Diphtherie in Berlin: Müssen sich Eltern Sorgen machen?

Diphtherie Berlin

In Berlin ist  ein Junge an der lebensgefährlichen Infektionskrankheit Diphtherie erkrankt, die Infektion bei einer weiteren Person nachgewiesen. Die Krankheit, die Anfang des 20. Jahrhunderts als „Würgeengel der Kinder“ galt, ist heute extrem selten geworden. Denn eine Impfung schützt effektiv davor. Was die Krankheit trotzdem so gefährlich macht, worauf wir achten sollten und was wir gegen eine Erkrankung machen können, erklärt Jakob Maske, Sprecher des „Bundesverbands der Kinder- und Jugendärzt*innen“.

Herr Maske, was ist die Diphtherie für eine Erkrankung?

Die Diphtherie ist eine bakterielle Erkrankung. Die Bakterien bilden ein Gift, das verschiedene Symptome auslösen kann. Am bekanntesten ist die Atemwegsinfektion. Die führt dazu, dass es im Rachen zu sehr schweren Schwellungen kommen kann, die Atemnot bis zum Atemstillstand auslösen können. Wir nennen das den Krupp. Da kriegen die Kinder keine Luft, husten stark in bellendem Ton. Das kennen wir vom harmloseren viralen Pseudokrupp, bei dem auch die oberen Atemwege betroffen sind. Aber Krupp bei Diphtherie ist eben viel heftiger und führt sehr viel häufiger zu schwersten Komplikationen bis hin zum Tod.

Was sind die Symptome, bei denen die Alarmglocken läuten sollten?

Der bellende Husten und ein pfeifendes Atemgeräusch bei der Einatmung. Dazu kommen Symptome wie etwa Fieber und allgemeines Unwohlsein.

Wie wird das Diphtherie-Bakterium übertragen?

In der Regel sind das Tröpfcheninfektionen, es kann aber auch seltener über Schmierinfektionen übertragen werden.

Was muss bei einer Ansteckung unternommen werden?

Für ein Kind, das ungeimpft ist und erkrankt, ist die Infektion lebensbedrohlich. Die Komplikationsrate ist sehr hoch. Wichtig ist es, das Gift des Bakteriums schnellstmöglich zu bekämpfen. Das Serum dafür ist in Deutschland an bestimmten Zentralapotheken vorrätig. Anschließend gibt man ein Antibiotikum, gegen die Bakterien. Das Kind muss in eine Klinik, wo darüber hinaus die Symptome behandelt werden. Allerdings können auch behandelte Kinder aufgrund der Schwere der Erkrankung versterben.

Was müssen Personen beachten, die mit der erkrankten Person in Kontakt waren?

Kinder, die selbst geimpft sind, haben in der Regel kein Risiko, schwer zu erkranken. Man kann die Kinder aber durch eine Nachimpfung und mit der prophylaktischen Behandlung mit einem Antibiotikum schützen.

Wie viele Kinder sind in Deutschland geimpft?

Unter den Kindern liegen die Impfquoten weit über 90 Prozent. Im Alter von etwa zwei Monaten wird die erste Impfung verabreicht. Für die Grundimmunisierung sind drei bis vier Impfungen notwendig. Die Impfung muss in der Jugend mehrfach aufgefrischt werden, und auch Erwachsene müssen darauf achten, dass ihre Impfung alle zehn Jahre erneuert wird.

Kann die Impfung alle Diphtherie-Fälle verhindern?

Tatsächlich gibt es seit der Einführung der Impfung so gut wie gar keine Fälle mehr in Deutschland. Ich habe in meiner langen Zeit als Kinder- und Jugendarzt bisher noch keinen einzigen Diphtherie-Fall gesehen, weil die Herdenimmunität so groß ist. Dennoch treten vereinzelt Erkrankungen insbesondere im Erwachsenenalter und bei Menschen auf, die keinen ausreichenden Impfschutz haben oder die sich – durch Reisen oder Migrationsgeschichte – in Ländern aufgehalten haben, in denen Diphtherie häufiger vorkommt.

Ist es Zufall, dass der aktuelle Fall an einer Waldorfschule aufgetreten ist?

Wir sehen häufiger weniger gut geimpfte Kinder an Waldorfschulen. Das hat auch mit der Einstellung der Eltern zu tun. Insofern ist es wahrscheinlich wenig überraschend. Aber dass Kinder gar nicht geimpft sind, ist auch an der Waldorfschule eine Seltenheit. Die meisten Kinder sind wenigstens gegen die Grunderkrankungen wie Keuchhusten, Diphtherie, Tetanus und Masern geimpft.

Bereitet Ihnen der aufgetretene Fall in Berlin Sorgen?

Jeder Fall erschüttert mich, weil wir ein wahnsinnig gutes Mittel haben, um präventiv schwere Erkrankungen und Todesfälle bei Kindern und auch bei Erwachsenen zu verhindern. Wenn dieses Mittel nicht genutzt wird und Kinder deswegen erkranken, finde ich das für einen Staat wie Deutschland nicht tragbar und sehr traurig.

Aber ich habe um die allermeisten Kinder in Deutschland keine Angst, weil sie durch die Impfung sehr gut geschützt sind. Dass jemand komplett alle Impfungen verweigert, ist glücklicherweise selten.

Was würden Sie Eltern raten, die jetzt besorgt sind?

Eine Diphtherie-Erkrankung ist glücklicherweise wirklich eine Rarität. Insofern müssen sich Eltern erst einmal keine Sorgen machen. Aber natürlich sollten wir als Kinderärzte das zum Anlass nehmen, noch mal grundsätzlich zu kommunizieren, wie wichtig Impfungen sind.

Jeder sollte auch darüber nachdenken, ob es nicht ein Stück soziale Verantwortung ist, seine Kinder impfen zu lassen. Damit auch Menschen geschützt sind, die etwa aufgrund einer Immunschwäche nicht geimpft werden können.

Und sollten Eltern selbst auch einen Blick in ihr Impfbuch werfen?

Selbstverständlich. Eltern sollten prüfen, ob ihr Impfschutz aktuell ist und alle zehn Jahre aufgefrischt wurde. Falls nicht, sollten sie gleich zum Hausarzt gehen oder mit ihrem Kind zum Kinder- und Jugendarzt, der impft sie ebenfalls.

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