Innenministerin Faeser will Asylprüfungen im Schnelldurchlauf, die schon im Grenzraum durchgeführt werden. CDU/CSU forderten mehr und brachen am Dienstag die Gespräche über ein gemeinsames Vorgehen ab.
Berlin. Der Begriff klingt sperrig. „Modell für europarechtskonforme und effektive Zurückweisungen“ heißt jener Vorschlag, den Innenministerin Nancy Faeser (SPD) mit ihren Beamten ausgearbeitet hatte und der seit Montag wohl nicht nur in EU-Staaten für Raunen sorgte. Was sich dahinter verbirgt, sagte sie zunächst nicht, doch werde die Zahl der Zurückweisungen von Asylwerbern stark steigen. Sollte das nur ein Versuch sein, vor der Landtagswahl in Brandenburg Stimmen für einen SPD-Mann zu retten, der gegen die Rechtsaußen-Partei AfD um den ersten Platz kämpft?
Am Dienstagabend kam dann bei einer Pressekonferenz Klartext. Die Bundespolizei wird demnach, verkürzt gesagt, bei Grenzkontrollen Asylwerber über die europäische Datenbank Eurodac und andere Quellen sofort darauf überprüfen, ob sie schon in einem anderen EU-Land registriert sind. Wenn ja, wird sogleich vom Bundesamt für Migration ein beschleunigtes Dublin-Verfahren eingeleitet, heißt: Man kontaktiert ein bestehendes Registerland, um die Abschiebung zu ermöglichen. Bis dahin kommen sie in möglichst grenznahe Anhalteunterkünfte, wo sie sich zum Abwarten verpflichten. Sie können, sofern ein lokales Gericht im Schnellverfahren Fluchtgefahr feststellt, auch in Haft genommen und verwahrt werden, um ihr Untertauchen zu verhindern.
Haft gegen UntertauchenStimmt der kontaktierte Dublin-Registerstaat der Übernahme der Person zu, wird deren Asylantrag in Deutschland verworfen und die Abschiebung angeordnet, die (im Optimalfall) von der Anhalteunterkunft aus beginnt und mit dem Zielstaat geplant wird. Eine Klage dagegen soll vom zuständigen Verwaltungsgericht zügig entschieden werden. Die Unterbringung irgendwo im Hinterland, bis das Aslyverfahren beendet ist, was von Anfang bis zum Ende meistens länger als ein halbes Jahr, teils mehrere Jahre dauerte, soll damit vorbei sein.
Für die Opposition noch nicht genugAll diese Maßnahmen waren indes weit weg von Forderungen, die Oppositionsführer und CDU-Parteichef Friedrich Merz gestellt hatte: „Wir wollen von der Regierung eine verbindliche Erklärung, dass sie im umfassenden Sinn an den Grenzen zurückweist“, hatte er am Montag gesagt. Ziel müsse ein faktischer Aufnahmestopp sein. Einem Treffen mit den Regierungsparteien SPD, FDP und Grünen stimmte er für Dienstagnachmittag zu, aber der „Asylgipfel“ mit CDU und CSU endete bald: Letztere brachen die Gespräche gegen Abend ab. Die Vorschläge der Regierung zur Eindämmung des illegalen Zuzugs seien nicht genug, sagte Unionsverhandlungsführer Thorsten Frei.
Merz hatte die Regierung schwer unter Druck gesetzt, nachdem in Solingen drei Menschen erstochen worden waren. Der Tatverdächtige ist ein 26-jähriger Syrer, dessen Asylgesuch abgelehnt wurde. Er durfte damals aber bleiben, eine Abschiebung scheiterte unter nicht ganz geklärten Umständen. Bevor er nach Deutschland kam, hatte der Mann mehrere EU-Länder durchreist, darunter wohl auch Bulgarien und Österreich.
Merz’ Schlussfolgerung: „Es reicht.“ Mit dem „faktischen Aufnahmestopp“ an den Grenzen sollten auch jene zurückgewiesen werden, die um Asyl ansuchen. Dafür hatte er sich eine Argumentation zurechtgelegt, über die in Deutschland schon 2015 beraten wurde: Man könne eine nationale Notlage aus Gründen der öffentlichen Sicherheit erklären, weil die illegale Zuwanderung die öffentliche Ordnung bedroht (Ordre-Public-Klausel). Damit ließen sich selbst EU-Asylregeln zeitweise aussetzen.
Die EU-NotstandsklauselDer entsprechende Passus im EU-Recht – Artikel 72 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU – wurde vor neun Jahren von deutschen Beamten näher studiert. Heraus kam ein „Non-Paper“, ein informelles Papier, das dazu dient, in schwierigen Lagen vorzufühlen. Es wurde später von Investigativjournalisten veröffentlicht. Das Non-Paper nahm die chaotische Lage an der deutsch-österreichischen Grenze, die 2015 in kurzer Zeit von Hunderttausenden überquert wurde, die Asyl in Deutschland wollten, zum Anlass. Die Beamten zeigten eine Möglichkeit auf, die Asylwerber nach Österreich zurückzuweisen: Artikel 72. Dabei listeten sie Für und Wider auf, besonders heikel sei indes „politischer Widerstand Österreichs“. Am Ende, so schrieben sie, müsse aber die Politik entscheiden.
Das Ergebnis ist bekannt: Die damalige Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ließ nicht zurückweisen. Die Idee geschlossener Grenzen für Asylwerber aufgrund einer nationalen Notlage verschwand aber nicht aus der Debatte, tauchte beim hitzigen Streit zwischen Merkel und Innenminister Horst Seehofer (CSU) anno 2018 wieder auf. Nach Solingen griff Merz das Konzept auf – und wurde vor allem von Sozialdemokraten und Grünen dafür kritisiert. Auch, weil der EuGH in den vergangenen neun Jahren die Hürde für eine solche nationale Notlage hoch angelegt hatte, wie der deutsche Migrationsrechtsexperte Daniel Thym in einem Gutachten darlegt, das er 2022 für Österreichs Grüne verfasst hatte. „Nach der Prüfung des Bundesinnenministeriums ist klar, dass die Vorschläge von Friedrich Merz europarechtskonform eindeutig nicht machbar sind“, zitierte der „Tagesspiegel“ eine Quelle aus grünen Regierungskreisen.
Union-Asylverhandler Frei (CSU) hatte indes schon an Faesers Plan gezweifelt, als er gestern selbst im Innenministerium eintraf. „So wirklich sind die Voraussetzungen, die wir vereinbart haben, nicht gegeben“, sagte er. Und so wurde der Gipfel abgebrochenabgebrochen.