In Deutschland sind vergangenes Wochenende Hunderttausende Menschen gegen Rechtsextremismus auf die Straße gegangen. Schätzungen gehen sogar von einer bis eineinhalb Millionen aus. Teils mussten die Kundgebungen sogar wegen Überfüllung abgebrochen werden. Am heutigen Freitag kommt die Protestwelle auch nach Österreich – bisher nach Wien, Salzburg und Innsbruck. Zu der als „Lichtermeer“ geplanten Aktion in Wien unter dem Motto „Demokratie verteidigen“ hatten die NGOs „Fridays for Future“, „Black Voices Austria“ und die Plattform für eine menschliche Asylpolitik aufgerufen. Los geht es ab 18 Uhr vor dem Parlament.

Demo Wien - Figure 1
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Auslöser für die Demos waren Enthüllungen des Recherche-Netzwerkes „Correctiv“ zu einem geheimen Treffen am 25. November 2023 in Potsdam, an dem Politiker der rechten AfD, einzelne Mitglieder der CDU und Rechtsradikale die Vertreibung und Umsiedelungspläne von Millionen von Menschen (Unwort: „Remigration“) mit Migrationshintergrund aus Deutschland diskutierten. Die krude Vorstellung: Asylwerber, Ausländer mit Bleiberecht und „nicht assimilierte Staatsbürger“ sollen nach Vorstellungen der rechten Verschwörer das Land verlassen. Mit dabei: Der österreichische Rechtsextremist und ehemalige Kopf der Identitären Bewegung Martin Sellner – der beim rechten Treffen seine Umsiedlungs-Fantasien präsentieren durfte. 

Nachfrage bei Mitorganisatorin Noomi Anyanwu, Sprecherin der Initiative „Black Voices“, die sich aus der „Black Lives Matter“-Bewegung entwickelt und 2022 das anti-rassistische Volksbegehren initiiert hat.

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In Deutschland gingen Hunderttausende auf die Straße. Wie hier bei einer Demonstration gegen Rechtsextremismus in Berlin

Frau Anyanwu, die Demonstration steht unter dem Motto „Demokratie verteidigen“. Kann man eine Partei wie die FPÖ von einem demokratischen Prozess der Regierungsbildung ausschließen, wenn sie bei der Wahl stimmenstärkste Kraft wird?

Anyanwu

Es geht uns nicht darum, Parteien von einer Regierungsbildung auszuschließen, solange sie die Werte unserer Gesellschaft und die Gesetze einhalten. Wenn das nicht der Fall ist, kann man darüber diskutieren, ob es nicht sogar Demokratie-schädigend wäre, wenn eine Partei, die über Deportationspläne nachdenkt und rassistische Politik betreibt, in die Regierung kommen würde.

Demo Wien - Figure 2
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Hätten Sie sich eine Abgrenzung der FPÖ gegenüber den „Remigrations“-Plänen gewünscht?

Anyanwu

Ich denke nicht, dass sich die FPÖ abgrenzen würde, weil ich glaube, dass das auch ihre Überzeugung und Wunsch ist, dass das auch so in Österreich passiert. Dass solche Pläne ans Licht gekommen sind, hat mich schockiert, aber nicht überrascht. Vielleicht hat es deshalb länger gedauert, bis sich ein Protest in Österreich formiert hat. Ich sehe das als gefährliche Tendenz, wenn sich Menschen daran gewöhnen, dass rechte Politik immer salonfähiger wird.

Einige Ihrer Mitinitiator:innen der Demonstration wären von einer sogenannten „Remigration“ betroffen. Wie fühlt sich das an?

Anyanwu

Extrem beängstigend – auch für mich als Österreicherin und Wienerin. Man fühlt sich im eigenen Land, in dem man geboren und aufgewachsen ist, nicht willkommen. Die Tendenzen gibt es schon länger, es ist aber angsteinflößend, diese Fantasien Schwarz auf Weiß zu sehen. Umso bestärkender ist zu sehen, wie viele Leute genauso schockiert sind und zeigen, dass das nicht das Österreich ist, für das wir stehen.

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Noomi Anyanwu

Noomi Anyanwu

Noomi Anyanwu: "Ein Demo-Bündnisses, das sich quer durch die Gesellschaft zieht."

Mit Blick nach Deutschland: Konnte hier eine schweigende Mehrheit wachgerüttelt werden?

Demo Wien - Figure 3
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Anyanwu

Wenn Zehntausende auf die Straße gehen, dann stehen hier Menschen aus unterschiedlichsten sozialen Hintergründen, Berufen, Herkünften auf und sagen: Es reicht! Wir merken das auch bei den Unterstützer:innen des Demo-Bündnisses, das sich quer durch die Gesellschaft zieht.

Was kann die Zivilgesellschaft gegen Rechtsextremismus tun?

Anyanwu

Man kann viel mehr machen, als man denkt. Es ist wichtig, nicht zu vergessen, dass viele politische Prozesse aus der Zivilgesellschaft gestartet wurden. Das passiert, weil Menschen ihre Stimme erheben, weil sie auf die Straße gehen und Briefe an Politiker:innen schreiben, weil sie lokale Events organisieren und in der Familie und Bekanntenkreis diskutieren.

Ab wie vielen Teilnehmer:innen wäre die Demonstration in Wien ein Erfolg?

Anyanwu

Es ist schon ein Erfolg, dass breit diskutiert wird und es einen breiten Gegenwind gegen das rechte Gedankengut gibt. Bei der Demo gehe ich von Zehntausend Menschen aus – ich muss aber sagen, dass man das im Vorhinein schwer sagen kann. Bei der „Black Lives Matter“-Demo 2020 haben wir gedacht, dass ein paar Hundert kommen werden - und dann waren 50.000 Menschen da.

Wie nachhaltig kann so ein Protest sein?

Anyanwu

Das ist eine wichtige Frage, weil das Interesse in der Öffentlichkeit und in den Medien wieder sehr schnell abflachen kann. Und manchmal ist eine Demo für Menschen auch nur ein Trend, weil eben alle mitgehen. Umso wichtiger ist es, dass es Organisationen gibt, die auch auf Themen hinweisen, auch wenn es gerade keine Leaks von Deportationsplänen gibt. Es geht darum, dass wir immer dafür stehen müssen, dass die Demokratie verteidigt und das Zusammenleben gesichert werden muss.

Philip Dulle

1983 in Kärnten geboren. Studium der Politikwissenschaft in Wien. Seit 2009 Redakteur bei profil. Hat ein Herz für Podcasts, Popkultur und Basketball.

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