Was ist da passiert? 2017 waren sie nicht in der Lage, das Flex auszuverkaufen. Sieben Jahre später sanfteln sie vor 14000 fanatischen Fans in der ausverkauften Wiener Stadthalle. Noch dazu mit einem nebeligen Zeitlupensound. Ihre Songs sind durch etwas Hall, viel Vibrato und eine bewusst teigige Linienführung charakterisiert. Alles passiert in Zeitlupe. Die Musik hat etwas Tastendes. Es genügte ein zartes Bassbrummeln oder ein an Pink Floyd gemahnendes Gitarrenlick, um die Menge augenblicklich in Ekstase zu versetzen. Wie dieses musikalisch rückwärtsgewandte Trio die Generation Z für sich einzunehmen verstand, darüber muss noch gerätselt werden.
Gut, Romantik nimmt einen hohen Stellenwert in jungen Jahren ein, aber das allein kann die enorme Beliebtheit dieser Band nicht erklären. Tatsächlich haben die Amerikaner aus El Paso, Texas, die allerdings längst in New York City leben, eng mit Spotify zusammengearbeitet, um möglichst viel aus den Territorien herauszukitzeln, in denen sie besonders oft gestreamt wurden. In Südkorea etwa, in Indonesien, Kuala Lumpur, Indien und Südamerika, vertickten sie via Spotify spezielle Tickets für ihre Fans. Sie agierten nicht nur clever, sondern waren vor allem auch fleißig. Cigarettes After Sex touren praktisch permanent.
Die Stimme ist nicht zuordenbarIhre Mission ist die Liebe. „Know when to take & when to give” hieß es gleich in der Eröffnungsnummer “X´s”, ein Kürzel das für Küsse steht. Sänger und Komponist Greg Gonzalez, einst Filmvorführer in einem winzigen Programmkino in El Paso, macht seit 2012 Lieder, die sich unmerklich ins Gemüt schleichen. Mit Texten, die Rätsel aufgeben, mit Rhythmen nahe am Stillstand. Rasch verwandelte sich die prall gefüllte Konzertlocaation in ein Lichtermeer. Unzählige Mobiltelefone sorgten für solide Lichtverschmutzung in der Halle. Es gibt kein Konzert von Cigarettes After Sex, das ohne Enttäuschung abgeht. Menschen, die nichts auf Information geben, sind enttäuscht, wenn sie live entdecken müssen, dass diese ätherische, dunkle Stimme keiner Frau gehört, sondern von einem bärtigen, kleinen Mann abgesondert wird.
Dass man diese schöne Stimme keinem Geschlecht zuordnen kann, das ist wohl auch ein Teil des Erfolgsgeheimnisses. Gonzalez übernimmt in seinen in Ich-Form gehaltenen Liebeszenarien auch nicht unbedingt die Rolle des aktiven Lovers. Er lässt sich gerne verführen. Wie in „Tejano Blue“, das mit frenetischem Jubel quittiert wurde. Hier ging es um Hingabe jenseits allen Kalküls: „When you say you want it all, I know you want it all. Baby, take it all from me.” Gonzalez und seine beiden Mitmusiker arbeiteten sich konzentriert durchs Repertoire. „Touch“ berührte stark, bei „Sweet“ gab es schon gellendes Geschrei. Bei „Heavenly“ drohte ein großer Vollmund über dunklen Wassern auf der Leinwand. Als Höhepunkt wurde „Apocalypse“ ans Ende platziert. Der doch etwas alberne Refrain „Your lips, my lips, apocalypse“ erschallte jetzt aus tausenden Kehlen. Sehnsucht ist eine sehr starke Kraft.