Formel-1-Analyse Baku: Alarm bei Red Bull?! Was dahinter steckt

Red Bull gab sich in Baku tatsächlich alarmiert von der Performance. Im Finish wurde man von Ferrari und Aston Martin überrascht. Die Analyse erklärt warum.

Markus Steinrisservon Markus Steinrisser
01.05.2023, 15:57 Uhr

Red Bull vor Ferrari, doch nicht so einfach?, Foto: LAT ImagesRed Bull vor Ferrari, doch nicht so einfach?, Foto: LAT Images

Mit Besorgnis von Dr. Helmut Marko war eigentlich nicht zu rechnen gewesen. Red Bull war am Sonntag in Baku mit Sergio Perez und Max Verstappen auf den ersten beiden Rängen ins Ziel gekommen, und den ersten Verfolgern Charles Leclerc und Fernando Alonso fehlten starke 19 Sekunden. Doch Marko eröffnete ein Interview nach dem Rennen mit einer Alarmmeldung.

"Für uns ist es alarmierend, in den letzten sechs bis acht Runden fuhren Leclerc und Alonso die gleichen Rundenzeiten wie wir", so Red-Bull-Motorsportchef Marko zum ORF. Schmilzt Red Bulls Vorsprung tatsächlich? Oder waren die beteiligten Fahrer schuld? Motorsport-Magazin.com analysiert ein Rennen, das von fahrerischen Feinheiten der höchsten Güte bestimmt wurde.

Perez & Verstappen pushen - sind aber plötzlich nicht schneller

Mehrere Punkte gilt es für Red Bull in Baku zu beachten. Zuerst einmal das Qualifying, oder genauer gesagt die beiden Qualifyings. Zweimal schlug Charles Leclerc im Ferrari zu, die ersten Niederlagen für Red Bull. Dort haderte man damit, die Reifen in das richtige Arbeitsfenster zu bringen, sowohl bei kühlen Abendtemperaturen als auch bei Mittagshitze am Samstag.

Ferrari gab im kurvigen Mittelsektor den Ton an. Red Bull vertröstete auf die Rennen und schien damit auch Recht zu behalten, zumindest zu Beginn. Leclerc konnte seine Poles nicht halten und wurde zweimal schnell erlegt. Nur Verstappen kam am Samstag nicht auf der Strecke vorbei, hatte da aber nach einer Startkollision ein großes Loch im Seitenkasten.

Red Bulls Sorgen gründen auf dem langfristigen Trend der Rundenzeiten am Sonntag. Ab Runde 40 war es mit der Dominanz vorbei, wie die Grafik unten zeigt. Leclerc und Fernando Alonso, die hinten um ein Podium kämpften, mochten da schon zurückgefallen sein, aber hatte Red Bull zu Beginn noch bis zu eine Sekunde pro Runde herausgefahren, glichen sich die Zeiten plötzlich an.

Und die Red Bulls haben nicht rausgenommen, das verneint die Teamführung kategorisch. Beide durften das ganze Rennen frei fahren. "Schaut euch die Spuren an den Reifen an", führt Teamchef Christian Horner ins Feld, dass sowohl Perez als auch Verstappen in einem am Limit geführten Zweikampf um den Sieg mehrfach die Mauer touchierten. "Ich habe vier bei Max gezählt und mindestens zwei bei Checo."

"Man hat ja gesehen, die zwei haben auch um die schnellste Runde gekämpft", unterstreicht Dr. Helmut Marko. Die Konkurrenz beobachtete ebenfalls das extreme Tempo. "Ich weiß nicht, ob Red Bull nicht mit zwei Stopps geplant haben, sie haben von Anfang an höllisch gepusht", so Ferrari-Teamchef Fred Vasseur.

Leclerc und Alonso schlagen spät zu

Charles Leclerc und Fernando Alonso legten das Rennen ganz anders an. Besonders Leclerc hatte aus dem samstäglichen Sprint seine Lehren gezogen. Da hatte er zu Beginn des Rennens viel vom Reifen verbraucht, als er versucht hatte, sich an den Führenden Sergio Perez dranzuhängen. Die Konsequenz war, dass er am Ende des 17 Runden kurzen Sprints nicht mehr viel übrig hatte.

