60 Jahre „Dinner for One“ – heißgeliebt und tief gehasst

Dinner for One

Essen  „Der 90. Geburtstag“ mit Freddie Frinton ist Silvester-Kult. Aber er spaltet auch die Gemüter: fünf Stimmen zum Sketch. Und eine Show.

Der Sketch „Dinner for One“ oder „Der 90. Geburtstag“ mit Freddie Frinton und May Warden wurde am 8. März (!) 1963 in der Sendung „Guten Abend, Peter Frankenfeld“ erstmals im Fernsehen aufgeführt. May Warden als Miss Sophie und – und Freddie Frinton spielte nicht nur den trinkfesten Butler James, sondern auch die imaginären Gäste Mr. Winterbottom, Mr. Pommeroy, Sir Toby und Admiral von Schneider. Der Sketch kam dem Norddeutschen Rundfunk (NDR) zufolge so gut an, dass der NDR im selben Jahr das Stück erneut aufzeichnete. „Eigentlich sollte das ‚Dinner for One‘ nur als Pausenfüller dienen, doch 1972 lief der Kurzfilm erstmals zu Silvester und ist seither aus dem Silvesterprogramm nicht mehr wegzudenken“, so der NDR. Der Sketch ist inzwischen nicht nur in vielen europäischen Ländern ein Hit, sondern auch in Südafrika und Australien. Inzwischen läuft er zu Silvester in mehreren Programmen.

Jubiläumsshow mit Bernhard Hoëcker, Katrin Müller-Hohenstein, Wigald Boning, Jens Riewa und Axel Prahl

Der NDR will das 60-jährige Jubiläum des Silvester-Klassikers „Dinner for One“ am 31. Dezember mit einer Jubiläumsshow feiern. Unter dem Titel „60 Jahre Dinner for One – die Jubiläumsshow“ werde die Gemeinschaftsproduktion von NDR und SWR in beiden Sendern von 20.15 bis 21.45 Uhr gezeigt, teilte der NDR am Mittwoch in Hamburg mit. Um 23.40 Uhr sende das NDR-Fernsehen den Sketch in voller Länge.

Gastgeber Bernhard Hoëcker hat vier prominente „Dinner for One“-Fans eingeladen, bei ihm am festlich gedeckten Tisch Platz zu nehmen: Katrin Müller-Hohenstein, Wigald Boning, Jens Riewa und Axel Prahl. Es werde gequizzt, getalkt, gespielt. Über den Kultsketch gebe es noch einige spannende Geschichten zu erzählen. Und es ist sogar eine Fortsetzung des Sketches geplant.

„The same procedure as every year, James“

Und auch Mitglieder unserer Redaktion erinnern sich nur zu gut, wie das war, als sie „Dinner for One“ zum ersten Mal sahen:

Der 90. Geburtstag begann als Stummfilm. Haben wir als Kinder gelacht über den Tiger, den torkelnden Kellner und die vollgekleckerte Tischdecke! Die Running Gags (auch die gehörten als solche noch nicht zum Vokabelschatz) funktionieren ja auch so.

Über die Jahre kämpften wir uns ran: „Cheerio!“ und „Skål!“ versteht jeder, auch ohne Englisch und Wikingerisch. Und das bisschen Dialog ist Teil der Familiensprache geworden, für immer: Kein Schuppentier auf dem Teller ohne „I think, we’ll have white wine with the fish“, gewürzt mit Miss Sophie’s Sprachmelodie. Keine Bitte ohne Gegenfrage: „Must I?” Keine Wiederholungstat ohne „The same procedure as every year, James“. Wobei ich annehme, die Dame ist auch beschwipst. Und sie sagt „Yeah“, wenn sie das Glas erhebt, hören Sie das auch?

Die Namen der vier geladenen Herren kamen kürzlich gegenüber einem ahnungslosen, aber interessierten Osteuropäer ausgesprochen rotweinflüssig auf den Tisch und stets im Sophie‘schen Duktus: „Mr. Winterbottom, Admiral von Schneider, Mr. Pommeroy…“ Bloß Sir Toby fehlte in der gedanklichen Gästeliste Haben wir als Kinder gelacht über den Tiger, den torkelnden Kellner und die vollgekleckerte Tischdecke – zu gewöhnlich, dieser Säufer.

Den Schluss übrigens, den verstand man als Kind ja auch nicht. Aber das hat andere und keine sprachlichen Gründe… –Annika Fischer

„Mich haben sie ,Miss Sophie‘ genannt!“

Als Kind haben mich am Silvesterabend alle „Miss Sophie“ genannt. Das fand ich fast lustiger als den Sketch selbst.

