Bauerndemo in Berlin: Cem Özdemir wird von Tausenden ...
Agrarprotest Das Haushaltsloch der Ampel soll teilweise von den Bauern gestopft werden. Die Aussicht auf höhere Ausgaben für Diesel und die Kfz-Steuer verhagelt ihnen die vorweihnachtliche Stimmung. Besonders einer musste auf ihrer Demo in Berlin büßen
3.000 Traktoren standen am 18. Dezember auf der Straße des 17. Juni in Berlin
Foto: Michele Tantussi/Getty Images
Die Frau von Christof Goebel hat ihrem Mann extra für die heutige Demonstration einen kleinen Traktor auf seinen Filzhut genäht. Goebel, 59, hat einen Ackerbaubetrieb in Lüchow-Dannenberg, einem Landkreis an der Elbe. Zusammen mit drei anderen Familien bewirtschaftet er dort 600 Hektar. Doch anstatt sich um seine Felder zu kümmern, steht Goebel heute in Berlin vor dem Brandenburger Tor und demonstriert gegen die Politik der Ampel-Regierung. Zusammen mit circa 9.000 anderen Bauern. „Das ist ein Ausbluten der Provinz“, findet Goebel. Er kann nicht glauben, dass der Gesetzgeber ihm und den anderen so einen Knüppel zwischen die Füße werfen möchte – ausgerechnet so kurz vor Weihnachten.
Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes hatte die Bundesregierung beschlossen, das klaffende Haushaltsloch teilweise mit Mehreinnahmen aus der Landwirtschaft zu stopfen. So könnten die Bauern bald an zwei Stellen mehr belastet werden. Erstens: die Subventionen für ihren Agrardiesel sollen wegfallen. Bisher können sich Betriebe die Energiesteuer auf Diesel zumindest teilweise erstatten lassen. Wenn sie einen Antrag bei der Zollverwaltung stellen, kriegen sie 21,48 Cent pro Liter zurück. Das ist immerhin etwas in ihren Augen. Schließlich dürfen sie nicht, wie Bauern in Frankreich, das deutlich günstigere Heizöl in ihre Tanks füllen. Zu klimaschädlich.
Zweitens: Dass landwirtschaftliche Fahrzeuge bisher von der Kfz-Steuer befreit sind, soll sich ebenfalls ändern. Die Bauern fürchten, dass ihre Traktoren, Feldhäcksler und Co. bald regulär besteuert werden. Wie LKWs zum Beispiel. „Wenn diese Maßnahmen nicht ersatzlos gestrichen werden, kommen wir wieder“, ruft Joachim Rukwied unter tosendem Applaus den Menschen zu. Sein Bauernverband hatte zur heutigen Großdemo aufgerufen. Und so kam es, dass am Montagmorgen eine Kolonne mit 3.000 Traktoren in Reih und Glied auf der Straße des 17. Juni zum Stehen kommt. Viele Bauern sind auf ihre Traktoren geklettert, um die Bühne vorne besser sehen zu können. Einer hat sich einen Campingstuhl auf das Dach seines Fahrzeuges gestellt. „Zu viel ist zu viel“ lautet das Motto. „Ideologie und Dummheit“ würden die Regierung leiten, steht auf einem Plakat. Und so wundert es nicht, dass die Stimmung kippt, als Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir ans Mikro tritt.
„Geh nach Hause, du Schweinepriester“Er könne ihnen „jetzt nicht das Blaue vom Himmel versprechen“, sagt der Grüne. „Aber ich werde mich mit aller Kraft dafür einsetzen, dass das nicht so kommen kann.“ Schon morgens hatte sich Özdemir im ARD-Morgenmagazin vor die Branche gestellt: Die deutsche Landwirtschaft sei eine „Exportmacht“, die ein Viertel ihrer Produkte außerhalb von Deutschland verkaufe. Die Bauern würden jeden Tag dafür sorgen, dass unsere Teller gut gefüllt seien. Ihnen jetzt die Agrardiesel-Subvention wegzunehmen, würde sie in Wettbewerbsschwierigkeiten mit den anderen EU-Ländern bringen. Wer von einer „klimaschädlichen Subvention“ rede, vergesse, dass es bei einer schweren landwirtschaftlichen Maschine „keine Elektro-Alternativen“ gebe, auf die man einfach umsteigen könne.
