Bruch der Ampelregierung: Saskia Esken erwartet SPD-Sieg bei ...
FDP-Fraktionschef Dürr kann sich vorstellen, weiter Gesetze mit SPD und Grünen zu beschließen. Robert Habeck will nicht Interims-Finanzminister werden. Das Liveblog
Aktualisiert am 7. November 2024, 8:08 Uhr
Johannes Süßmann
Der FDP-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Christian Dürr, schließt nicht aus, dass die Abgeordneten der Liberalen bei einzelnen Gesetzesvorlagen gemeinsam mit SPD und Grünen stimmen. "Wenn es um die Entlastung der Menschen in Deutschland geht, haben wir nicht nur immer mitgestimmt, sondern wir haben die Gesetze dafür geschrieben", sagte Dürr im ARD-Morgenmagazin. "Insofern ist es selbstverständlich, wenn es um die Entlastung geht, dass wir dabei sind."
Einschränkend fügte der Fraktionschef hinzu, er könne sich vorstellen, dass nun "SPD-seitig in dieses Gesetz jetzt anderes hineingetan wird, um möglicherweise auch wieder Menschen zu belasten". Aber dies würden die kommenden Wochen ergeben.
Katrin Scheib
SPD-Generalsekretär Matthias Miersch hat den von Bundeskanzler Olaf Scholz vorgeschlagenen Zeitplan für die mögliche Neuwahl verteidigt. Dies sei ein Vorgang, der "Stabilität wahrt und geordnete Übergänge schafft", sagte Miersch im ARD-Morgenmagazin. In der Zwischenzeit komme es auf das Parlament und die Unterstützung der "demokratischen Mitte" an, auch auf die Union.
"Wir können Gesetze beschließen, gerade wenn es um die Stabilisierung der Wirtschaft geht, wenn es um die kalte Progression geht, wenn es um das Rentenniveau geht. Das können wir alles beschließen", sagte Miersch. Es gebe in Deutschland eine "funktionsfähige Regierung".
Es gebe auch in vielen anderen Ländern eine Minderheitsregierung, fügte Miersch hinzu: "Es kommt jetzt auf die Mehrheiten im Parlament an, auf die Vernunft aller Parteien, die dort sind, gerade in der Mitte."
Katrin Scheib
Vizekanzler Robert Habeck hat nach eigenen Angaben keine Ambitionen auf das Amt des Bundesfinanzministers. Einen entsprechenden Bericht der Bild-Zeitung bezeichnete er im Deutschlandfunk als "Ente".
Den geschassten bisherigen Bundesfinanzminister Christian Lindner kritisierte der Grünen-Politiker deutlich. Das Problem mit dem Haushalt sei lösbar gewesen, sagte Habeck, dennoch sei es FDP-Chef Lindner nicht gelungen, einen Haushalt aufzustellen.
Ein Finanzminister müsse das Vertrauen aller im Kabinett haben und könne nicht in erster Linie FDP-Parteivorsitzender sein, sagte Habeck. Daher habe Bundeskanzler Olaf Scholz richtig entschieden, Lindner aus der Regierung zu verweisen.
Julica Jungehülsing
Nach dem Koalitionsbruch weist Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) die Schuld vor allem Christian Lindner (FDP) zu. Und auch nach Einschätzung von politischen Beobachtern hatte der Bundesfinanzminister mit seinem Strategiepapier zur "Wirtschaftswende" zunächst die schwierige Situation und dann seinen Rauswurf provoziert, wenn nicht gar bewusst einkalkuliert. Doch auf der Suche nach den Ursachen für das Scheitern der Ampel landet man schnell wieder bei Scholz, kommentiert Michael Schlieben:
Rita Lauter
Nach seiner Entlassung durch Bundeskanzler Olaf Scholz erhält der bisherige Finanzminister Christian Lindner am frühen Nachmittag von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier seine Entlassungsurkunde. Es ist bisher üblich gewesen, dass der Kanzler dabei anwesend sein wird. Scholz wird wegen des Termins wohl später nach Ungarn zum informellen EU-Treffen nach Budapest reisen.
