Antrag auf Haftbefehl: Drastische Kritik von Netanjahu

21 Mai 2024

Antrag auf Haftbefehl

Der israelische Regierungschef Benjamin Netanjahu hat die Beantragung eines Haftbefehls gegen ihn durch den Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) scharf kritisiert. Er weise jeglichen von IStGH-Ankläger Karim Khan gezogenen „Vergleich zwischen dem demokratischen Israel und den Massenmördern der Hamas mit Abscheu zurück“, sagte Netanjahu am Montag. Der Haftbefehl hatte in Israel Empörung ausgelöst.

Benjamin Netanjahu - Figure 1
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Khan hatte zuvor wegen mutmaßlicher Verbrechen gegen die Menschlichkeit und mutmaßlicher Kriegsverbrechen Haftbefehle gegen Netanjahu und seinen Verteidigungsminister Joav Galant sowie gegen die Anführer der terroristischen Palästinenserorganisation Hamas beantragt. In seinem Antrag warf Khan Netanjahu und Galant mutmaßliche „gezielte Tötung“, „Aushungern“ sowie „Vernichtung und/oder Mord“ im Zuge des Gaza-Krieges vor.

„Mit welcher Unverfrorenheit wagen Sie es, die Monster der Hamas mit den Soldaten der israelischen Armee zu vergleichen, der moralischsten Armee der Welt?“, fragte Netanjahu. Das sei, als wenn man während des Zweiten Weltkriegs den damaligen US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt mit Adolf Hitler moralisch gleichgestellt hätte, sagte der israelische Regierungschef.

Ganz: Haftbefehl „Verbrechen von historischem Ausmaß“

Dem IStGH-Chefankläger warf er vor, „kaltschnäuzig Öl ins Feuer des Antisemitismus zu gießen“. Der Haftbefehl löste in Israel Empörung aus. Selbst die Opposition und Netanjahu-Kritiker Benni Ganz stellten sich auf die Seite des Ministerpräsidenten. Er sei selbst „ein Verbrechen von historischem Ausmaß“, sagte Ganz, Minister des israelischen Kriegskabinetts, über den Haftbefehl.

Haftbefehlsantrag: Israel reagiert empört

Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) hat Haftbefehle gegen Israels Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu, Israels Außenminister Joav Galant sowie den Anführer der Terrororganisation Hamas im Gazastreifen, Jahja Sinwar, beantragt. Der „Angriff von außen“ sorgt indes für politische Einheit in Israel, berichtet ORF-Korrespondent Tim Cupal.

Ganz sieht „moralischen Bankrott“

Ganz sagte weiter: „Parallelen zwischen den Führern eines demokratischen Landes, das entschlossen ist, sich gegen den verabscheuungswürdigen Terror zu verteidigen, und den Führern einer blutrünstigen Terrororganisation (Hamas, Anm.) zu ziehen ist eine tiefe Verzerrung der Gerechtigkeit und ein eklatanter moralischer Bankrott.“

Ganz war zuletzt selbst harter Kritiker Netanjahus und drohte ihm, aus dessen Regierung auszutreten, falls er bis 8. Juni keine Nachkriegsordnung für den Gazastreifen vorlegt.

Katz will Widerstand gegen Haftbefehl

Der israelische Außenminister Israel Katz sprach von einer „skandalösen Entscheidung“. Diese stelle „einen frontalen, zügellosen Angriff auf die Opfer des 7. Oktober und unsere 128 Geiseln in Gaza“ dar. Er habe die sofortige Einrichtung eines Lagezentrums im Außenministerium angeordnet, in dem Spezialisten gegen die Entscheidung kämpfen sollten, deren Hauptziel es sei, „dem Staat Israel die Hände zu binden und ihm das Recht auf Selbstverteidigung zu verwehren“.

Benjamin Netanjahu - Figure 2
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Immer noch werden Dutzende Geiseln vermisst

Kritik kam auch aus den israelischen Oppositionsreihen: Oppositionsführer Jair Lapid sprach von einem „völligen moralischen Versagen“ und sah einen „empörenden Vergleich“ zwischen den Anführern Israels und der Hamas. Auch die israelische Oppositionspolitikerin Merav Michaeli nannte die Entscheidung Khans einen „Skandal, den der Staat Israel nicht akzeptieren kann und will“.

