Der größte Tag in der Bundesliga-Geschichte des OFC

24 Aug 2024
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Stand: 24.08.2024, 07:49 Uhr

Von: Holger Appel

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Chancenloser Weltmeister. Bayern-Torjäger Gerd Müller (Mitte) gegen die Offenbacher Hans Schmidradner (links) und Manfred Ritschel. © imago

Sieben Jahre hat Kickers Offenbach in der Fußball-Bundesliga gespielt. Der höchste Sieg gelang ausgerechnet gegen Bayern München – vor exakt 50 Jahren

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Foto op-online.de

Offenbach – Was war das nur für eine Blamage für die Münchner zum Auftakt der 12. Saison in der Bundesliga? Sie waren mit ihren Weltmeistern Sepp Maier, Franz Beckenbauer, Uli Hoeneß, Gerd Müller und Georg Schwarzenbeck nach Hessen gereist. Nicht ganz so siegessicher wie gewohnt, da sie nach dem deutschen WM-Triumph daheim in München gegen die Niederlande und einigen Wochen Urlaub nur wenig Vorbereitungszeit hatten. Und sie waren chancenlos gegen fulminant auftretende Offenbacher.

Kickers-Trainer Otto Rehhagel nahm den sensationellen Sieg gegen den Branchenkrösus nüchtern zur Kenntnis. „Überbewerten werden wir dieses 6:0 sowieso nicht. Nur eins: Diese zwei Punkte gegen die Bayern haben wir – die nimmt uns keiner mehr ab.“ Die Kickers waren nach diesem 6:0 erstmals in ihrer Geschichte Tabellenführer in der Bundesliga.

Bayerns Trainer Udo Lattek war nach der Partie angefressen. Er wollte die schwache Leistung seiner Mannschaft nicht analysieren („Es gibt viele Faktoren, über die ich hier nicht sprechen möchte“) und fand für die starke Vorstellung der Kickers keine passenden Worte: „Die Offenbacher hatten das Glück des Tüchtigen. Sie haben zwar verdient, aber um einiges zu hoch gewonnen“, sagte er. „Sie tun gut daran, auf dem Boden der Tatsachen zu bleiben“, gab Trainer Lattek den Kickers mit auf den Weg. Letzteres stimmt zwar, klingt aber nach großem Frust und schlechtem Verlierer.

Der vierte Treffer der Kickers. Sigi Held (rechts) setzt sich gegen Bayern-Torwart Sepp Maier und Jupp Kapellmann durch. © imago

OP-Reporter Wolfgang Tobin schrieb in seinem Aufmacher in der Ausgabe vom 26. August 1974 vom „stolzesten Tag der Bundesliga-Geschichte. Die Kickers stürzten den Titelverteidiger Bayern München mit einem deklassierenden 6:0 vom Sockel, der – errichtet mit acht Nationalspielern, fünf Weltmeistern, drei deutschen Meistertiteln in Folge und dem Europacupsieg – als nicht umzustoßen galt“. Tobin schwärmte weiter, in für die heutige Zeit im Sportjournalismus ungewöhnlichen Sätzen: „Wie ein Ungewitter mit den gewohnten kämpferischen Donnerschlägen und bislang unbekannten spielerischen Blitzen fegte der respektlose OFC über die behäbigen bayerischen Majestäten hinweg, die bereits am ersten Spieltag die bittere Erfahrung machen mussten, dass sie im Bundesliga-Alltag mit vielem rechnen können – nur nicht mit Furcht und Untertanengeist vor WM-gekrönten Häuptern.“ Wunderbar formuliert, es macht auch 50 Jahre nach dem Triumph der Kickers noch Spaß, das zu lesen.

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Die Offenbacher hatten für die Partie nach Frankfurt ausweichen müssen, da der Rasen im Stadion auf dem Bieberer Berg neu verlegt worden war. Doch sie waren auch beim Heimspiel in Frankfurt gleich voll da. „Die Münchner sahen vor lauter WM- und Europacup-Wald die Bundesliga-Bäume nicht. An den stämmigen Kickers rannten sie sich prompt den Schädel ein“, philosophierte Tobin weiter und sorgt heute noch für Erheiterung.

