Zürich: Lehrerinnen und Lehrer sollen mehr Zeit erhalten
«Das muss es uns wert sein»: Das Zürcher Parlament will den Lehrerinnen und Lehrern mehr Zeit einräumen zur Vorbereitung des Unterrichts
Die Linke kontert eine Vorlage der Bildungsdirektorin Silvia Steiner (Mitte) – obwohl dieses Geschäft im Kantonsrat noch gar nicht debattiert wurde.
Christian Merz / Keystone
Was passiert, wenn die Regierung eine Vorlage vorbereitet und das Parlament kaum warten kann, bis es endlich etwas dazu sagen darf? Richtig: Dann wollen Parlamentarier die Regierung mit eigenen Vorstössen überholen – so geschehen am Montagnachmittag im Zürcher Kantonsrat.
Gleich mehrere Traktanden liessen erkennen, dass die Unterzeichnenden nicht zufrieden sind mit den Anpassungen, die die Bildungsdirektorin Silvia Steiner am sogenannten neuen Berufsauftrag für Lehrpersonen der Volksschule vorzunehmen gedenkt. Die Mitte-Politikerin hatte ihre Pläne zur Verbesserung der Anstellungsbedingungen von Primar- und Sekundarlehrern im Juli präsentiert. Die Vorlage liegt derzeit in der Kommission für Bildung und Kultur des Kantonsrats zur Beratung vor und kommt danach ins Parlament.
Hauptsache, es gibt ein PostulatAber egal, man kann ja trotzdem schon Postulate einreichen. Zum Beispiel zur Frage, wie viel bezahlte Zeit Lehrerinnen und Lehrer erhalten sollen, um ihre Lektionen vorzubereiten. Gemäss Vorlage der Bildungsdirektorin soll da alles beim Alten bleiben: 58 Stunden pro Jahr und Wochenlektion. Wer mehr Zeit braucht zur Vorbereitung, macht (unbezahlte) Überstunden.
Das wollen Carmen Marty Fässler (SP) und ihre Mitstreiter der Grünen, der EVP und der AL ändern: 62 statt 58 Stunden sollen es sein. Kinder brauchten Zeit, Musse und viel Gespür. «Das muss es uns wert sein», sagte Fässler. Die Grüne Livia Knüsel, die selber Primarlehrerin ist von Beruf, ergänzte: «Lehrerinnen und Lehrer, die ihre Arbeit gut machen wollen, arbeiten viel.»
Marc Bourgeois sieht das völlig anders. Für ihn ist klar: Mit mehr Zeit zur Vorbereitung würden Lehrpersonen weniger Lektionen unterrichten. Diese Lücke müsste mit zusätzlichen Lehrern gefüllt werden. Oder, wie der FDP-Vertreter zur Ratslinken sagte: «Sie verlangen immer mehr Personal und mehr Geld!» Die Probleme der Schulen lägen tiefer: heterogene Klassen, integrativer Unterricht, Überlastung der Lehrer, die durch mehr Zeit zur Vorbereitung mitnichten aus der Welt zu schaffen sei.
Das zeige auch eine aktuelle Umfrage aus Basel: 9 von 10 Lehrerinnen und Lehrern wünschten sich, dass der Ansatz des integrativen Unterrichts korrigiert werde, sagte Bourgeois.
Die meisten Votanten indes liessen sich von seinen Argumenten nicht überzeugen. «Es ist klar, dass die Arbeitszeit der Lehrer nirgendwohin reicht. Wir müssen den Lehrerberuf lebbar machen», sagte Hanspeter Hugentobler von der EVP, der Ende Mai zurückgetretene Schulpräsident von Pfäffikon. «Es ist Zeit, die systemischen Mängel des Berufsauftrags zu beheben», fand Nicole Wyss von der AL.
Und auch Silvia Steiner hatte offenbar nichts dagegen, wenn der Kantonsrat Primar- und Sekundarlehrern mehr Zeit zur Vorbereitung des Unterrichts einräumen wollte. In ihrer Vorlage habe man zwar auf eine Erhöhung der Stundenzahl verzichtet, aber das Parlament dürfe das Postulat der Linken gerne annehmen, sagte die Bildungsdirektorin. Und so kam es auch: Der Vorstoss wurde überwiesen, mit 90 Ja- gegen 86 Nein-Stimmen.
Kein «Zückerli» für über 50-JährigeDas nächste Begehren erlitt hingegen Schiffbruch: Lehrpersonen über 50 werden weiterhin gleich viele Lektionen unterrichten müssen wie ihre jüngeren Kollegen. Die SP wollte diese Gruppe um eine Lektion und die über 57-Jährigen um zwei Lektionen pro Woche entlasten. Doch die Grünen verweigerten ihnen die Gefolgschaft. Das «‹Zückerli› für über 50-Jährige» (Raffaela Fehr, FDP) wurde mit 128 zu 45 Stimmen deutlich bachabgeschickt.
Dafür sollen Schulleitungen auch nach dem Willen des Parlaments gestärkt werden. Ein weiteres Postulat der SP und ihrer Verbündeten will, dass die Pensen der operativen Führung von Primar- und Sekundarschulen erhöht werden. Das will auch die Vorlage von Silvia Steiner. Der Entscheid im Kantonsrat war denkbar knapp, das Postulat wurde überwiesen. Den Unterschied machte eine einzige Stimme aus.