40 Gesten pro Minute: Keiner spricht raffinierter mit den Händen als ...

2 Stunden vor

Er hebt seine Arme wie Jesus und zeigt mit dem Finger auf andere: Donald Trump fesselt seine Anhänger – auch dank seiner einzigartigen Gestik.

Donald Trump - Figure 1
Foto NZZ am Sonntag

Aufgepasst: Der erhobene Finger ist nur eine von vielen Gesten, mit denen Trump seine Botschaften verstärkt.

Piroschka Van De Wouw / Reuters

Es war ein weiterer Faust-Moment, als Donald Trump neulich in das Nassau Veterans Memorial Coliseum von Long Island einmarschierte. Einer von unzähligen, in denen er quasi sein Innerstes nach aussen kehrte. Unvergessen bleibt, wie er in Pennsylvania die Faust in den Himmel ballte, obwohl eben auf ihn geschossen worden war – oder gerade deshalb.

Auch in Long Island schritt er mit geballter Faust dem Podium entgegen, wie er es an Wahlveranstaltungen immer tut, als würde er sich selbst anfeuern, go Donald, go. Und als er dann zu reden begann, ging es mit dem Gestikulieren erst richtig los – alles in allem ein Spektakel für sich.

Donald Trumps Reden gelten auch deshalb als legendär, weil er mit den Händen spricht beziehungsweise mit vollem Körpereinsatz. «Sein Stil ist einzigartig. Und das ist kein Zufall», sagt der britische Psychologe Geoff Beattie, der Standardwerke wie «The Psychologie of Language and Communication» verfasst hat.

Immer wieder streckt er die Hände zur Seite wie Jesus. Es ist eine seiner ikonischen Gesten, die man als «Verkünder» bezeichnen kann. Laut Beattie vermittelt er damit Wahrhaftigkeit und Entschlossenheit. «Hier stehe ich, hier bin ich, komme, was wolle.» Und wenn er dazu noch mit den Schultern zuckt, scheint er zu sagen: «Wer würde denn nicht mich wählen, ist doch alles klar.»

Halleluja: Wenn nicht ich das Heil verkünde, wer dann?

Paul Sancya / AP

Schon Donald Trumps Präsidentschaft hat nicht mit einem Wort, sondern mit einer Geste begonnen. Unmittelbar nach der Inauguration richtete er sich mit einem typisch amerikanischen «Thumbs-up» an das Volk: Daumen hoch, alles gut hier. Danach folgten während seiner 17-minütigen Rede 640 weitere Handzeichen, wie «Science of People» in einer Studie herausgefunden hat. Das sind rund vierzig Gesten pro Minute, was selbst für amerikanische Politiker einzigartig ist.

Politik als Theater

Im Gegensatz zu den Europäern verstehen sie politische Auftritte auch als Theater. Dabei gilt Körpersprache als wichtiges Instrument, um Botschaften zu betonen oder auf einer unbewussten Ebene zu vermitteln. Gemäss dem Psychologen Beattie hat Trump diese «Kunstform» perfektioniert, seit er 2004 in seiner Reality-Show «The Apprentice» aufgetreten ist. Da habe er ganz genau studieren können, wie er beim Publikum ankomme, und davon gelernt, sagt Beattie. So ist er quasi dank Show-Business-Expertise zum mächtigsten Mann der Welt geworden.

Der Psychologe unterscheidet verschiedene Typen von Gesten. Da sind zum Beispiel «Embleme», die eine feste Bedeutung haben, wie etwa Winston Churchills V für Victory. Dann gibt es Bewegungen, mit denen Redner ihren Sprachfluss rhythmisch begleiten. Was Trump auf der politischen Bühne einzigartig macht, ist sein Gebrauch «ikonischer Gesten».

Das sind Signale, mit denen Menschen ihre Worte körperlich ausdrücken – und zwar unbewusst. Ehrliche Redner können damit Botschaften verstärken und glaubwürdiger wirken lassen, während Lügner eher entlarvt werden, sofern ihre Gesten nicht mit den Worten übereinstimmen.

Die Kunst von Donald Trump besteht nun darin, diesen Effekt umzudrehen beziehungsweise für seine Zwecke zu nutzen. Beattie sagt: «Er versteht es wie kein anderer, ikonische Gesten bewusst mit Botschaften zu verbinden.» Unabhängig davon, ob er die Wahrheit sagt oder lügt. Indem er seine Aussagen mit gezielten Gesten untermalt, wirken sie in jedem Fall authentisch und er selbst ehrlich, auch wenn er unehrlich ist.

Alles o. k.: So signalisieren auch Taucher, alles im Griff zu haben.

Paul Sancya / AP

Womit wir wieder bei den Momenten wären, in denen Trump die Arme hebt, um dem Publikum die offenen Handfläche entgegenzustrecken. Man kann diese Geste als «Warner» bezeichnen, weil er sie oft dann einsetzt, wenn er von angeblich kriminellen und geisteskranken Migranten spricht, die neuerdings auch noch Haustiere von braven Bürgern essen sollen. Doch keine Bange: Auf den «Warner» folgte stets der «Problemlöser», indem er Daumen und Zeigefinger zu einem Kreis formt und damit andeutet, hey, alles im Griff, ich habe das Problem erkannt und bin der Einzige, der es lösen kann.

Perfekte Show

Für Geoff Beattie ist diese Fingerkunst die Erklärung dafür, warum Trump immer noch über eine so treue Anhängerschaft verfügt und an Wahlveranstaltungen gefeiert wird wie ein Superstar. Auch dank seiner auffälligsten Geste, dem «Zeiger». Es mag zwar als unhöflich oder aggressiv gelten, mit «nacktem Finger auf angezogene Leute zu zeigen». Genau damit aber schaffe Trump eine Verbindung zu jedem Einzelnen im Publikum: Ich kenne dich, ich schätze dich, und dich, und dich auch – wir gegen den Rest der Welt.

Wenn Trump also sagt, «there is nothing like a Trump Rally», dann ist das nicht einmal gelogen. Er macht eine Show, bei der Gesten und Botschaften Hand in Hand gehen wie bei keinem anderen Politiker. Fast schon legendär ist, wie er am Ende mit geballten Fäusten zum Hit «YMCA» tanzt. Und so verzaubert er alle, die seinem erhobenen Finger mit den Augen folgen, der ihnen den Weg in die richtige Zukunft zu weisen scheint, das richtige Amerika.

Ein Artikel aus der «NZZ am Sonntag»

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