London. „Make England Great Again“: Unter diesem Titel ließe sich die Invasion von US-Investoren im englischen Fußball beschreiben. Denn inzwischen befindet sich die Hälfte der englischen Erstligisten unter der Kontrolle von amerikanischen Firmen: also zehn von 20 Klubs, unter ihnen die Weltmarken Arsenal, Chelsea, Liverpool und Manchester United.
Anschaffung und Führung von Premier-League-Vereinen sind in den vergangenen Jahren so kostspielig geworden, dass sie nur von vermögenden Investorenriesen gestemmt werden können. Und kaum ein Land besitzt davon so viele wie die durchkapitalisierten USA. Der Reiz für die US-Kapitalgeber besteht in dem durch die Decke gehenden weltweiten Fan-Interesse an der Premier League – sie wollen es kommerzialisieren und dann monetarisieren.
Durch die zuletzt kontinuierlich steigenden TV-, Sponsoren-, Merchandising- und Ticket-Erlöse haben die Spitzenklubs eine enorme Wertsteigerung erfahren, ihr Umsatz geht auf die Milliardengrenze zu. Beispielhaft für die Vorstellungen der US-Eigentümer dürfte der englische Dauerfußball am berühmten Boxing Day stehen, dem zweiten Weihnachtsfeiertag am 26. Dezember.
Der Fußball rollt immerAuch in diesem Jahr wird quasi von 12 Uhr bis 22 Uhr durchgespielt. Der US-Handelsriese Amazon sicherte sich über seinen Ableger Prime Video die Live-Übertragungsrechte für diesen Spieltag, er gilt wegen der hohen Zuschauerzahlen als der lukrativste im gesamten Spielkalender.
Trotzdem verbuchten nur vier Vereine in der Saison 2022/23 laut dem Deloitte-Finanzreport einen Gewinn – weshalb vor allem die US-Besitzer immer kuriosere Ideen entwickeln, um das Spiel finanziell auszuschlachten. Das Ziel ist es wohl, Fußballfans zu größeren Konsumenten zu machen.
Josh Wander, einer der US-Mitgründer von 777 Partners, die einst eine am Ende wieder aufgelöste Kaufvereinbarung für den FC Everton abschlossen, legte die Vision dar, den Leuten irgendwann keine Stadion-Hot-Dogs mehr zu verkaufen, sondern Versicherungen und andere Finanzleistungen. Londons Nischenklub Fulham stellt gerade eine neue Haupttribüne fertig, die mit einer Sondergenehmigung ein Stück weit in die Themse hineingebaut worden ist. Sie enthält ein Boutique-Hotel, ein Michelin-Stern-Restaurant und einen Wellnessbereich mit Außenpool auf dem Dach.
Liverpool gegen Leicester rundet das Feiertagsprogramm am Abend ab. Imago / David Rawcliffe
Als Vorbild dient das Stadion des NFL-Klubs Jacksonville Jaguars, dem auch der amerikanisch-pakistanische Fulham-Besitzer Shahid Khan vorsteht. Und Chelseas Miteigner Todd Boehly warb nach der Chelsea-Übernahme für ein All-Star-Game. Dabei soll der frühere Chelsea-Profi Pat Nevin den Klub sogar vor einer weiteren ähnlichen Überlegung gewarnt haben, der Einführung einer Kiss Cam, die in anderen Sportarten der Unterhaltung in Spielpausen dient. „Nein, macht keine Kiss Cam“, habe er Chelsea mitgeteilt, sagte Nevin der BBC: „Das ist eine Kleinigkeit, aber ihr könnt euch nicht vorstellen, welche Reaktion ihr bekommen würdet.“
Der Fan zahlt den PreisDas Traditionspublikum steht der Amerikanisierung des englischen Fußballs skeptisch gegenüber, auch aufgrund der damit verbundenen deutlich steigenden Ticketpreise. Zu Saisonbeginn kündigte das US-geführte Aston Villa an, für die Champions-League-Vorrundenheimspiele einen Topzuschlag von bis zu 97 Pfund pro Eintrittskarte zu verlangen. Die Fans reagierten mit wütenden Protestschreiben. Auch Liverpools Anhänger demonstrierten gegen den eigenen Klub wegen Preiserhöhungen, sie stellten im April in einem wichtigen Europapokal-Match den ganzen Support ein.
In einem Essay der „New York Times“ mit dem Titel „Als ein Haufen verdammter Amis den englischen Fussball holte …“ kritisiert Nevin die Entwicklung: Die Ausbeutung eines Vereins sei vielleicht in den USA tragbar, aber einem englischen Fan gehe diese ins Mark. Die britische Regierung reagierte auf das Profitstreben der Investoren, indem sie nach der gescheiterten Gründung einer europäischen Superliga, die das Ligensystem in Europa gefährdet hätte, eine unabhängige Aufsichtsbehörde verabschiedete. Ein solches Kontrollgremium soll in Zukunft unter anderem den Einfluss der US-Kapitalgeber begrenzen. Denn aus Sicht der Engländer ist das eigene Spiel bereits großartig genug.
Boxing-Day-Topspiele: Man City – Everton (13.30), Chelsea – Fulham (16), Liverpool – Leicester (21).