Um einen reibungslosen Übergang zu gewährleisten, soll sofort anschließend Lindners Nachfolger oder Nachfolgerin die Ernennungsurkunde erhalten. Der Name soll schon feststehen, ist aber noch nicht öffentlich bekannt.
Auch die Posten, die durch den angekündigten Rücktritt der übrigen drei FDP-Minister frei werden, sollen möglicherweise schon an diesem Donnerstag neu besetzt werden – jeweils zwei von SPD und Grünen. Überraschend hatte SPD-Generalsekretär Matthias Miersch einen Verbleib von FDP-Verkehrsminister Volker Wissing ins Gespräch gebracht.
Rita Lauter
Neben der Union kommen auch aus dem Arbeitgeberlager Forderungen nach schnellen Neuwahlen. Der Arbeitgeberverband Gesamtmetall ruft den Kanzler via Bild-Zeitung auf, sofort die Vertrauensfrage zu stellen und damit den Weg für Neuwahlen freizumachen. "Deutschland braucht eine Wirtschaftswende. Dafür braucht es eine Richtungsentscheidung und handlungsfähige Mehrheiten", zitiert das Blatt Verbandspräsident Stefan Wolf. "Daher sollten so schnell wie möglich Neuwahlen stattfinden."
Angesichts der schlechten Lage der deutschen Wirtschaft brauche es einen Befreiungsschlag mit großen, ambitionierten Maßnahmen, sagte Wolf demnach weiter. Er lobte dabei die Vorschläge des entlassenen Bundesfinanzministers Christian Lindner. Zugleich kritisierte Wolf SPD und Grüne. Beide Parteien seien "offensichtlich nicht bereit" gewesen, ernsthaft über die FDP-Vorschläge zu diskutieren. Für schnelle Neuwahlen sprach sich auch der Ökonom Clemens Fuest vom Münchner Ifo-Institut aus. "Ein Ende mit Schrecken ist besser als ein Schrecken ohne Ende", sagte Fuest im Sender n-tv. Ähnlich äußerte sich der Präsident des Bundesverbands Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen, Dirk Jandura: "Jeder weitere Tag mit dieser Bundesregierung ist ein verlorener Tag", begründete er seine Forderung nach baldigen Neuwahlen.
Die Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Yasmin Fahimi, forderte eine parteiübergreifende Zusammenarbeit für wichtige Beschlüsse. "Jetzt müssen sich alle verantwortungsvollen Demokraten zusammenraufen und die dringendsten Entscheidungen für unsere Wirtschaft und soziale Absicherung treffen", sagte Fahimi. "Zum Wohle unseres Landes müssen alle beweisen, dass sie über ihre Parteiinteressen hinaus Kompromisse finden können." Es dürfte jetzt kein "Zurückziehen alleine in den Wahlkampfmodus geben", sagte Fahimi.
Eine ähnliche Forderung kam auch vom Sozialverband VdK, der Lindners Entlassung begrüßte. Die FDP habe wichtige Reformen wie die Kindergrundsicherung und das Rentenpaket "immer wieder verzögert oder torpediert", sagte VdK-Präsidentin Verena Bentele. Die Regierung müsse nun konstruktiv mit der Opposition zusammenarbeiten, um die wichtigsten Probleme anzugehen. "Dabei darf der Blick nicht nur auf Verteidigung und Wirtschaft liegen, sondern auch die soziale Gerechtigkeit gehört zu dem Dreiklang, der Deutschland stabilisiert", mahnte Bentele.
Rita Lauter
Nach dem Aus der Ampelkoalition stellen sich viele Fragen: Wie läuft die Vertrauensfrage ab, und was folgt daraus? Welche Möglichkeiten hat die Opposition, kann sie theoretisch einfach einen anderen Kanzler wählen? Wann müssten Neuwahlen spätestens stattfinden? Und was wird eigentlich aus dem Bundeshaushalt für das kommende Jahr, der noch nicht verabschiedet ist?
Diese und weitere wichtige Fragen und Antworten hat meine Kollegin Julica Jungehülsing in einem FAQ zusammengefasst.
