Israelischer greift in Beirut an: Kriegsgefahr im Nahen Osten steigt

31 Jul 2024
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Stand: 31.07.2024, 16:43 Uhr

Von: Michael Kister

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Israel führt binnen 24 Stunden mutmaßlich Luftschläge gegen einen Hisbollah-Anführer in Beirut und den Auslands-Chef der Hamas in Teheran durch.

Beirut - Figure 1
Foto Frankfurter Rundschau

Beirut/Teheran – Israel hat sich zu einem Luftschlag in Haret Hreik, einem Vorort von Beirut, bekannt, bei dem es mit Fuad Shukr die „rechte Hand“ des Hisbollah-Chefs Hassan Nasrallah getötet haben will. Während die saudi-arabischen Sender Al-Arabija und Al-Hadath ebenfalls von seinem Ableben berichteten, gab es vonseiten der schiitischen Terror-Miliz mit Sitz im Libanon bisher keine Bestätigung über den Tod ihres hochrangigen Mitglieds. Es hieß lediglich, dass Shukr „zu dem Zeitpunkt“ des israelischen Angriffs „in dem Gebäude anwesend“ gewesen sei, man aber noch Ergebnisse von Untersuchungen abwarte.

Die israelische Armee (IDF) gab an, ihre Kampfflugzeuge hätten Shukr in einer „gezielten, nachrichtendienstlich gestützten Eliminierung“ ausgeschaltet. Bei der Attacke sind laut dem libanesischen Gesundheitsministerium sowie dem Rotem Kreuz vier Zivilisten ums Leben gekommen, darunter zwei Frauen und zwei Kinder. 74 Menschen erlitten den Angaben zufolge Verletzungen, wobei fünf von ihnen noch in Lebensgefahr schweben sollen. Der Angriff habe nach Augenzeugen-Berichten das Obergeschoss eines achtstöckigen Gebäudes in Haret Hreik, dem Hauptquartier der Schiiten-Miliz, getroffen und, so der Hisbollah-nahe Fernsehsender Al-Manar, mindestens vier Gebäude beschädigt.

Israel: Luftschlag in Beirut soll Hisbollah-Anführer Shukr getötet haben

Israel rechtfertigte seinen Luftschlag als Vergeltung für den Raketenangriff auf die drusische Ortschaft Madschdal Schams in den israelisch-besetzten Golanhöhen, bei dem am vergangenen Samstag zwölf Minderjährige gestorben waren. Laut den IDF sei Shukr dafür verantwortlich, wobei die Hisbollah zurückwies, etwas mit dem Angriff zu tun gehabt zu haben. Der israelische Armeesprecher Daniel Hagari sagte weiter, dass Shukr, der auch als Sajjid Muhsan bekannt ist, Leiter der Strategieabteilung der Hisbollah und verantwortlich für die Beschaffung von Waffen gewesen sei, insbesondere aber die Verantwortung für fortschrittliche Technik wie Drohnen, Marschflugkörper und Anti-Schiffsraketen getragen habe.

Der Hisbollah-Führer Fuad Shukr soll sich in diesem Gebäude in Haret Hreik, einem Vorort der libanesischen Hauptstadt Beirut, aufgehalten haben, als die israelische Armee ihn am 30. Juli 2024 nach eigenen Angaben mit einem Luftschlag tötete. © IMAGO/NurPhoto/Fadel Itani

Außerdem sei Shukr federführend dabei gewesen, terroristische Angriffe auf Israel zu planen und umzusetzen. So habe er auch die seit dem 7. Oktober 2023 in Unterstützung der palästinensischen Hamas durchgeführten Schläge gegen Israel koordiniert. Die USA haben seit 2017 eine Belohnung von 5 Millionen Dollar für Hinweise zu Shukr ausgesetzt, da sie ihn beschuldigen, auch in die verheerenden Anschläge auf US-Truppen in Beirut von 1983 verwickelt gewesen zu sein.

Libanesische Regierung fürchtet, in Krieg hineingezogen zu werden

Obwohl sich der israelische Luftschlag gegen die Hisbollah gerichtet hat, verurteilte ihn die libanesische Regierung entschieden. Die Schiiten-Miliz hat im Libanon einen Staat im Staate gebildet, übernimmt selbst Sozialleistungen in weiten Landstrichen und ist nach Expertenmeinungen militärisch schlagkräftiger als die nationale Armee. Deswegen fürchten Regierungsvertreter, dass der Konflikt zwischen der Hisbollah und Israel eskalieren und ihr ganzes Land in einen Krieg hineinziehen könnte.

Der geschäftsführende Ministerpräsident Nadschib Mikati nannte den Angriff auf Beirut der staatlichen Nachrichtenagentur NNA zufolge dennoch eine „kriminelle Tat“, die zu einer Reihe aggressiver Operationen der „israelischen Tötungsmaschinerie“ gehöre, bei denen Zivilisten getötet würden. Er hob hervor, dass der Luftschlag nur wenige Meter von einem der größten Krankenhäuser der Hauptstadt entfernt erfolgt sei. Außenminister Abdallah Bou Habib sagte der New York Times derweil, dass er versuche, die Hisbollah zu überreden, bei jeder möglichen Antwort Zurückhaltung zu üben, stellte aber klar: „Wir bevorzugen überhaupt keine Vergeltungsmaßnahmen“.

