Deutschland will mit mehr Arbeitsmigration "Wachstumsbremse ...

21 Jun 2023

Während sich die deutsche Wirtschaft trotz niedriger Arbeitslosigkeit in einer Rezession befindet, hat Bundeskanzler Olaf Scholz den Mangel an qualifizierten Arbeitskräften als größtes Hindernis für die Wiedererlangung des Wirtschaftswachstums ausgemacht. Dieser Mangel soll durch verstärkte Zuwanderung bewältigt werden.

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Foto EURACTIV Germany

Trotz der ‚technischen Rezession‘ in Deutschland, das heißt zwei Quartale mit negativen Wachstumsraten, gehört die Erwerbslosenquote in Deutschland zu den niedrigsten in der EU. Im April waren nur 2,9 Prozent der 15- bis 74-Jährigen erwerbslos, so die Daten von Eurostat.

Die Unternehmen haben jedoch Schwierigkeiten, qualifizierte Arbeitskräfte zu finden.

„Der Fachkräftemangel ist die wohl größte Wachstumsbremse für unser Land“, sagte Scholz am Montag (19. Juni) auf dem Tag der deutschen Industrie, einer jährlichen Wirtschaftskonferenz des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI).

Um das Problem anzugehen, will die Bundesregierung die Zuwanderung qualifizierter Fachkräfte fördern und Talente aus dem außereuropäischen Ausland anziehen.

„Die Zuwanderung und die Freizügigkeit in der Europäischen Union haben uns geholfen und uns hierhergeführt“, sagte Scholz. Ohne diese Zuwanderung „wäre unsere wirtschaftliche Entwicklung nicht so gut verlaufen“.

„Jetzt reicht das aber nicht mehr aus, und wir müssen uns weiter in der Welt umschauen“, so Scholz weiter.

Am Montag einigten sich die Verhandler der Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP auf ein Einwanderungsgesetz mit Punktesystem nach kanadischem Vorbild, das qualifizierten Zuwanderern einen leichteren Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt ermöglichen soll.

Die Reform soll am Freitag (23. Juni) vom Deutschen Bundestag verabschiedet werden.

Die neuen Regeln werden sicherstellen, dass „wir immer die Kontrolle über Migrationsgeschehen erhalten“, sollten aber „gleichzeitig den Unternehmen – den kleinen und mittelständischen Betrieben, den Handwerkerinnen und Handwerkern und den Großunternehmen – die Möglichkeit geben, ihre Anforderungen erfüllen zu können“, sagte Scholz.

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Die Punkte, die für Faktoren wie Berufserfahrung, Alter, Sprachkenntnisse und Bezug zu Deutschland vergeben werden, sollen es qualifizierten Zuwanderern ermöglichen, nach Deutschland zu kommen, auch wenn sie keinen formal als gleichwertig anerkannten Berufsabschluss haben.

Die Reform wird es auch ausländischen Hochschulabsolventen erleichtern, die EU-Aufenthaltserlaubnis „Blue Card“ in Deutschland zu erhalten, indem das monatliche Mindesteinkommen auf 3.500 Euro gesenkt wird.

Aufschwung der AfD könnte ostdeutsche Wirtschaft bedrohen

Während die Alternative für Deutschland (AfD) in Ostdeutschland in den Umfragen führt, warnen Politiker und Wirtschaftsvertreter, dass ein Anstieg der Fremdenfeindlichkeit die Position der Region im globalen Kampf um Talente gefährden könnte.

Asylbewerber können ‚die Spur wechseln‘

Im Rahmen der neuen Regelung erhalten auch Personen, die als Asylbewerber nach Deutschland gekommen sind, die Möglichkeit, eine Arbeit aufzunehmen und sogar in das System für qualifizierte Zuwanderer zu wechseln, sofern sie sich vor dem 29. März 2023 in einem Asylverfahren befunden haben.

Mit der Einführung dieses Stichtags will die Ampel-Koalition einen sogenannten „Pull-Effekt“ vermeiden. Dabei wird befürchtet, dass die Möglichkeit, den Rechtsstatus eines Asylbewerbers in den eines qualifizierten Zuwanderers zu ändern, Menschen ohne Anspruch auf Asyl dazu bewegen könnte, nach Deutschland zu kommen.

CDU und CSU (EVP) bezeichneten die Reform dennoch als „gerade in der aktuell angespannten Migrationslage völlig falsches Signal“.

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„Schließlich vermischt die Ampel mit der Möglichkeit zum Spurwechsel für bis zu 160.000 Asylbewerber nun auch noch die Asyl- und Arbeitszuwanderung“, sagte die stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Andrea Lindholz (CSU).

„So verfestigt sich der Eindruck in der Welt: Wer es nur irgendwie in unser Land schafft, kann bleiben“, ergänzte ihr Kollege Alexander Throm (CDU).

EU kämpft um eigene Rolle in der Einwanderungspolitik

Am Dienstag (25. Oktober) diskutierte der Innenausschuss des EU-Parlaments über ein Gesetzespaket zur Fachkräfteeinwanderung, das Europa attraktiver für hochqualifizierte Migrant:innen aus aller Welt machen soll.

Inländische Arbeitskräfte mobilisieren

Anstelle der geplanten Zuwanderungsreform „müssen vorrangig inländische Potenziale noch stärker aktiviert und Menschen aus der EU für unseren Arbeitsmarkt gewonnen werden“, so Lindholz.

In Deutschland haben 2,6 Millionen junge Menschen unter 35 Jahren keinen Berufsabschluss, was die Bundesregierung durch eine bessere Berufsorientierung für Schulabgänger angehen will.

Nach Ansicht der Regierung wird dies jedoch nicht ausreichen, um die Lücken zu schließen, die durch die alternde Bevölkerung entstehen.

„Ab 2025 werden die geburtenstarken Jahrgänge, die Babyboomer, in Rente gehen“, sagte Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD/S&D) im Mai. „Deshalb müssen wir alle Register zur Arbeits- und Fachkräftesicherung ziehen“, fügte er hinzu.

Scholz zog auch einen Vergleich mit dem Wirtschaftswunder der 1950er bis 70er Jahre, als Deutschland in hohem Maße auf sogenannte „Gastarbeiter“ angewiesen war. Damals kamen über 14 Millionen Einwanderer aus Ländern wie Italien, der Türkei, Spanien und Griechenland nach Deutschland, von denen 11 Millionen wieder in ihre Heimatländer zurückkehrten.

„Wir haben das in Deutschland schon mal geschafft, als die Arbeitskräftenot groß war“, sagte Scholz, „und wir werden es wieder schaffen.“

„Wir sind längst ein Land, das Einwanderungsland ist“, sagte er. Die geplante Einwanderungsreform werde „dazu beitragen, dass unsere Wirtschaft und unser Wohlstand weiter wachsen.“

Mit weniger Klischees zu mehr Fachkräften

Der Fachkräftemangel in Deutschland ist in Berufen, die typischerweise mit Geschlechterklischees behaftet sind, besonders groß, sagten Spitzenpolitiker bei einer Konferenz zur Berufsorientierung am Donnerstag (4. Mai) und betonten die Notwendigkeit, Vorurteile bei der Berufswahl abzubauen.

[Bearbeitet von János Allenbach-Ammann/Alice Taylor]

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