Energiepolitik: Wie Deutschland einmal fast die Welt rettete

20 Mai 2024

Hermann Scheer und Andrea Ypsilanti vor einer Groß-Fotovoltaikanlage (2007)

Foto: Arne Dedert / picture alliance / dpa

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Manchmal erwecken die politischen Debatten und das wirtschaftliche Handeln hierzulande den Eindruck, die Klimakrise sei optional. Als könne man sie nach Belieben ein- und ausblenden, je nachdem, welche Lobbygruppe gerade bedient werden muss.

Dabei sind die steigenden globalen Temperaturen die einzige verlässlich vorhersagbare Entwicklung in einer ansonsten volatilen und chaotisch wirkenden Zeit. Sie auszublenden wird sich in Form von Naturkatastrophen (im Moment passieren weltweit so viele , dass die Nachrichtensendungen gar nicht mehr alle abbilden) rächen, aber auch wirtschaftlichem Niedergang.

Das war keine Angabe, das ist ein Faktum

Dabei gab es in Deutschland durchaus Politikerinnen und Politiker mit Weitblick, die vorausschauende Entwicklungen einleiteten. Zum Beispiel Hermann Scheer von der SPD, der als Vater der Energiewende gilt. Scheer, der schon 2010 gestorben ist, hat einmal gesagt : »Der beschleunigte und umfassend angelegte Wechsel zu erneuerbaren Energien ist eine wirtschaftliche, soziale und ökologische Existenzfrage. Es darf keine Zeit mehr verspielt werden.«

Das ist heute noch viel dringlicher als vor einem knappen Vierteljahrhundert, als das von Scheer maßgeblich initiierte Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) im Bundestag beschlossen wurde.

Kurz vor seinem Tod, im Jahr 2010, schrieb Scheer, das EEG sei »das erfolgreichste Gesetz zur Mobilisierung erneuerbarer Energien auf der ganzen Erde geworden«.

Das war kein übertriebenes Eigenlob, sondern eine Tatsachenbeschreibung, vielfach von unabhängiger Seite bestätigt. Der weder grüne noch sozialdemokratische »Economist« schrieb 2021  über die EEG-Novelle von 2004, in der Einspeisevergütungen für Solarstrom festgeschrieben wurden: »Die Lunte war angezündet. Die Rakete hob ab. Bis 2012 hatte Deutschland mehr als 200 Milliarden an Subventionen ausgezahlt. Aber es hatte auch die Welt verändert.«

Da hört es dann auf mit dem Patriotismus

Scheers Buch »Der energetische Imperativ «, erschienen 2010, ist heute eine leider beklemmend aktuelle Lektüre. Viele der Themen sind wieder einmal in der öffentlichen Diskussion – etwa die verzögernde Wirkung von Atomkraft-Träumen auf die notwendige und machbare Transformation: »Es wäre eine krasse Fehlentwicklung, die auf die fossilen und atomaren Energien zugeschnittenen Strukturen beizubehalten und innerhalb dieser lediglich die Energiequellen auszutauschen«, schrieb Scheer schon damals. Er hat immer noch recht.

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Hermann Scheer, Erfinder des EEG, in seinem Büro in Berlin (2006)

Foto: Christian Ditsch / IMAGO

Unglücklicherweise regierten ab Scheers Tod 16 Jahre lang Bundesregierungen aus Union, FDP und auch der SPD, die Scheers Erbe vergaßen. Das ursprüngliche Bekenntnis zur Transformation weichten sie so sehr auf, dass eine bis 2011 exponentielle (gute) Entwicklung in Deutschland ein jähes Ende nahm. Zerstört wurden die deutsche Solarindustrie und weite Teile der deutschen Windstrombranche. Der Umstieg auf die Elektromobilität wurde gezielt verzögert, sabotiert. Stattdessen: Abhängigkeit von Russland, Saudi-Arabien, Katar und anderen Petrostaaten.

Im Moment verändern andere die Welt

Und doch ist die damals angestoßene Entwicklung global betrachtet längst unaufhaltsam, wie das weiterhin exponentielle Wachstum erneuerbarer Stromerzeugung beweist, ebenso wie das gleichermaßen beschleunigte Wachstum von Speichertechnologien. Nur ist es eben eher China als Deutschland, das jetzt wirtschaftlich die globale Transformation vorantreibt. Hierzulande dagegen greifen die Bewahrer sterbender Industrien, Geschäftsmodelle und Technologien immer wieder erschreckend effektiv in die Politik ein.

Der weltweite Markt für Autos mit Verbrennungsmotor schrumpft schon seit 2017. Augenscheinlich wollen die Lobbyisten der Automobilindustrie das nicht wahrhaben und lobbyieren massiv gegen den Wandel. Das zeigt eine jüngst veröffentlichte Studie , in der vor allem BMW schlecht abschneidet, aber auch Mercedes und VW – seit dem Chefwechsel hin zum ehemaligen Porsche-Chef Oliver Blume.

Mitmachen oder untergehen

Es ist eine Zangenbewegung: Im Moment versuchen Teile der Autobranche und die Öl- und Kraftstoffkonzerne hinauszuzögern, das ihr wichtigster fossiler Absatzmarkt – Mobilität – rapide schwindet. Und quer durch die Parteienlandschaft gibt es Akteure, die das offenbar bereitwillig unterstützen wollen. Parallel werden jetzt absurderweise Strafzölle diskutiert, um die eigene, renitente Autobranche vor der mächtigen Konkurrenz aus China zu beschützen.

Der größte Hebel

Der Rest der Welt wird sich nicht um den Wunsch der deutschen Autobranche scheren, ihre obsolete Technologie weiterhin zu verkaufen, die alten Verbrennerfabriken noch länger zu betreiben. Einzig der Markt für E-Autos und Stromspeicher wächst weltweit exponentiell . Entweder die deutsche Branche schafft den Umstieg – oder China und Tesla machen den Weltmarkt unter sich aus.

Deutschland ist die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt. Unsere wichtigste Industrie ist der größte Hebel, den wir haben, um einmal mehr bei der Rettung der Welt zu helfen.

Wir müssen ihn nur endlich in Bewegung setzen.

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