Weiterer Angriff in Teheran: Hamas-Führer Ismail Hanija tot

Die USA seien der Times of Israel zufolge als wichtigster Verbündeter des jüdischen Staats im Vorhinein über den Angriff auf Haret Hreik informiert worden. Die US-Regierung wählte in ihren Kommentaren allerdings eine rhetorisch neutrale Linie, die erkennen lässt, wie viel auf dem Spiel steht. Karine Jean-Pierre, die Pressesprecherin des Weißen Hauses, erklärte, man arbeite weiter an einer diplomatischen Lösung. „Wir glauben nicht, dass ein breiter Krieg unvermeidlich ist“, so Jean-Pierre weiter.

Fingerspitzengefühl ist in der aktuellen Situation umso wichtiger, da der Luftschlag gegen Fuad Shukr mutmaßlich nicht der einzige Angriff Israels auf einen seiner Feinde binnen eines Tages war. Wenige Stunden nach der Explosion in Beirut gab die islamistische Hamas bekannt, dass ihr Auslandschef Ismail Hanija am Mittwochmorgen in Teheran getötet wurde.

Die iranischen Revolutionsgarden bestätigten das. Er habe sich iranischen Medien zufolge in einer speziellen Wohnanlage für Kriegsveteranen im Norden Teherans aufgehalten. NourNews, einem dem Obersten Nationalen Sicherheitsrat des Iran nahestehenden Medium zufolge, sei Hanijas Unterkunft von einem Geschoss aus der Luft getroffen worden. Dabei seien laut Sepah News, der Webseite der Revolutionsgarden, der Hamas-Mann sowie mindestens einer seiner Leibwächter ums Leben gekommen.

Iran will Vergeltung üben: Wie reagiert die „Achse des Widerstands“?

Hanija wohnte eigentlich fernab des Gazastreifens im katarischen Exil. Er hatte sich in den Iran begeben, um der Amtseinführung des neuen Präsidenten Massud Peseschkian am Dienstag beizuwohnen und sich mit dem Obersten Führer Ali Chamenei zu treffen. Israel lehnte es bisher ab, den Anschlag in Teheran zu kommentieren, doch der Iran, die Hamas und auch Katar machten es dafür verantwortlich. Präsident Peseschkian drohte laut iranischen Medien in Richtung Israels, dass sein Land „das terroristische Besatzerregime dazu bringen“ werde, „sein Handeln zu bereuen“ und signalisierte die Absicht, Vergeltung zu üben: „Der Iran wird seine Souveränität, seine Würde, seinen Ruf und seine Ehre verteidigen“.

Die Angriffe in Beirut und Teheran kommen zu einer Zeit, als ein Waffenstillstand zwischen Hamas und Israel, vermittelt von Katar, Ägypten und den USA, möglich erschien. Er hätte den ersten Baustein in einer Kette der Deeskalation darstellen können, der auch eine Beruhigung der Situation an der Grenze zum Libanon möglich gemacht hätte. Hanija war aufseiten der Hamas in diese Verhandlungen eingebunden, die nun einen Rückschlag erlitten haben. Nun hängt alles von der Reaktion Irans und der „Achse des Widerstands“ verschiedener pro-iranischer Milizen ab, zu denen auch die Hisbollah gehört.

Naher Osten könnte auf „verheerenden regionalen Krieg“ zusteuern

Ein westlicher Diplomat sagte der Nachrichtenagentur Associated Press, dass die Doppelschläge in Beirut und Teheran die Hoffnungen auf einen Waffenstillstand im Gazastreifen „fast zunichte gemacht“ hätten und den Nahen Osten in einen „verheerenden regionalen Krieg“ stürzen könnten. Die Anhänger der Hisbollah erwarteten „einen bedeutenden Vergeltungsschlag“, so Lina Khatib von Chatham House, einem Londoner Institut für internationale Angelegenheiten, gegenüber dem Wall Street Journal. Allerdings seien der Miliz die Hände gebunden, „weil Israel gezeigt hat, dass es militärisch die Oberhand hat“, so Khatib weiter.

Israel bewegt sich also auf einem schmalen Grat am Abgrund entlang, doch ist es sich trotz seiner Offensiv-Handlungen dieser Gefahr bewusst. Der Spiegel berichtete unter Berufung auf israelische Quellen, die IDF hätten auf persönliche Anordnung von Ministerpräsident Benjamin Netanyahu bei dem Luftschlag auf Haret Hreik bewusst eine Rakete mit relativ geringer Sprengkraft verwendet. Ziel sei es gewesen, das Risiko ziviler Opfer und einer weiteren Eskalation zwischen Israel und der Hisbollah zu minimieren. „Wir sind nicht auf einen Krieg aus, aber wir sind darauf vorbereitet“, sagte Militärsprecher Hagari.

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