Empörung in Israel: Haager Chefankläger beantragt Haftbefehl ...

20 Mai 2024
Benjamin Netanjahu

Der Ankläger am Internationalen Strafgerichtshof wirft Israels Premier Netanjahu, dessen Verteidigungsminister Galant sowie Hamas-Anführern Verbrechen in Israel und Gaza vor. Nicht nur in Israel ist die Empörung groß: Auch international wird der Chefankläger scharf kritisiert.

Den Haag. Der Ankläger des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag hat beantragt, dass gegen Israels Regierungschef, Benjamin Netanjahu, und dessen Verteidigungsminister, Joaw Galant, internationale Haftbefehle erlassen werden. Gleichzeitig beantragte Chefankläger Karim Khan Haftbefehle für drei Hamas-Führer.

Khan sagte, er glaube, dass Netanjahu, Galant und die Hamas-Führer Jahia Sinwar, Mohammed Ibrahim al-Masri und Ismail Haniyeh für Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Gazastreifen und in Israel verantwortlich seien. Sinwar ist Oberbefehlshaber der Hamas im Gazastreifen, al-Masri Chef der al-Qassam-Brigade und Haniyeh Leiter des Politischen Büros der Hamas.

Hamas-Terroristen hatten bei ihrem brutalen Überfall auf ein Musikfestival und israelische Kibbuzim am 7. Oktober 1200 Menschen ermordet, die allermeisten waren Zivilisten, darunter zahlreiche Kinder, ältere Menschen, Frauen. Die Terroristen folterten, vergewaltigten, peinigten ihre Opfer. Sie nahmen 250 israelische Geiseln, die sie in den Gazastreifen verschleppten. Etwa 130 Geiseln befinden sich noch in der Gewalt der Hamas. Israel hatte daraufhin den Gazastreifen angegriffen, mit dem Ziel, die Hamas zu vernichten.

„Unvorstellbarer Schmerz“

Khan wirft den Hamas-Führern unter anderem „Ausrottung“ sowie Mord, Geiselnahme, Vergewaltigungen und Folter als Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor. Er sagte, er habe die „verheerenden Szenen dieser Angriffe und die tiefgreifenden Auswirkungen der skrupellosen Verbrechen, die in den heute eingereichten Anträgen angeführt werden“, mit eigenen Augen gesehen. In Gesprächen mit Überlebenden habe er erfahren, „wie die Liebe innerhalb einer Familie, die tiefsten Bindungen zwischen Eltern und Kindern, verzerrt wurden, um durch kalkulierte Grausamkeit und extreme Gefühllosigkeit unvorstellbaren Schmerz zu verursachen. Für diese Taten muss Rechenschaft abgelegt werden.“

Die Hamas forderte umgehend, dass die Anklage gegen ihre Anführer zurückgenommen werde. Damit würden „Opfer und Henker“ gleichgesetzt.

Netanjahu und Galant wird vorgeworfen, für zielgerichtete Angriffe auf Zivilisten verantwortlich zu sein: „Die Auswirkungen des Einsatzes von Hunger als Methode der Kriegsführung zusammen mit anderen Angriffen und kollektiven Bestrafungen gegen die Zivilbevölkerung in Gaza sind akut, sichtbar und weithin bekannt.“ Dazu gehörten „Unterernährung, Dehydrierung, tiefes Leid und eine wachsende Zahl von Todesfällen unter der palästinensischen Bevölkerung, darunter Babys, andere Kinder und Frauen“.

Große Empörung in Israel

In Israel ist die Empörung groß: Sein Land führe „einen der gerechten Kriege der modernen Geschichte. Die Haltung des Staatsanwalts, Haftbefehle zu beantragen, ist selbst ein Verbrechen von historischem Ausmaß, an das man sich noch über Generationen hinweg erinnern wird“, sagte Benny Gantz, ein ehemaliger Militärchef und mit Netanjahu und Galant Mitglied des Kriegskabinetts. Israel kämpfe mit einem der strengsten Moralkodizes und verfüge über eine robuste Justiz, die in der Lage sei, gegen sich selbst zu ermitteln.

Ganz war zuletzt selbst harter Kritiker Netanjahus und drohte ihm, aus dessen Regierung auszutreten, falls er bis 8. Juni keine Nachkriegsordnung für den Gazastreifen vorlegt. Sollten seine Erwartungen nicht erfüllt werden, werde er seine zentristische Partei aus der Notstandsregierung zurückziehen, hatte Ganz am Samstag angekündigt.

»Dies ist ein Verbrechen von historischem Ausmaß, an das man sich noch über Generationen hinweg erinnern wird.«

Benny Gantz zu den beantragten Haftbefehlen gegen Israel

Netanjahu schrieb auf X, Israel werde unter seiner Führung „niemals irgendeinen Versuch des Strafgerichtshofs akzeptieren, sein inhärentes Recht auf Selbstverteidigung zu untergraben“.

Selbst die Opposition zeigte sich schockiert: Oppositionsführer Jair Lapid sprach von einem „völligen moralischen Versagen“ und einem „empörenden Vergleich“ zwischen den Anführern Israels und der Hamas. 

Präsident Jizchak Herzog appellierte an die internationale Gemeinschaft: Man werde nicht vergessen, wer „diesen Krieg begonnen hat und wer unschuldige Bürger und Familien vergewaltigt, abgeschlachtet, verbrannt, misshandelt und entführt hat. Wir erwarten von allen Führern der freien Welt, dass sie diesen Schritt verurteilen und ihn entschieden ablehnen.“

Internationale Kritik

International hagelte es jedenfalls Kritik: US-Präsident Joe Biden bezeichnete den Antrag in einer ersten Reaktion als „empörend“. Was auch immer der Chefankläger bezwecke, es gebe keinerlei Gleichwertigkeit zwischen Israel und der Hamas. Die USA stünden immer an der Seite Israels bei Gefahr für dessen Sicherheit.

Der britische Premier Rishi Sunak betonte, der Antrag sei jedenfalls nicht hilfreich beim Versuch, eine Feuerpause zu erzielen.

Auch Österreichs Bundeskanzler Karl Nehammer schrieb auf X: „Wir respektieren die Unabhängigkeit des IStGH. Dass die Anführer der Terrororganisation Hamas, deren erklärtes Ziel die Vernichtung des Staates Israel ist, in einem Atemzug genannt werden mit demokratisch gewählten Vertretern ebendieses Staates, ist nicht nachvollziehbar.“

Richter am Zug

Ob die Haftbefehle erlassen werden, müssen die Richter des Tribunals entscheiden. Der Chefankläger muss die Haftbefehle bei einem aus drei Richtern bestehenden Voruntersuchungsausschuss beantragen. Dieser braucht normalerweise etwa zwei Monate, um zu entscheiden.

Der Gerichtshof hat zwar keine Möglichkeiten, Haftbefehle zu vollstrecken. Aber im Fall einer Vollstreckung sind die Vertragsstaaten des Gerichts verpflichtet, die Angeklagten festzunehmen und dem Haager Gericht zu übergeben, sobald sich diese in ihrem Land befinden. Israel ist kein Vertragsstaat des Internationalen Strafgerichtshofs. (htz, basta)

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