Rita Lauter
SPD-Generalsekretär Matthias Miersch bringt einen Verbleib von Bundesverkehrsminister Volker Wissing von der FDP in der Regierung ins Gespräch. In einem Politico-Podcast sagte er auf eine entsprechende Frage, "aus meiner Sicht kann er das." Er fände das ein gutes Zeichen, "weil es auch zeigt, dass in der FDP nicht alle von diesem Kurs von Christian Lindner überzeugt gewesen sind", fügte Miersch hinzu.
Der Verkehrsminister hatte noch in der vergangenen Woche in einem Gastbeitrag für die Frankfurter Allgemeinen Zeitung für einen Verbleib der FDP in der Koalition geworben. Doch nachdem Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Mittwoch Finanzminister Christian Lindner entlassen hatte, hatte die FDP alle Minister aus der Bundesregierung abgezogen.
Fraktionschef Christian Dürr sagte, alle FDP-Minister wollten ihren Rücktritt geschlossen beim Bundespräsidenten einreichen. Neben Lindner sind das Wissing, Justizminister Marco Buschmann und Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger. Sie schrieb auf der Plattform X: "Eine Regierungsbeteiligung der Freien Demokraten ist niemals Selbstzweck." Buschmann schrieb: "Über allem steht eines: Es geht um unser Land." Wissing selbst war bei dem Statement von Lindner nicht anwesend.
Katharina James
Ein bedeutungsschwerer Mittwoch, der nun nicht nur in die US-amerikanischen, sondern auch in die deutschen Geschichtsbücher eingehen wird: Die ZEIT-ONLINE-Redakteure Katharina Schuler, Ferdinand Otto und Tilman Steffen zeichnen einen Tag nach, der mit dem Wahlsieg Donald Trumps begann und mit dem Zerbrechen der Regierungskoalition endete. Auffällig, wie viele der Beteiligten eher gelöst als bedrückt wirken. Doch eine große Ernüchterung scheint programmiert.
Den ganzen Text finden Sie hier:
Rita Lauter
Vizekanzler Robert Habeck wendet sich mit einer Videobotschaft direkt an die Bürgerinnen und Bürger. Er ruft dazu auf, trotz der Regierungskrise die Demokratie nicht infrage zu stellen. "Zweifeln Sie nicht an der Stärke dieses Landes. Wir haben ganz andere Herausforderungen gemeistert. Wir haben ganz andere Probleme gelöst. Zweifeln Sie nicht an der Demokratie", sagte der Grünenpolitiker in dem Statement, das sein Ministerium auf der Plattform X verbreitete.
Nach der Entlassung von Finanzminister Christian Lindner durch Bundeskanzler Olaf Scholz hatte die FDP alle ihre Minister aus der Bundesregierung abgezogen. "Damit ist die Ampelregierung Vergangenheit", sagte Habeck. Er räumt außerdem ein: "Es war eine unpopuläre Regierung." Ihr Streit habe Vertrauen in die Regierung und in die Politik insgesamt gekostet. "Dennoch fühlt sich dieser Abend falsch an, falsch und unnötig an", fügte Habeck hinzu. Der Bruch der Koalition wäre zu vermeiden gewesen, sagt er.
Bis zur Neuwahl werde er sein Amt "mit vollem Pflichtbewusstsein ausüben", versicherte der Wirtschaftsminister.
Rita Lauter
Nach dem Auseinanderbrechen der Ampelkoalition geht die SPD-Co-Vorsitzende Saskia Esken nach eigenen Angaben davon aus, dass Bundeskanzler Olaf Scholz im Fall von Neuwahlen im kommenden Frühjahr erneut als Kanzlerkandidat antritt. "Das wird Olaf Scholz sein, wir gehen gemeinsam in den Wahlkampf, und wir sind überzeugt, dass wir die Wahl auch gewinnen", gab sie sich am Abend bei RTL siegesgewiss.