Israels Präsident Jizchak Herzog wies den Antrag als „mehr als empörend“ zurück. In seltener Geschlossenheit haben Abgeordnete von Regierungsparteien und Opposition in der israelischen Knesset zudem den Haftbefehlantrag verurteilt. Der Staat Israel befinde sich in einem gerechten Krieg gegen eine kriminelle Terrororganisation, hieß es in der am Montagabend von 106 der 120 Abgeordneten verabschiedeten Stellungnahme.

Kritik aus den USA und Österreich

Kritik am IStGH-Chefankläger ließ auch Österreichs Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) anklingen. „Wir respektieren die Unabhängigkeit des IStGH. Dass die Anführer der Terrororganisation Hamas, deren erklärtes Ziel die Vernichtung des Staates Israel ist, in einem Atemzug genannt werden mit demokratisch gewählten Vertretern ebendieses Staates, ist nicht nachvollziehbar“, so Nehammer auf X.

US-Präsident Joe Biden bezeichnete den Antrag in einer ersten Reaktion als „empörend“. Es gebe keinerlei Gleichwertigkeit zwischen Israel und der Hamas. Die USA stünden immer an der Seite Israels bei Gefahr für dessen Sicherheit. Gleichzeitig sagte er, die Offensive Israels im Gazastreifen sei „kein Genozid“. Aus Großbritannien hieß es zuvor, der Antrag sei jedenfalls nicht hilfreich beim Versuch, eine Feuerpause zu erzielen.

Die französische Regierung stellte sich indes demonstrativ hinter den IStGH. „Frankreich unterstützt den Internationalen Strafgerichtshof, seine Unabhängigkeit und den Kampf gegen Straflosigkeit in allen Situationen“, teilte das französische Außenministerium am Dienstag mit.

Deutschland kritisierte das parallele Beantragen eines Haftbefehls gegen die israelische Regierungsspitze und die Führung der Hamas, verzichtete aber auf grundsätzliche Kritik am IStGH. „Durch die gleichzeitige Beantragung der Haftbefehle gegen die Hamas-Führer auf der einen und die beiden israelischen Amtsträger auf der anderen Seite ist der unzutreffende Eindruck einer Gleichsetzung entstanden“, teilte das Auswärtige Amt am Montagabend mit.

Haftbefehle für drei Hamas-Führer

Kritik kam auch vonseiten der Hamas. Khan beantragte gegen drei hochrangige Führer der Terrororganisation im Zusammenhang mit den Angriffen auf Israel am 7. Oktober 2023 ebenfalls Haftbefehle: gegen den Hamas-Anführer im Gazastreifen, Jahja Sinwar, den Chef des militärischen Arms der radikalislamischen Hamas, der Al-Kassam-Brigaden, Mohammed Deif, und den Chef des Hamas-Politbüros, Ismail Hanija.

Den Hamas-Führern wirft der Ankläger unter anderem „Ausrottung“ sowie Mord, Geiselnahme, Vergewaltigungen und Folter als Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor. Ein Hamas-Sprecher und ein Sprecher der PLO kritisierten die Entscheidung des IStGH gegenüber Reuters. Sie wehren sich dagegen, dass die Hamas-Führer nun mit der israelischen Regierung gleichgesetzt würden. Damit würden „Opfer und Henker“ gleichgesetzt, kritisierten beide Organisationen.

Anlässlich der jüngsten Ermahnung des IGH kam es vor dessen Toren zu Demonstrationen für Gaza Richter entscheiden über Antrag

Die Ermittlungsrichter des IStGH müssen nun entscheiden, ob genügend Beweise vorliegen, um Haftbefehle zu erlassen. Juristisch würde ein Haftbefehl des IStGH gegen Netanjahu und andere Israelis bedeuten, dass Staaten, die die Statuten des IStGH unterzeichnet haben, verpflichtet wären, diese Personen festzunehmen und an den Gerichtshof zu überstellen, sobald sich diese auf das Hoheitsgebiet dieser Staaten begeben.

Der IStGH verfolgt Individuen wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermordes. Israel erkennt das Gericht nicht an, aber die palästinensischen Gebiete sind Vertragsstaat. Daher darf der Ankläger auch ermitteln.

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