatte eine Strähne damals, Hit an Hit, Albumgold in Reihe, aber 1976 war plötzlich Schluss. Damals erschien „Blue Moves“, es war die erste Platte, die auf seinem eigenen Label The Rocket Record Company herauskam, und weil Elton John der Meister des Too Much ist, wollte er natürlich nicht bloß eine einfache LP zur Premiere, sondern ein Doppelalbum. Diese Platte wurde als prätentiös und aufgeblasen geschmäht. Elton John hat das gekränkt, er verweist heute noch regelmäßig darauf, wie gut er das Werk findet, auf dem man immerhin die Single „Sorry Seems To Be the Hardest Word“ findet. „Great Record“, schreibt er in seiner Autobiografie, die er sehr lakonisch, aber präzise „Ich“ betitelt hat. Und, ehrlich gesagt: Er hat recht. Große Platte.
Elton John verzichtete damals auf eine Tournee, um die Platte zu promoten. Sein Songwriting-Partner Bernie Taupin hatte eine schwere Trennung zu verknusen, Amerika munkelte über Elton Johns angebliche Bisexualität, und in England brach der Punk aus. Keine guten Bedingungen also für „Blue Moves“. Zu den Ersten, die dafür sorgten, diesem Werk endlich den Rang zukommen zu lassen, der ihm zusteht, gehörte George Michael. Er schwärmte oft davon und coverte zwei Titel daraus. Und wer dem musikalischen Genie Elton Johns nachspüren möchte, sollte „Blue Moves“ auflegen, man findet die LP auf jedem Flohmarkt für ein paar Euro. Über mehr als vier Minuten hinweg hört man erst mal nur Instrumental-Musik, es ist ein epischer Anfang, und dann eröffnet Elton John ein Showcase seiner Talente. Hört „One Horse Town“! Hört „Crazy Water“! Rehabilitiert „Blue Moves“!
„Abgesehen von der Faulheit habe ich mich jeder der sieben Todsünden schuldig gemacht“, sagt Elton John. Durch weite Teile der 80er-Jahre sei er getaumelt, man hört das an fürchterlichen Liedern wie „Nikita“, die er nicht mehr spielt, obwohl das Stück damals Platz eins in Deutschland erreichte. Als Folge des Drogenkonsums musste er am Kehlkopf operiert werden und verlor dabei das Falsett. Er lernte, neu zu singen, bekämpfte seine Abhängigkeit und schrieb 1983 das Lied, das so viele Jahre später noch immer einen Nerv trifft und inzwischen nach „Cold Heart“ sein am zweithäufigsten gestreamtes bei Spotify ist: „I’m Still Standing“.
Elton John ist der einzige Rockstar, der am Ende seiner Karriere mehr Haare auf dem Kopf hat als zu Beginn. Nun geht er, seine rosarote Brille wird fehlen, der Glam, der Trash, die Herzlichkeit. Er will in die Arktis reisen, Zeit mit seinen Kindern verbringen.
„Ich möchte normal sein“, hat er gesagt. Und weil er natürlich ahnte, dass ihm das niemand abnehmen würde, schob er hinterher: „Oder zumindest so normal, wie mir das möglich ist.“