Le Pen am Ziel?: Macron droht Cohabitation

6 Jul 2024

Le Pen am Ziel?

Bisher hat sich der französische Präsident Emmanuel Macron mit Gabriel Attal auf einen Premierminister aus seiner eigenen Renaissance-Partei stützen können. Das könnte sich nun nach der Stichwahl am Sonntag ändern. Sollte der rechtspopulistische Rassemblement National (RN) die absolute Mehrheit erlangen, müsste sich Macron auf eine Cohabitation einstellen. In der fünften Republik in Frankreich war das bereits dreimal der Fall. Die Voraussetzungen sind nun aber völlig anders als bisher.

Cohabitation - Figure 1
Foto ORF

Online seit heute, 12.13 Uhr

Beim ersten Durchgang der französischen Parlamentswahl erreichte der RN mit Verbündeten mit einem Drittel der Stimmen den ersten Platz. Dahinter landete das Linksbündnis Nouveau Front populaire (NFP), eine Koalition aus Linken und Grünen unter Führung von Jean-Luc Melenchon. Macrons Bündnis Ensemble rutschte auf den dritten Platz ab.

Wie die Resultate beim zweiten Wahldurchgang am Sonntag aussehen, ist offen. Nicht zuletzt aufgrund des Mehrheitswahlrechts sind Prognosen schwierig. RN-Chef Jordan Bardella stellte jedenfalls bereits klar, nur im Fall einer absoluten Mehrheit Premierminister werden zu wollen. Die frühere RN-Parteichefin Marine Le Pen zeigte sich flexibler und kündigte an, im Fall einer nur relativen Mehrheit auf andere Parteien zuzugehen.

Macron denkt an Szenario Cohabitation

Für die „Absolute“ sind 289 von 577 Sitzen notwendig. Dieser Fall der Cohabitation, wenn Präsident und Premierminister aus unterschiedlichen Parteien kommen, würde zu einem starken Machtverlust für Macron führen. Der Weg Le Pens zur Präsidentschaftswahl 2027 wäre leichter.

Das will Macron verhindern. Berichten zufolge stellt sich der französische Präsident bereits auf das Szenario einer Cohabitation ein. „Er denkt, ihnen (dem RN, Anm.) heute die Hälfte der Macht zu geben, wird sie daran hindern, in drei Jahren (bei der Präsidentschaftswahl, Anm.) die ganze Macht zu haben“, zitiert „Le Monde“ einen Macron Nahestehenden.

Macron rief nach dem ersten Wahldurchgang zu einem breiten Bündnis gegen den rechtspopulistischen RN auf

Zugleich hatte der Präsident noch am Wahlabend des ersten Durchgangs vergangenen Sonntag zu einem „breiten, demokratischen und republikanischen Bündnis“ gegen den RN aufgerufen. Vor der zweiten Runde formierte sich nun tatsächlich ein lagerübergreifendes Zweckbündnis, um eine absolute Mehrheit der Rechtspopulisten zu verhindern. Lokalen Medien zufolge zogen bis zu 218 Bewerber und Bewerberinnen ihre Kandidatur zurück, um damit die Siegeschancen besser platzierter Gegner des RN in den Wahlkreisen zu erhöhen.

Cohabitation - Figure 2
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Neuaufteilung der Macht zu erwarten

Im Fall einer Cohabitation käme es zu einer Neuaufteilung der Macht. Macron würde vor allem für Außen- und Verteidigungspolitik zuständig sein, und als Präsident darf er einmal pro Jahr die Nationalversammlung, das Unterhaus des französischen Parlaments, auflösen. Im Fall einer „ernsten und unmittelbaren“ Bedrohung der Institutionen und der territorialen Integrität kann sich Macron „außergewöhnliche Befugnisse anmaßen“.

Die innenpolitischen Agenden wie Wirtschaftspolitik, Haushalt und Einwanderung lägen in den Händen des Premierministers. Bei einer Cohabitation liege die Macht „eindeutig in der Beziehung zwischen dem Premierminister und der Nationalversammlung“, sagte der französische Jurist Dominique Rousseau gegenüber „Le Monde“.

Bisher dreimal Cohabitation in Frankreich

Dreimal gab es bereits eine Cohabitation: Der sozialistische Staatspräsident Francois Mitterrand regierte mit dem konservativen Premier Jacques Chirac von 1986 bis 1988 und mit dem ebenfalls konservativen Edouard Balladur (1993 bis 1995). Chirac als Präsident regierte von 1997 bis 2002 mit dem Sozialisten Lionel Jospin.

Die Kombination Chirac – Jospin verlief zeitweise holprig. Trotz seines Widerstands konnte Chirac etwa nicht die von Jospin eingeführte 35-Stunden-Woche verhindern. Jospin wiederum verbrachte einen Großteil seiner Regierungszeit unter dem Damoklesschwert, dass Chirac jederzeit die Nationalversammlung auflösen könnte.

Die Cohabitation von Chirac (l.) und Jospin (r.) verlief nicht immer friktionsfrei Grundsätzlicher Konsens fehlt

Allerdings bestand bei den bisherigen Durchgängen der Cohabitation mit Kandidaten der Mitte ein grundsätzlicher Konsens für Europa und die Verfassung. Das wäre im Fall von Macron und Bardella anders gelagert. Vor allem bei außen- und sicherheitspolitischen Entscheidungen kommen auch Haushaltsthemen dazu, die auf Präsident und Premier aufgeteilt sind. Große Uneinigkeit zwischen Macron und Bardella gibt es etwa beim Ukraine-Krieg und bei der Rolle der EU.

Im Jahr 2000 wurde im Rahmen einer Verfassungsänderung das Mandat des Staatspräsidenten von sieben auf fünf Jahre verkürzt. Dadurch fielen die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in das gleiche Jahr, das Modell der Cohabitation wurde dadurch unwahrscheinlicher. Mit Macrons Vorstoß, die Parlamentswahl nach vorne zu verlegen, ist eine Cohabitation wieder wahrscheinlicher geworden.

Ad-hoc-Allianzen bei unklaren Mehrheitsverhältnissen

Ohne absolute Mehrheit eines der Lager stünde Frankreich vor langwierigen Koalitionsverhandlungen. Eine mögliche Alternative wäre eine Übergangsregierung mit Technokraten. Das würde aber einen Stillstand für Frankreich bedeuten, da neue Vorhaben ohne Mehrheit kaum beschlossen werden könnten. Premier Attal schlug vor, dass Konservative, Linke und die Parteien der Mitte im Fall unklarer Mehrheitsverhältnisse Ad-hoc-Allianzen bilden, um in der Nationalversammlung über einzelne Gesetzesvorhaben abzustimmen.

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