„Hit Me Hard and Soft“: das neue Billie Eilish-Album ist da!
Mit ihrem dritten Album geht Billie Eilish auf Nummer sicher. Oder: was passiert, wenn man zu hohe Erwartungshaltungen hat.
Von Christoph Sepin
Kann man zuviele Ideen haben? Das ist ein Gedanke, den man hat, wenn man sich das neue Billie Eilish Album anhört. Lieder beginnen oft eher ruhig und bescheiden und werden dann zum Finale hin ganz anders. Und anders bedeutet hier: spannender. „Hit Me Hard and Soft“ ist in seinen großen Momenten ein erstklassiges Dance-Album und in anderen eine Platte, deren Längen man hört.
Vor ein paar Monaten ist Billie Eilish zur jüngsten, mit zwei Oscars ausgezeichneten Person geworden. Ein Moment, der repräsentativ für ihre Karriere in diesem Moment ist. „What Was I Made For?“ vom Soundtrack zu Greta Gerwigs Film „Barbie“ ist sicher nicht der beste Billie Eilish-Song, aber es ist der groß ausgezeichnete. Was vermuten lässt: manchmal reicht einfach der Name, oder, fast ein bisschen zynisch, die Marke, um damit zu begeistern.
Was zum Nachdenken bringt: Haben Billie Eilish und ihr musikalischer Partner und Bruder Finneas das größte Glück, das man als Musiker:innen haben kann? Nämlich das zu veröffentlichen, was sie wollen und der Erfolg ist garantiert? Also komplette kreative Freiheit? Und warum, wenn dem so ist, klingt „Hit Me Hard and Soft“ in vielen Momenten so bedacht darauf möglichst vielen Menschen zu gefallen?
Billie Eilish hat beim Produzieren des neuen Albums Radiohead, My Bloody Valentine und Deftones gehört. Davon hört man leider nichts auf „Hit Me Hard and Soft“. Man fühlt sich (überraschenderweise) eher an Bands wie Faithless erinnert, was eh auch super ist. Eilishs Lieder sind poliert, massentauglich und qualitativ super sorgfältig durchdacht. Da sitzt jede Drum dort wo sie soll, jeder Sound genau da, wo man ihn haben will. In der Popwelt sind Billie und Finneas produktionstechnisch ganz oben, das ist respektabel, aber lässt immer bisschen wundern, was sich noch alles ausgehen würde.
Es ist wahrscheinlich das Suchen nach Problemen auf sehr hohem Niveau und so eine Sache mit sehr großen Erwartungshaltungen. Vielleicht ist das auch unfair Musiker:innen gegenüber zu glauben, dass hier mindestens ein Album des Jahres veröffentlicht wird oder sogar ein All-Time-Great für Jahrzehnte. Vielleicht auch nicht, weil doch Momente durchblitzen, die erstaunlich, großartig, brillant sind. Das Outro von „Chihiro“, das Outro von „Blue“, das Outro von „L’Amour De Ma Vie“.
Outros. Lieder auf „Hit Me Hard and Soft“ sind lang, teilweise über fünf Minuten. Weil da eben sehr viel reingepackt werden muss. Was wundern lässt: warum nicht runtercutten, reduzieren, Ideen rauslassen und dann wirklich ein Album der nur großen Momente veröffentlichen? Aber, wieder zynisch gedacht, vielleicht wird hier versucht so viele Menschen wie möglich zufrieden zu stellen. Ein bisschen was für alle: für den Sonntagnachmittag genauso, wie für den Club.
„Hit Me Hard and Soft“ könnte damit symbolisch für Billie Eilishs Beziehung zur Musikwelt stehen, die ambivalent ist. Schon am letzten (besseren) Album „Happier Than Ever“ hat sie das Gefühl besungen, dass sie das was sie früher so sehr mochte, das Musik machen, jetzt nur noch als Job ansieht: „Things I once enjoyed, just keep me employed now“, hat sie auf „Getting Older“ gesungen. Jetzt stehen andere Statements im Fokus: „I’m trying my best to keep you satisfied“, singt sie auf „The Greatest“ (Auch hier wieder: was für ein Outro!), was natürlich in Richtung einer (ehemaligen) geliebten Person gemeint sein, aber auch für ihre Beziehung zur Popwelt und gesamten Musikindustrie stehen könnte.
Das sind jetzt alles sehr viele Mutmaßungen, deswegen hier noch ein paar Absolute: der fantastische Lovesong „Lunch“ ist der größte Hit den Billie Eilish seit „Bad Guy“ rausgebracht hat. Der Song „Chihiro“ der beste, den je jemand über einen Hayao Miyazaki-Film geschrieben hat und „Twenty-one took a lifetime“ aus dem Song „Skinny“ eine der besten biografischen Zeilen.
„Hit Me Hard and Soft“ ist ein old-schooliges Popalbum, das manchmal an 90er Jahre Eurodance erinnert und sich dann wieder wohler als sanfter Entspannungssoundtrack anfühlt. Und das fix ein bestes Setting hat, in dem man es sich anhören sollte: stellt euch vor, ein regnerischer Tag. Man geht raus, ohne Regenschirm, mit nassen Haaren und geht einfach spazieren. Und man fühlt sich sehr cool dabei.
Weil das ist Billie Eilishs große Stärke weiterhin: egal, wie Lieder produziert und umgesetzt werden, da wird so ein Selbstbewusstsein, oder englisch gesagt: Empowerment, vermittelt, da kann man sich nur so cool beim Hören fühlen, wie das Billie Eilish wahrscheinlich beim Musikmachen tut. Nächstes Jahr spielt Billie Eilish ihr erstes Nicht-Festival-Konzert in Österreich in der Wiener Stadthalle. Es ist natürlich bereits ausverkauft.
Publiziert am 17.05.2024
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