Meine Geschwister und ich haben zwar immer laut gelacht, wenn Butler James mal wieder über den Tigerkopf gestolpert ist. Aber so richtig witzig fand ich „Dinner for One“ nie.

Trotzdem gehören „Miss Sophie“ und „James“, seit ich denken kann, zu Silvester dazu. Meine Eltern haben immer darauf bestanden, dass wir den Film am 31. Dezember mindestens einmal zusammen sehen. Auch als wir nicht mehr mit ihnen gefeiert haben, sondern am Abend zu irgendeiner mehr oder weniger guten Party aufgebrochen sind.

Und noch heute würde mir etwas fehlen, wenn ich am 31. Dezember nicht „Dinner for One“ gucken würde. Ich versammle mich dafür zwar längst nicht mehr mit meiner Familie vorm Fernseher, aber wir schicken uns per WhatsApp gegenseitig Fotos, wenn wir den Sketch sehen – und teilen das Ritual so irgendwie weiter miteinander. – Sophie Sommer, 27

Nicht schon wieder „Dinner for One“!

„Dinner for One“, schon wieder. Mich bringt das nicht in Wallung, hat es noch nie getan. Ich gestehe hiermit zerknirscht: Ich fand Miss Sophie, Butler James und ihre schwarzweiße Kult-Party immer langweilig, sämtlichen Sozialisierungsversuchen zum Trotz.

Dem Rest der Familie war’s egal: An Silvester rüstete sich meine Mutter alljährlich zum 20-minütigen Pflichtprogramm („Petra, das MUSST du sehen“): ein Gläschen Sekt, Fernseher an und los. Mutter amüsierte sich wie Bolle, ich blieb bemüht. Dieses alberne Gestolpere, das Hackenknallen, dazu dieses nervige Lach-Band! Und Besoffene im Film finde ich eh meistens doof, auch wenn sie in echt Freddie Frinton heißen.

Seit ich aus dem Haus bin, habe ich nie wieder eingeschaltet. Sorry, Mutter. Du hast dich bemüht. – Petra Kuiper, 58

Die Welt des Freddie Frinton

Mein Freund Christian hatte einen englischen Stiefvater – und er kannte die Varietés von Brighton und anderen Seebädern aus eigener Anschauung. Christian konnte unglaublich lustig von den sehr britischen Witzen der Entertainer dort erzählen, deren großartigster der Gorilla-Witz war: Da wurde die (dann doch tiefmakabere) Pointe kilometerlang hinausgezögert, mit allerlei Zwischenpointen, und das Endlose war der eigentliche Witz.

Ich habe mir oft, wenn Butler James mal wieder bei uns zu Hause über den Tigerkopf stolperte, Freddie Frinton auf einer Seebad-Bühne vorgestellt. Nach dem Zweiten Weltkrieg ist er ja wirklich in solchen Varietés aufgetreten. Und immer, wenn ich mich dahin träumte, holte mich spätestens der Hopser über den Tigerkopf wieder ins „Dinner for One“.

Dass Freddie Frinton mit 16 der Hilfsarbeiter-Job in der Fischfabrik gekündigt wurde, weil er die Kollegen mit seiner Alberei von der Arbeit abgehalten haben soll, hat mir Christian auch erzählt. Es gefällt mir immer noch, dass dieser komische Anlass für eine traurige Lebenswende am Ende die Weichen für einen ewigen Erfolg gestellt hat. Freddie Frinton ist bis heute präsent – die Typen, die ihn damals gefeuert haben, sind dagegen dem ewigen Vergessen anheimgefallen. – Jens Dirksen, 59

Der schreckliche Onkel Jürgen! Soll reinkommen!

Ich weiß nicht, ob ich „Dinner for One“ jemals lustig fand. Also, vielleicht mit acht oder so. Der Sketch ist für mich so etwas wie dieser eine Onkel Jürgen, den wir alle haben. Er ist bei den Festivitäten am Jahresende immer dabei, versucht immer mit denselben Sprüchen immer die gleichen Verwandten zum Lachen zu bringen. Man weiß nicht recht, ob man den Onkel unangenehmer findet oder die Cousins, die ihn witzig finden. Eigentlich aber auch egal – er ist glücklicherweise ein harmloses Exemplar seiner Art mit einem Humor, der nicht allzu weit nach unten tritt und bei dem man anwesenden Kindern nicht Augen und Ohren zuhalten muss.

In einer Welt, die jedes Jahr beängstigender und unberechenbarer wird, ist ein stolpernder Butler eine Konstante, der ich an Silvester gern (wenn auch mit einem müden Lächeln) immer wieder die Tür öffne. –Lilith Delgado, 26

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