In Umfragen von vor dem Koalitionsbruch liegt die SPD derzeit bei 15 bis 16 Prozent, die Union bei ungefähr 34 Prozent. Auch SPD-Generalsekretär Matthias Miersch sagte in einem Politico-Podcast, er gehe "fest" davon aus, dass Scholz bei möglichen Neuwahlen erneut als Kanzlerkandidat antritt.
Esken sagte in dem RTL-Interview weiter, Scholz habe jetzt die richtigen Maßnahmen ergriffen und lange verhandelt. Die FDP sei das Problem gewesen. "Dass wir nicht zu einer Lösung gekommen sind, lag nicht am Bundeskanzler", sagte Esken weiter.
Bei den Verhandlungen über den kommenden Bundeshaushalt hofft die SPD-Vorsitzende auf die Unterstützung der Unionsparteien. "Wir hoffen natürlich, dass wir als Minderheitsregierung hier und da, wo es notwendig ist, die Unterstützung der Opposition – der demokratischen Oppositionsparteien – bekommen, und da ist die größte Oppositionspartei, CDU/CSU, natürlich der erste Adressat."
Rita Lauter
Auch von führenden CDU-Politikern kommt die Forderung nach schnellen Neuwahlen. Der frühere Vizevorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, Andreas Jung, sagte dem Sender phoenix, "die Vertrauensfrage ist politisch beantwortet. Olaf Scholz hat kein Vertrauen bei einer Mehrheit der Mitglieder des Bundestags. Es gibt überhaupt keinen Grund, bis Januar zu warten". Scholz müsse bereits in der nächsten Sitzungswoche des Bundestags die Vertrauensfrage stellen, um den Weg zu Neuwahlen freizumachen.
Die von Scholz genannten Gründe, warum man noch bis zum Jahresende warten und Gesetze verabschieden wolle, seien nicht zutreffend. "Der Bundestag ist doch potenziell handlungsfähig, und selbstverständlich könnten, wenn eine Mehrheit da ist, im Dezember Entscheidungen getroffen werden", sagte Jung weiter. Es gebe offenbar andere Gründe für das Verhalten von SPD und Bündnisgrünen. "Da drängt sich der Eindruck auf, es geht um Taktiererei. Olaf Scholz hat aber die Verantwortung, dem Land eine Hängepartie zu ersparen." Rasche Neuwahlen seien auch deshalb notwendig, um einem weiteren Vertrauensverlust der Politik im Land entgegenzuwirken.
Rita Lauter
Viele Beobachter hatten erwartet, dass sich die Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP angesichts des Wahlsiegs von Donald Trump in den USA bei ihrem Spitzentreffen am Mittwoch doch noch zusammenrauft.
Mein Kollege Mark Schieritz kommentiert, Kanzler Olaf Scholz habe keine andere Wahl gehabt, als Finanzminister Christian Lindner zu entlassen. Lindner habe mit seinem Nein zu einem erneuten Aussetzen der Schuldenbremse angesichts der Bedrohungslage die Ampelkoalition scheitern und damit selbst staatspolitische Verantwortung vermissen lassen.
Rita Lauter
Die Grünen-Ko-Fraktionsvorsitzende Britta Haßelmann hat FDP-Chef Christian Lindner nach dem Scheitern der Ampelkoalition mangelnde Kompromissbereitschaft vorgeworfen. "Egoismen und auch eine sehr destruktive Herangehensweise" hätten dazu geführt, dass eine Einigung auf den Haushalt für das kommende Jahr nicht möglich gewesen sei, sagte Haßelmann am späten Abend.
"Da hat ein Finanzminister seine Arbeit nicht gemacht." Das mache sie "wütend" angesichts der Lage, in der sich Deutschland befinde.
Julica Jungehülsing
Bundeskanzler Olaf Scholz wird deutlich später als geplant nach Budapest abreisen. Grund ist die Entlassung der FDP-Minister durch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sowie die Ernennung der Interimsminister am frühen Nachmittag. Scholz wird dadurch nicht an dem Treffen der Europäischen Politischen Gemeinschaft teilnehmen können, sondern kommt erst zum informellen EU-Gipfel am Freitag in die ungarische Hauptstadt.
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