Doch so sehr sich der Minister auch auf die Seite der Bauern schlägt: Sie trauen ihm nicht. Er sei zu schwach, hört man. Tatsächlich ist die Entscheidung, die Bauern mehr belasten zu wollen, die Idee eines Triumvirats: Kanzler Olaf Scholz (SPD), Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Finanzminister Christian Lindner haben sich das ausgedacht. Özdemir wurde nicht gefragt.
An einer Stelle übt der Politiker mit anatolischen Wurzeln dann doch Kritik an der Wortwahl der Protestierenden. Nämlich daran, dass ein Redner ihm zuvor vorgeworfen hatte, Politik wie auf einem „türkischen Basar“ zu machen. Das gefällt Özdemir nicht. Klingt ja auch nach Rassismus. Doch spätestens jetzt rasten die Bauern aus. „Geh nach Hause, du Schweinepriester!“, schreit einer von seinem Traktor runter. Höhnisches Gelächter der Umherstehenden. Einige der Protestanten drehen ihre Körper demonstrativ weg von der Bühne. Nicht alle sind zum Reden gekommen. Viele wollen auch einfach ihren Frust rauslassen. Christof Goebel von der Elbe ist gelassener: „Da macht man sich in der Ernährungswirtschaft keinen guten Namen, so wie man da vorgeht“, kritisiert er die Ampel-Pläne.
Landwirt aus Niedersachsen: Meinen Betrieb würden die Ampel-Pläne über 20.000 Euro kostenEr rechnet vor, welche Folgen diese für die Branche hätten. „Ich würde sagen, der durchschnittliche Landwirt würde da von seinem Gewinn zehn, fünfzehn Prozent verlieren.“ Wenn er nicht mehr die Steuer auf den Agrardiesel zurückerstattet bekäme, würde das seinen eigenen Betrieb 15.000 Euro pro Jahr kosten. Hinzu käme die dann anfallende Kfz-Steuer, die er und seine Kollegen für ihre fünf Schlepper bezahlen müssten – Goebel rechnet mit Kosten in Höhe von insgesamt 5.000 bis 7.000 Euro jährlich. „Ich möchte einfach, dass es so bleibt, wie es ist“, sagt er. „Landwirte sind konservativ.“ In toto geht der Bauernverband davon aus, dass der Branche eine Milliarde Euro durch die Lappen gehen, wenn die Streichungen wie geplant beschlossen werden. Doch es gibt auch Menschen, die meinen: Stellt euch nicht so an, Bauern.
Greenpeace zum Beispiel. Die Umweltorganisation ist der Meinung, dass es für die Landwirte machbar sei, wenn ihr Kraftstoff nicht mehr subventioniert würde. „Bei allem Verständnis für die Bauern und Bäuerinnen: Agrardiesel staatlich zu verbilligen ist teuer, klimaschädlich und gehört abgeschafft“, meint Greenpeace-Landwirtschaftsexperte Martin Hofstetter. Interessanterweise haben auch die – eigentlich so subventionsfeindlichen – Liberalen ein Problem mit dem Kompromiss, den ihr Parteichef Christian Lindner ausgehandelt hat. „Die FDP-Fraktion hält die starke Belastung der landwirtschaftlichen Betriebe für nicht zustimmungsfähig“, so FDP-Fraktionschef Christian Dürr gegenüber der Deutschen Presse-Agentur. Lindner habe vor, der Regierung Alternativen vorzulegen, wo das Geld herkommen soll, wenn nicht von den Bauern. Wann genau im Bundestag über das Thema abgestimmt wird? Die Pressestelle des Bundesfinanzministeriums sagt dem Freitag, das wisse man auch noch nicht genau.
Heimlicher Höhepunkt der Demo ist eine Aktion der „Freien Bauern“. Das ist eine Interessengemeinschaft mit nur 1.640 Mitgliedern. Sie repräsentiert kleinere Betriebe und will mit den Spenden von Großkonzernen an den Bauernverband nichts zu tun haben. Doch heute kämpfen sie zusammen mit ihm gegen die Pläne der Bundesregierung. Ein Mitglied hat in Sichtweite zur Bühne einen Feldhäcksler geparkt und die Fahne der Freien Bauern daran gehängt. Mitten in Özdemirs Rede häckselt er unter dem Gejohle der Anwesenden fröhlich drei Strohballen weg. Die hatte er vorher in den Farben einer Ampel angemalt: grün, gelb und rot.