China: Regierung agiert bei Bekämpfung der Immobilienkrise hilflos
Mit zahlreichen Ankündigungen hat Peking in den vergangenen Wochen versucht, das Vertrauen in die angeschlagene Wirtschaft wiederherzustellen. Doch sollten nicht bald Taten folgen, droht der Absturz.
Alex Plavevski / EPA
Als der damalige Ministerpräsident Li Keqiang im März verkündete, China strebe für das laufende Jahr ein Wirtschaftswachstum von «rund fünf Prozent» an, waren sich die meisten Experten einig: Das Ziel sei extrem konservativ formuliert, China werde nach dem Ausstieg aus der Null-Covid-Politik im Dezember vergangenen Jahres die Marke von fünf Prozent mit Leichtigkeit übertreffen.
Ziemlich genau fünf Monate später ist jeder Optimismus verflogen. Vielmehr fragen sich immer mehr Analysten, ob China am Rande einer handfesten Wirtschafts- und Finanzkrise steht.
Die Ausfuhren schrumpfen Monat für Monat; auch die Investitionen, die Industrieproduktion und der private Konsum bleiben weit hinter den Erwartungen zurück – das Vertrauen bei Unternehmen und privaten Haushalten ist dahin. Analysten korrigieren ihre Prognosen im Wochentakt nach unten.
Grösste Sorgen bereitet der in schwere Turbulenzen geratene Immobiliensektor, der Hauptgrund für die derzeitige Konjunkturschwäche. Nach dem Immobilienentwickler Evergrande kommt nun auch der bis vor kurzem noch als gesund geltende Konzern Country Garden seinen Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nach.
Weitere Konzerne könnten in Schieflage geratenWeil aber die Kassen vieler Entwickler leer sind und Chinesinnen und Chinesen kaum noch Wohnungen und Häuser kaufen, dürften in den kommenden Monaten weitere Konzerne in Schieflage geraten – mit möglicherweise dramatischen Folgen für die wirtschaftliche Entwicklung. «Mit dem Abschwung im Immobiliensektor steigt das Risiko eines schweren deflationären Schocks für die übrige Wirtschaft», schreibt der Pekinger Analyst Wei He.
Und was noch vor einem Jahr kaum ein Experte für möglich hielt, tritt jetzt ein: Die Immobilienkrise greift auf den Finanzsektor über. Anfang der Woche wurde bekannt, dass der Vermögensverwalter Zhongrong International fällige Zahlungen auf Dutzende Investmentprodukte nicht mehr leisten kann. Zhongrong hat das Geld seiner Anleger zu einem grossen Teil in Immobilienprojekte investiert. Schon machen in Peking Gerüchte die Runde, weitere Banken stünden vor ähnlichen Problemen. Es droht ein Flächenbrand.
Zinssenkungen helfen kaumBeobachter fragen sich nun, wie die Regierung auf die sich verschärfende Krise im Immobiliensektor reagieren wird. Am Dienstag senkte die People’s Bank of China zum zweiten Mal seit Juni einen wichtigen Schlüsselzins. Doch bereits im Juni hatte sich gezeigt, dass solche Zinsschritte nicht ausreichen, um eine Kehrtwende herbeizuführen. Zinssenkungen haben in China ganz generell eine sehr begrenzte Wirkung.
Bislang haben es Regierung und Zentralbank bei Signalen, den Sektor stützen zu wollen, belassen. Konkrete Massnahmen blieb die chinesische Führung schuldig, denn sie steckt in der Zwickmühle.
Einerseits wollen die Behörden schuldenfinanzierten Blasen wie in der Vergangenheit die Grundlage entziehen und sehen darum von weitreichenden Rettungsaktionen für angeschlagene Konzerne ab. Andererseits aber müssen sie einen Sektor stützen, dessen Absturz die gesamte chinesische Wirtschaft in Turbulenzen bringen könnte.
Die Folge: Es geschieht erst einmal nichts.
Rhetorik und Praxis klaffen auseinanderAuf anderen Feldern klaffen Rhetorik und Praxis weit auseinander. So kündigte die Regierung in den vergangenen Wochen eine Reihe von Massnahmen an, die den privaten Konsum stärken sollen. Umgesetzt wurde davon nichts.
Auch legten die Behörden, konfrontiert mit der desolaten Lage der Wirtschaft, lange Listen mit Massnahmen vor, die für neues Vertrauen im Privatsektor und bei ausländischen Unternehmen sorgen sollen.
Allein, die Firmen glauben solchen Ankündigungen längst nicht mehr. Zu gross ist das Misstrauen gegenüber einer Regierung, die in der Vergangenheit immer wieder betonte, kommunistische Ideologie und Parteitreue seien wichtiger als Gewinne.
Unternehmen aus dem Ausland fragen sich, ob sie in China wirklich willkommen sind, legen die neuen Datensicherheits- und Anti-Spionage-Gesetze ihnen doch immer neue Fesseln an. Es hat immer mehr den Anschein, als irrlichterte die Regierung durch die Krise, statt eine stringente Wirtschaftspolitik zu verfolgen.