Er lobte Offenbacher Spieler wie Manfred Ritschel („Degradierte Wunder zum Statisten“), Peter Enders („Hatte Hoeneß 90 Minuten im Griff“), Hans Schmidradner („Entnervte Gerd Müller“), Libero Wolfgang Rausch („Einfach großartig“), Winfried Schäfer („Gewann das Laufduell mit Zobel um Längen“) oder Filigrantechniker Dieter Schwemmle („Hat mit dem Selbstvertrauen und dem Mut, sich durchzusetzen, endlich den erhofften Erfolg gefunden“). Sie alle lösten laut Tobin nicht nur ihre Deckungsaufgaben mit großer Zuverlässigkeit, sondern begradigten mit viel Spielwitz und nimmermüdem Einsatz das Terrain, auf dem sich Sigi Held („Gab eine Lehrvorstellung in Sachen Angriffswucht“), Erwin Kostedde („Fußball-Rastelli“) und Norbert Janzon („Wesentliche Verstärkung, enteilte dem dänischen Nationalspieler Johnny Hansen immer wieder“) mit viel Effekt bewegen konnten. Dass Bundestrainer Helmut Schön den damals 32 Jahre alten Kapitän Held angesichts seiner Klasse nicht für die WM nominiert hatte, verstanden unsere Reporter rund um das Bayern-Spiel nicht. Held hatte zum 4:0 getroffen. Die weiteren Tore der Kickers erzielten Schwarzenbeck per Eigentor (nach Schuss von Winfried Schäfer), Schwemmle, Kostedde (2) und Bihn.

Nicht zu vergessen: Torhüter Fred-Werner Bockholt, der den Angaben Tobiens zufolge gegen die Bayern „mit unglaublichem Reaktions- und Fangvermögen dieses Ergebnis ermöglichte“. Gerd Müller war in der Endphase frei vor Bockholt gescheitert, auch Hadewicz, Rummenigge, Hoeneß, Wunder und Zobel hatten den Torwart der Kickers nicht überwinden können. Immerhin: Bockholts Leistung fand beim schlecht gelaunten Lattek noch Erwähnung, allerdings in einem schiefen Bild „Er hat uns immer wieder den Kopf abgeschlagen“, sagte er. Kopflose Bayern, naja, kommen heute nur noch selten vor.

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Trainer Lattek sagte am Ende des für ihn desaströsen Tages: „Wir müssen das Feld jetzt halt von hinten aufrollen.“ Das gelang seinen Bayern, nach dem ersten Spieltag natürlich Tabellenletzter, nur bedingt. Platz zehn mit 34:34 Punkten und 57:63 Toren. Die Kickers waren am Ende erneut besser: Rang acht mit 38:30 Punkten und 72:62 Toren. Sie waren in der Hinrunde immerhin noch fünfmal Tabellenführer. Man erinnert sich sehr gern zurück an diese Offenbacher Glanzzeit mit großartigen Fußballern.

Von Holger Appel

Die Eintrittskarte von 1974 stammt – wie auch das Plakat – vom Team des Fanmuseums. © stammt – wie auch das Plakat – vom Team des Fanmuseums.

Das Plakat zum großen Spiel von 1974. © AgenturenKickers Offenbach - Bayern München 6:0 (3:0)

Kickers Offenbach: Fred-Werner Bockholt: Volker Faß, Wolfgang Rausch, Hans Schmidradner, Peter Enders, Manfred Ritschel, Winfried Schäfer, Sigfried Held, Norbert Janzon, Erwin Kostedde (81. Egon Bihn), Dieter Schwemmle - Trainer: Otto Rehhagel

FC Bayern München: Sepp Maier; Rainer Zobel, Johnny Hansen, Jupp Kapellmann, Georg Schwarzenbeck, Franz Beckenbauer, Uli Hoeneß, Erwin Hadewicz (51. Bernd Dürnberger, Klaus Wunder - Trainer: Udo Lattek

Tore: 1:0 Schwarzenbeck (23./ET), 2:0 Schwemmle (31.), 3:0 Kostedde (48.), 4:0 Held (54.), 5:0 Kostedde (72.), 6:0 Bihn (89.) - Schiedsrichter: Klaus Ohmsen (Hamburg) - Zuschauer: 35 000

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