„Prozess der Feigheit“: Pelicot empört über Aussagen der Täter

19 Nov 2024

„Prozess der Feigheit“

Die heute 71-jährige Gisele Pelicot, Opfer zigfacher Vergewaltigung, hat am Dienstag erneut vor Gericht ausgesagt. „Das ist der Prozess der Feigheit“, sagte sie in ihrer letzten Aussage vor Beginn der Plädoyers. Sie habe Dinge gehört, die man nicht zu hören ertrage. Der auf der ganzen Welt Aufsehen erregende Prozess ist in der Schlussphase, den 51 Angeklagten, allen voran Pelicots Ex-Ehemann, drohen bis zu 20 Jahre Haft.

Dominique Pelicot - Figure 1
Foto ORF

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„Wir banalisieren Vergewaltigungen“, sagte Pelicot vor dem Gericht in Avignon, das seit September ihren Fall verhandelt. „Es ist für mich sehr schwierig, wenn gesagt wird, dass es praktisch eine Banalität ist, Madame Pelicot vergewaltigt zu haben“, fuhr sie fort.

Sie frage sich, wann die Angeklagten entschieden hätten, das Vorgehen nicht anzuzeigen. „Wenn Sie in ein Schlafzimmer gehen und einen reglosen Körper sehen, wann entscheiden Sie sich, nicht zu reagieren?“ „Warum sind Sie nicht sofort gegangen, um es der Polizei zu melden?“, so Pelicot in einer Ansprache im Gerichtssaal, in dem etliche der Angeklagten anwesend waren.

„Sie müssen die Verantwortung für ihre Taten übernehmen. Sie haben vergewaltigt. Vergewaltigung ist Vergewaltigung.“ Es sei an der Zeit, „dass wir uns diese Macho- und patriarchalische Gesellschaft ansehen“, die Sicht auf Vergewaltigung müsse sich ändern. Ihrem Mann, so die 71-Jährige, werde sie niemals vergeben.

Erschütternder Zufallsfund

Der Mammutprozess in Avignon erschütterte viele Menschen auf der ganzen Welt. Pelicot soll von ihrem Mann Dominique über zehn Jahre regelmäßig unter Drogen gesetzt und vergewaltigt worden sein. Auch gab er vor Gericht zu, seine bewusstlose Frau vielen anderen Männern in Internetforen zur Vergewaltigung angeboten zu haben. Dabei wurden auch Fotos und Videos angefertigt. Neben Dominique Pelicot stehen 50 weitere Angeklagte vor Gericht. Gisele Pelicot selbst geht davon aus, zwischen 2011 und 2020 etwa 200-mal vergewaltigt worden zu sein.

Dominique Pelicot - Figure 2
Foto ORF
Gerichtszeichnung von Dominique Pelicot: Er soll seine Ehefrau zigfach vergewaltigt und ihren Körper Fremden angeboten haben

Sie selbst war dabei stets bewusstlos und merkte nichts von den Vorgängen. Auch als sie regelmäßig neurologische und Unterleibsprobleme bekam, hörte Dominique Pelicot nicht auf. Dass er schließlich erwischt wurde, ist allein einem Zufallsfund zu verdanken: Er geriet erst ins Visier der Justiz, weil er in einem Einkaufszentrum Frauen unter den Rock gefilmt hatte.

Die Ermittler stießen bei darauffolgenden Durchsuchungen auf fast 4.000 Fotos und Videos von den Vergewaltigungen. Auf seiner Festplatte fand sich unter anderem ein Ordner „Missbrauch“ mit zahlreichen Unterordnern, die mit den Pseudonymen der anderen Männer beschriftet waren. Etliche der Videos, in denen Pelicot bewusstlos missbraucht wurde, wurden im Laufe des Verfahrens vor Gericht gezeigt.

Angeklagte versuchten, Schuld abzuwälzen

Die meisten der Taten beging der damalige Ehemann, in 92 Fällen waren andere Männer die Täter, von 74 Männern konnten 54 identifiziert werden. Einer ist mittlerweile verstorben, gegen zwei andere wurden die Vorwürfe fallen gelassen. Den übrigen Männern im Alter zwischen 26 und 74 Jahren und aus allen sozialen Schichten drohen Haftstrafen von bis zu 20 Jahren.

Auch Pelicots Tochter Caroline Darian geht davon aus, missbraucht worden zu sein

Die Männer hatten unterschiedliche Aussagen gemacht: Manche gaben an, wie fremdgesteuert gewesen oder selbst womöglich unter Drogen gesetzt worden zu sein. Die meisten sagten, sie hätten gar nicht gewusst, dass sie sie vergewaltigten, oder hätten sie nicht vergewaltigen wollen, oder schoben die ganze Schuld ihrem Ehemann zu, der sie angeblich manipuliert habe.

Dominique Pelicot - Figure 3
Foto ORF

Auch wurde die Behauptung geäußert, Pelicot habe sich bloß schlafend gestellt. Ein Angeklagter bezeichnete sich gar selbst als „Opfer“ von Dominique Pelicot und betonte, aus Angst vor ihm gehandelt zu haben. Dieser aber sagte mehrfach: „Sie haben alle Bescheid gewusst.“

Auch Kinder klagen Vater

Als Nebenkläger treten zwei Söhne und die Tochter des Paares auf. Die Tochter hatte während eines Verhandlungstages weinend den Gerichtssaal verlassen, als der Vorsitzende Richter schilderte, dass der Beschuldigte auch Fotos von ihr, schlafend und unbekleidet, gespeichert hatte. Ähnliche Bilder fanden sich auch von den Schwiegertöchtern. Auch die Tochter wirft ihrem Vater vor, sie betäubt und missbraucht zu haben.

Die Söhne David und Florian Pelicot unterstützen ihre Mutter vor Gericht

Die beiden Söhne forderten das Gericht am Montag auf, ihren Vater streng zu bestrafen. Auch sie würden ihm niemals vergeben, für sie sei er gestorben.

Ermächtigung der Opfer

Gisele Pelicot ist mittlerweile zu einer feministischen Ikone in Frankreich geworden. Sie erklärte vor Gericht, sie habe sich gegen ein Verfahren unter Ausschluss der Öffentlichkeit gewandt, das ihr nach französischem Recht zugestanden wäre. Sie wolle aber unbekannten Opfern von unter Einfluss von K.-o.-Tropfen und anderen Betäubungsmitteln verübten Vergewaltigungen ein Gesicht geben.

Sie seien nicht diejenigen, die sich schämen sollten. Sie selbst habe durch die Verbrechen ihres Mannes „zehn Jahre meines Lebens verloren, die ich nie zurückbekommen werde“. Auch eine Anonymisierung ihres Namens lehnte Pelicot ab.

Am Dienstag war es das dritte Mal, dass die 71-Jährige vor Gericht aussagte. Am Mittwoch beginnen die Plädoyers der Nebenklage, in der kommenden Woche soll die Anklage ihre Forderungen vorbringen. Urteil und Strafmaß sind rund um den 20. Dezember vorgesehen.

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