Captagon-Fund in NRW: Vom Medikament zur "Dschihadisten-Droge"
Stand: 21.12.2023 10:25 Uhr
Deutsche Zollfahnder haben nahe der belgischen Grenze eine große Menge an Captagon sichergestellt. Sie fanden 300 Kilogramm der Droge in einem Garagenkomplex an der Autobahn bei Aachen. Ein Zufallsfund? Und welche Rolle spielte NRW dabei? Fragen und Antworten.
Es handelt sich um den bisher größten Fund der Droge Captagon in Deutschland, wie Recherchen von BR, MDR, RBB und SWR gemeinsam mit der Mediengruppe Bayern und der FAZ ergaben. Er steht im Zusammenhang mit weiteren Funden auf den Flughäfen in Köln/Bonn und Leipzig/Halle. Der Marktwert liegt nach Einschätzung der Ermittlungsbehörden bei etwa 60 Millionen Euro.
Im Zentrum der Ermittlungen stehen vier Syrer, die womöglich Teil eines international agierenden Netzwerks sind. Captagon wird vornehmlich in Saudi-Arabien konsumiert, die Herstellung findet überwiegend in Syrien statt. Davon soll der Assad-Clan finanziell in erheblichem Maße profitieren.
Die Droge kurbelt die Leistungs- und Konzentrationsfähigkeit an und unterdrückt Müdigkeit und Schmerzen. Es gibt Berichte, dass Kämpfer der Hamas Captagon als Kriegsdroge genutzt haben sollen - auch über die Attentäter der Terroranschläge am 13. November 2015 in Paris wird gesagt, dass sie Captagon genommen haben sollen. Und auch auf dem Handy des Täters vom Anschlag in Nizza 2016 sollen Spuren der Droge gefunden worden sein.
Arne Meyer-Fünffinger vom Rechercheverbund hat im WDR 5-Interview weitere Fragen zum Fund in NRW beantwortet.
WDR: Wurde gezielt nach dieser Droge gesucht oder war das er so eine Art Zufallsfund?
Arne Meyer-Fünffinger: Dieser große Fund ist in Folge monatelanger Ermittlungen entdeckt worden. Ausgangspunkt war ein Fund des Zolls im Oktober vergangenen Jahres am Flughafen Köln Bonn. Da hat man 60.000 Captagon-Tabletten bei einer Routinekontrolle gefunden. Sie waren versteckt in Bremszylindern. Daraus haben sich weitere Ermittlungen und Kontrollen ergeben. In den darauffolgenden Monaten hat man nochmals am Flughafen Köln/Bonn, aber auch dann am Flughafen Leipzig/Halle Captagon-Tabletten sichergestellt: Dutzende Kilo, die versteckt waren in sogenannter Terminware - also zum Beispiel in einem Pizzaofen oder in Duftkerzen.
Wie ging es dann weiter?
Arne Meyer-Fünffinger: Im Zuge der Ermittlungen stellte sich heraus, dass sich eine große Menge von Captagon im Raum Aachen befinden soll. Die hat man dann auch tatsächlich gefunden bei einer Durchsuchung im Oktober dieses Jahres. Dort hat man dann weit über 300 Kilo entdeckt, die unter anderem in einer Garage, in einem Koffer und in Sandsäcken versteckt waren. Das macht in der Summe den größten Captagon-Fund in Deutschland: Es sind ja insgesamt mehr als 460 Kilo.
Erst Köln/Bonn Flughafen und jetzt dieser große Fund bei Aachen - welche Rolle spielt NRW bei dieser Geschichte?
Arne Meyer-Fünffinger: Die federführende ermittelnde Staatsanwaltschaft in Aachen geht davon aus, dass die vier mutmaßlichen Täter aus Syrien, die man auch in Untersuchungshaft genommen hat, Teil eines international agierenden Netzwerks sind. Möglicherweise könnte es auch Bezüge zu anderen Funden geben. Das muss man jetzt ermitteln. Für NRW, Aachen, könnte ein Grund die Grenznähe sein - zum Beispiel zu Belgien.
Wie läuft der Handel in Europa?
Arne Meyer-Fünffinger: Es ist so, dass Europa - aber auch Deutschland, die Niederlande und die Region Belgien - immer wichtiger werden: nicht nur als Umschlagsplatz für Captagon, sondern auch als Herstellungsort. Es gab im Regensburg im Sommer einen großen Fund. Dort hat man ein Labor ausgehoben.
Woher stammt das gefundene Captagon und wo sollte es hin?
Arne Meyer-Fünffinger: In der Regel wird Captagon in Syrien hergestellt und vor allen Dingen in Saudi-Arabien konsumiert. Man schickt es aber nicht direkt von Syrien nach Saudi-Arabien, weil dort wohl die Kontrollen etwas strenger sind. Wenn man es über Europa umleitet, intern Ware verpackt, dann ist wohl das Entdeckungsrisiko beim Zoll in Saudi-Arabien geringer. Deswegen macht man diesen Umweg.
Was ist Captagon für eine Droge?
Arne Meyer-Fünffinger: Ursprünglich ist Captagon produziert worden in den 60er-Jahren von der Pharmafirma Degussa. Das ist eine ganz normale Tablette gewesen, die man eingesetzt hat in der Behandlung psychischer Erkrankungen. Der Wirkstoff Fenetyllin Hydrochlorid war zum Beispiel enthalten - und in der Folge hat man dieses Präparat wieder vom Markt genommen. Denn:
Captagon ist ein hochgradig süchtig machendes Präparat.
Arne Meyer-Fünffinger, Rechercheverbund
Captagon war auch im Zusammenhang mit der Hamas in den Schlagzeilen.
Arne Meyer-Fünffinger: Es gab Medienberichte in Israel, dass das Militär bei einigen Hamas-Terroristen, die am 7. Oktober Israel angegriffen haben, Captagon sichergestellt haben soll. Das ist offiziell aber nicht bestätigt.
Wer vertreibt Captagon und verdient damit Geld?
Arne Meyer-Fünffinger: Nach Erkenntnissen von Nachrichtendiensten und auch internationalen Behörden findet die Herstellung vor allen Dingen in Syrien statt. Es gibt in den USA den sogenannten Captagon-Act, ein Gesetz, mit dem man sicherstellen wollte, dass man diese Produktion unterbricht, weil immer wieder der Assad-Clan in Syrien damit in Verbindung gebracht worden ist. Er soll an der Produktion kräftig mitverdienen - das spielt eine Rolle, weil man sonst auch im Zuge der Sanktionen keine großen Einnahmen hatte.
Dieses Interview wurde am 21.12.2023 im WDR5 Morgenecho gesendet. Die Text-Version des Interviews wurde der Einfachheit bzw. Leserlichkeit halber leicht bearbeitet. Die Fragen stellte Andrea Oster.