Deutschland: Grenzkontrollen sind gut, aber nicht gut genug

Grenzkontrollen sind richtig – aber sie allein werden die deutsche Notlage nicht beenden

Die Bundesregierung will künftig überprüfen, wer ins Land kommt. Gute Idee. Doch wenn das Ganze mehr als ein PR-Manöver sein soll, muss sehr viel mehr passieren.

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Foto Neue Zürcher Zeitung - NZZ

Polizeikontrolle an der deutsch-österreichischen Grenze im August.

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Marc Felix Serrao, Chefredaktor NZZ Deutschland

Angelina Vernetti

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Im Kampf gegen die illegale Masseneinwanderung hat Deutschlands Innenministerin Nancy Faeser am Montag einen Schritt angekündigt, dessen Sinnhaftigkeit sie vor nicht allzu langer Zeit noch in Zweifel gezogen hat: Von Mitte September an soll es an allen deutschen Landgrenzen Kontrollen geben, zunächst für sechs Monate. Auch Zurückweisungen soll es geben, im Einklang mit europäischem Recht. Herzlichen Glückwunsch, kann man da nur sagen. Willkommen in der Realpolitik.

Ein Jahrzehnt des Kontrollverlusts

Aber warum erst jetzt? Die Frage drängt sich auf. Diese Regierung und frühere Regierungen der Bundesrepublik schauen seit fast einem Jahrzehnt dabei zu, wie Millionen Migranten unkontrolliert und ungebremst ins Land strömen, unter ihnen sehr viele alleinstehende junge Männer aus Kulturkreisen, die gerne als «fremd» verbrämt werden, deren Wertvorstellungen sich aber in vielfacher Hinsicht antagonistisch zu den liberalen westlichen verhalten. Die Folgen für den sozialen Frieden, die Sicherheit und den Staatshaushalt sind bekannt.

Die zweite Frage lautet: Was kommt als Nächstes? Grenzkontrollen helfen dabei, einen Überblick über die Menschen zu erlangen, die ins Land kommen. Aber sie sind weder lückenlos, noch lösen sie die vielen Probleme, die Deutschland mit den Menschen hat, die schon da sind, obwohl sie gar nicht da sein dürften – weil sie zuvor in einem anderen europäischen Land Asyl beantragt haben, weil sie gar keinen Anspruch auf Asyl haben oder weil sie die Gesetze ihres Gastlandes mit Füssen treten.

Wenn die inzwischen höchst unpopuläre Koalition aus SPD, Grünen und FDP den Verdacht ausräumen will, dass die Kontrollen nur ein PR-Manöver sind, um kurz vor der nächsten Landtagswahl im Osten und ein Jahr vor der nächsten Bundestagswahl die Stimmung zu drehen, dann müssen weitere Massnahmen folgen – Massnahmen, mit denen sich die Regierung bei den überwiegend linksstehenden Leitmedien des Landes, bei den europäischen Partnern und im aussereuropäischen Ausland unbeliebt machen würde.

Aber es geht nicht mehr anders. Die «Notlage», von der Deutschlands Oppositionsführer Friedrich Merz jüngst sprach, ist längst da. Der deutsche Staat, einst ein Synonym für Ordnung, versagt in der Migrationspolitik seit Jahren vor den Augen der Welt. Das Land beherbergt, dies nur als Beispiel, heute etwa fünf Prozent aller Syrer und ein Prozent aller Afghanen, Tendenz steigend. Diese Dimensionen sprengen jeden vernünftigen Rahmen.

Die Dimensionen sprengen jeden Rahmen

Deutschland muss massiv die Zahl der Ausschaffungen und hierfür den diplomatischen Druck auf Länder erhöhen, die sich bei der Rücknahme ihrer Staatsbürger unkooperativ zeigen. Die Zahlen gehen jüngst zwar in die richtige Richtung, aber sie reichen bei weitem noch nicht aus. Ausreisepflichtige Ausländer sollten ausserdem keine staatlichen Leistungen mehr erhalten oder allenfalls das rechtlich zwingende Minimum.

Vor allem aber müsste die Regierung in Berlin bereit sein, auf europäischer Ebene eine Reform des individuellen Rechts auf Asyl voranzutreiben. Es stammt aus einer anderen Zeit. Heute wirkt es nicht nur, aber vor allem in der Bundesrepublik staatsgefährdend.

Man wird in Deutschland nach diesem Montag wieder viele Wortmeldungen hören, die Massnahmen wie die hier skizzierten als rechtlich unmöglich, politisch unrealistisch oder schlicht unmenschlich zurückweisen. Das ist verständlich. Ein Land, das so lange auf dem Holzweg war, braucht Zeit, um in der Realität anzukommen.

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