Auf ihrem dritten Album „Radical Optimism“ lässt der Weltstar Dua Lipa Kontroversen hinter sich. Und glänzt mit tanzbaren Clubhymnen: glatt, aber sinnlich.
„Radical Optimism“: Ein genialer Titel in Zeiten, in denen Kriege, Autokratie und Fake News plagen. Mit 28 Jahren ist Dua Lipa, die in London geborene Tochter eines kosovoalbanischen Paars, in der idealen Phase für eine Unbeschwertheit, die dem Hässlichen auf dieser Welt trotzt. Seit ihrem famosen zweiten Album, „Future Nostalgia“, das 2020 mit delikatem Disco-Funk-Ansatz bis tief in die Pandemie hinein positiv wirkte, hat Dua Lipa vieles in ihrem Leben verändert. Sie trennte sich von ihrem langjährigen Produzententeam. Und von ihrem Langzeitfreund, dem Model Anwar Hadid, Bruder der ebenfalls Laufsteg-bewanderten Geschwister Bella und Gigi Hadid.
Schon 2021, lang vor dem Ausbruch des Kriegs in Gaza, taten diese sich mit schwer antisemitischen Ausritten hervor. Auch Anwar fiel mit martialischen Meldungen auf: Er wünsche sich, dass „die israelischen Soldaten vom Planeten wegradiert“ würden. Als Rabbi Shmuley Boteach mit einer ganzseitigen Anzeige in der „New York Times“ Anklage gegen den Antisemitismus der Hadids erhob, geriet auch Dua Lipa ins Fadenkreuz. Die Anschuldigungen zu parieren kostete sie viel Energie. In erster Linie fühle sie mit Menschen mit, die vom Krieg vertrieben werden, sagt sie heute. Das ist ihrer Biografie geschuldet: Ihre Eltern gingen nach Ende des Kriegs im Kosovo zurück nach Prishtina, wo Dua Lipa zur Schule ging, ehe sie als Teenager allein zurück nach London durfte. Ihr tue es um jedes verlorene Leben leid, sagte sie jüngst zu den aktuellen Ereignissen in Israel und im Gazastreifen.
Alleingang auf der TanzflächeDem Schrecken zum Trotz ruft sie nun zum „radikalen Optimismus“ auf. Und versucht im munter blubbernden Dancefloorfüller „Training Session“ eine soziale Bestandsaufnahme im Angesicht eines potenziellen Lovers: „Are you someone that I can give my heart to? Or just the poison that I’m drawn to?“ Oder: „Play fair, is that a compass in your nature? Or are you tricky?“
Fragen über Fragen. Irgendwann ist es zu viel an Konversation: Der Protagonistin schwindelt, sie singt, dass das Training vorbei und es an der Zeit sei, verantwortlich zu handeln. Und sei es dadurch, allein auf die Tanzfläche zu rasen, um mittels kinetischer Energie ein Statement zu setzen. Privat praktiziert sie das am liebsten ganz allein, das kollektive Tanzen liegt ihr weniger. Ist das Parkett dann voll, steht sie längst wieder an der Bar und flirtet. Das Leben hat noch viel vor mit ihr. Das weiß sie. Und das hört man ihren elf neuen Liedern auch an.
Die angebliche Inspiration durch britische Rave-Kultur hingegen weniger. Auch nicht den Brit-Pop, auf den Dua Lipa sich beruft. Ihre sogenannte psychedelische Hommage ist so sublim, dass sie unmerklich ist. Vielmehr wirkt das Gros der neuen Songs wie die logische Fortsetzung von „Future Nostalgia“: solide schnalzender Disco-House, homöopathisch gewürzt mit hässlichen Geräuschen. Insgesamt tönt das Opus recht glatt. Böser gesagt: „Radical Optimism“ ist durch und durch radiofreundlich. Angepasst klingt auch Dua Lipas erklärte Botschaft: „Ich möchte die Essenz der Jugend und der Freiheit einfangen und Spaß haben und die Dinge einfach geschehen lassen, egal ob sie gut oder schlecht sind.“
Wenn der Popstar rapptAls Songwriting-Partner holte sich Dua Lipa vier unterschiedliche Charaktere ins Studio: ihre bewährte Co-Autorin Caroline Ailin, Kevin Parker von Tame Impala, den Electronica-Tüftler Danny L. Harle und Folk-Popper Tobias Jesso Jr. – wobei sich die Wunderkräfte des Quartetts aufzuheben scheinen. Verlässlich mündet alles in schnellende Rhythmen, toll gestylte Arrangements und grandiose Melodien. Mit dem bereits im November veröffentlichten „Houdini“ konnte die Sängerin einen Welthit lancieren. Dabei dauerte es, bis ihr der Song gefiel, immer wieder hat sie ihn umformuliert und an Details getüftelt.
Nach wie vor bezaubernd sind Dua Lipas stimmliche Ticks, z. B. ihr delikates Falsett in „These Walls“. Ins Dunkel eines Clubs führt das pumpende „French Exit“, einer ihrer bevorzugten Orte, um zu verschwinden. Vor Tagesanbruch will sie wieder zu Hause im Bettchen liegen. Das sei ihr gegönnt. Zumal „Radical Optimism“ auch eine (winzige) Überraschung birgt: Im Opener „End of Era“ rappt die junge Frau erstmals. Und enthüllt den Grund ihres Optimismus: ein intensiver Kuss. Schön, wie sie hier „come with me“ haucht. Ist das die Radikalität, die sie meint?