Barbie-Film: Billie Eilish steuert „What Was I Made For?“ zum ...

13 Jul 2023
„What Was I Made For?“: Wie ist der Barbie-Song von Billie Eilish?

Am Donnerstag kam der Song von Billie Eilish zum Barbie-Film heraus. Der Kitsch hat seine Unschuld, aber nicht seinen Schrecken verloren. Die Kritik.

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Foto Berliner Zeitung

Geglückter Mode-Konter: Billie Eilish bei der Premiere von Barbie am 9. Juli im Shrine Auditorium in Los Angeles.Chris Pizzello/AP

In einer Woche kommt „Barbie“ heraus, der erste Realfilm nach der gleichnamigen Puppe mit den blonden langen Haaren und den noch längeren Beinen. Gedreht hat ihn die Schauspielerin, Regisseurin und Produzentin Greta Gerwig; Margot Robbie spielt die Titelrolle und Ryan Gosling Barbies Boyfriend Ken. Angekündigt ist der Film als eine romantische Komödie. Und ich habe seit Tagen einen Kloß im Hals. Was ist da los?

Es liegt wohl auch an Billie Eilishs Song zum Film, den sie am heutigen Donnerstag mit ihrem Bruder Finneas O’Connell veröffentlicht hat und der wie schon ihr James-Bond-Titelsong „No Time to Die“ ein Meisterwerk ist. Die Titelzeile des Barbie-Lieds reicht schon, um meine seelische Besaitung zu beanspruchen: „What Was I Made For?“. Ausgerechnet das reflektierte ehemalige Pullover-Mädchen Billie Eilish, das sich immer wieder von allen Fremdzuschreibungen befreit, spielt mit der Modepuppe?

Billie Eilish - Figure 2
Foto Berliner Zeitung

Das Musikvideo spielt in einem leeren Raum, wo die mit einem gelben Sixties-Kleidchen als Barbie angezogene Billie Eilish den Kleiderschrank ihrer Puppe sortiert. Alles ist gut, bis Windmaschine und einsetzender Regen die Ordnung ruinieren. Sie singt davon, dass sie vergessen hat, wie man sich glücklich fühlt, ja, dass sie nicht sicher ist, wie das Fühlen überhaupt geht. Sie wird es versuchen. Wir sollen es Ken nicht verraten, denn für solche Bekenntnisse ist er nicht gemacht. Wofür auch immer er gemacht sein könnte. Oder eben sie. „What was I made for?“

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Es ist nicht so, dass ich Barbie je zum Fetisch- oder Hassobjekt auserkoren oder als Menetekel der Kulturkritik benutzt hätte, sie war irgendwann ins Zimmer meiner Kinder eingezogen und lag dann bald nur rum. Ich habe höchstens mal ihre schnell struppig gewordenen Haare etwas zu aggressiv durchgekämmt, weil ich wollte, dass das Ding wieder funktioniert. Was außer kämmen soll man sonst damit anfangen?

Billie Eilish - Figure 3
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Die Handlung des Films lässt der durchaus sattmachende Trailer schon deutlich ahnen. Barbie feiert wie jeden Tag im Barbie-Land den besten Tag ihres Lebens. Die Welt ist heil, harmonisch eingerichtet – von der übersichtlichen und natürlich unschuldigen Beziehungsstruktur zu Ken bis hin zu den perfekten Massenchoreografien der alltäglichen Tanzpartys. Das ist eine brutale Metapher für die Kindheit. Wenn es so bleibt, ist es die Hölle, allein das unter diesem Namen geschützte Barbie-Pink zerfetzt einem die Nerven. Aber noch furchterregender wäre es, wenn sich etwas ändert. Und das muss es natürlich, damit sich eine Erzählung entwickeln kann. Und deswegen verschlägt es Barbie in die echte Welt.

Wenn ich Billie Eilish höre, will ich immer schnell eine Tür schließen und leise weggehen, weil ich das Gefühl habe, zu stören. Ich bin ja auch nicht gemeint, sondern die nächste Generation, aber nicht als Ganzes, sondern jedes einzelne zwischen Verpuppung und Metamorphose befindliche Individuum. Die erst 2001 geborene Billie Eilish gehört gerade noch so zur Peergroup der Kinder, die groß werden mussten, als die Pandemie sie in die Isolation ihrer Zimmer und die mediale Verstöpselung zwang, vor die Bildschirme und unter die Kopfhörer. In diesen Kapseln kam ihnen Billie Eilish so nah, dass ihr Atem die Flimmerhärchen in den Ohren streichelte und dieses sanfte Gefühl des Verstehens vielleicht mit der erwachenden Sexualität korrespondierte, während Begegnungen mit echten Menschen reduziert und der in diesem Alter so nötige Aufbruch in die Außenwelt gebremst waren. 

Billie Eilish - Figure 4
Foto Berliner Zeitung

„Nimm meine Hände“, sagt die von der 92-jährigen Kostümbildnerin Ann Roth gespielte Mentorin in einem der Vorab-Trailer mit bestimmter, aber schwacher Stimme. „Schließe deine Augen und fühle.“ Und noch bevor die unvergänglich faltenfreie Barbie darüber nachzudenken Gelegenheit hat, was das Knittrige in dem Gesicht ihres Gegenübers sein könnte, steigen zarte und sehr simple Tonika-Subdominant-Dominant-Klavierakkorde auf und drehen ein paar atmende Mantra-Runden, bevor Barbie, pardon Billie Eilish ihre Stimme hereinwehen lässt, diesen dunkelsüßen und hellbitteren, mit Glitzerpartikeln besetzten und Raureif überzogenen Hauch aus dem Herzensgrund, erschöpft, aber leicht, das Allrätsel anrufend und der Antwortahnungen schon knapp überdrüssig seiend, Zunge und Lippen ein bisschen zu müde für die Arbeit des Worteformens, aber doch gerade motiviert genug, um die Zeile zu verstehbar zu machen: „What was I made for?“

Billie Eilish - Figure 5
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Aber, ach, verstehen, wozu? Das o aus „for“ scheint sich aus der Umklammerung des Wortes zu befreien, aus der Bedeutung der Frage zu lösen, sich selbst zu genügen, im weiten Echoraum der Leere aufzusteigen und fortzutreiben wie eine Seifenblase, gefüllt mit Billie Eilishs Funkelstimme. In einer Zeile, einem Wort, einem Buchstaben, der zum Klang ausfasert, lässt diese Künstlerin das Drama des Erwachsenwerdens miterleben: Loslösung, Einsamkeit, Todesahnung und Sehnsucht. Zugleich sieht man einen Tropfen aus dem Auge Barbies dringen und über die Makellosigkeit ihres Gesichts rollen. Schmerz und Trauer drücken sich aus, ja. Aber auch eine Reklamation: Was hat sich der Hersteller dabei gedacht, mich mit Verletzlichkeit auszustatten? Das tut doch weh! Und wo war die Trigger-Warnung?

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