Charles Leclercs Poles hielten nicht lange, Foto: LAT ImagesCharles Leclercs Poles hielten nicht lange, Foto: LAT Images

Im zweiten Stint des sonntäglichen Grand Prix startete Leclerc daraufhin aus der Safety-Car-Phase heraus sehr passiv, als der Aston Martin von Fernando Alonso hinter ihm auftauchte. Alonso hatte sich beim Restart in Runde 14 Platz vier von Leclercs Teamkollege Sainz geschnappt.

Leclerc ignorierte die vor ihm fahrenden Red Bulls und begann ein Lauerspiel mit Alonso: "Ich kenne Fernandos Stil. Er ist zu Anfang des Stints immer ganz entspannt, um am Ende zu pushen." Alonso tat genau das - wartete erst, um dann ab Runde 29 mehrfach das Tempo zu verschärfen und Leclerc unter Druck zu setzen. Der hatte jedes Mal eine Antwort parat.

Das brachte mit sich, dass das Tempo von Leclerc und Alonso erst in den letzten zehn Runden - da war das Belauern vorbei - auf die Spitze getrieben wurde. Bei ihnen waren die Tanks da schon fast leer, die Reifen dafür in noch relativ gutem Zustand. Bei Red Bull sah es umgekehrt aus.

Feuer frei bei Red Bull: Perez & Verstappen zu schnell?

Perez und Verstappen wollten früh eine Entscheidung provozieren. Zu Rennbeginn war es Perez. Der witterte seine Chance hinter dem da führenden Verstappen, der sich der Balance auf den Medium-Startreifen nicht sicher war und zu viel rutschte.

Kurz, bevor Perez tief ins DRS-Fenster eindringen und eine Konfrontation herbeiführen konnte, unterband die Red-Bull-Box dies mit Verstappens einzigem Boxenstopp. Das darauffolgende Safety Car schenkte dem bislang schnelleren Perez daraufhin die Führung. Jetzt war Verstappen unter Zugzwang, und wie Perez am Start drehte nun der Niederländer beim Restart sofort auf.

"Das Aufschließen hat wohl meine Reifen etwas zu früh im Stint zu stark beansprucht", vermutet Verstappen. Es war ein sinnloses Unterfangen, denn er hatte Probleme mit der Auto-Balance vom Kurveneingang bis zum Scheitelpunkt. Mit Anpassungen von Differenzial und Motorbremse versuchte er für gut drei Viertel des Rennens aus dem Cockpit heraus der Vorderachse Herr zu werden: "Ich denke, ich habe gegen Ende einen guten Kompromiss gefunden, meine letzten zehn Runden waren schon viel stärker." Nur hatten davor die Reifen schon viel einstecken müssen.

Red Bull will Freiraum: 20 Sekunden Vorsprung zu wenig?

Das durchgehende Pushen der beiden Red-Bull-Piloten brachte also nicht nur mehrere Mauerküsse, sondern auch stärker beanspruchte Reifen mit sich. Insofern ist es nicht überraschend, dass Leclerc und Alonso am Ende die Zeiten mitgehen konnten - sie hatten über zehn Runden lang schließlich mit Absicht Reifen gespart.

Red Bulls Verfolger zweifeln daher an, dass die letzten zehn Runden tatsächlich echte Probleme anzeigen. "Es ist sehr schwer sich vorzustellen, was wir hätten schaffen können, wenn wir zu Beginn gepusht hätten", so Ferrari-Teamchef Vasseur. Die F1-Pirellis verzeihen so ein Herangehen auch oft nur ungern. "Die ersten paar Runden sind immer kritisch für die Reifenabnutzung. Da wir nur einen Stopp planten, waren wir hier konservativ."

Auch wenn Red Bulls Konkurrenz kein einfaches Wochenende hatte. Ferrari kämpft weiterhin mit dem Setup, machte in Baku aber einen Schritt nach vorne. Aston Martin kämpfte mit einem neuen Heckflügel, genauer gesagt mit dem DRS-Mechanismus, auch wenn der im Rennen wieder funktionierte. Es war jedoch eine langwierige Ablenkung für das Team, hier ständig nach Problemen zu suchen, die offenbar mit Schmiermitteln gelöst werden konnten. Das neue Low-Downforce-Paket war in Sachen Balance nicht aussortiert. Trotzdem war das Reifenmanagement des AMR23 noch immer stark.

Fakt bleibt dennoch: Am Ende waren es 19 Sekunden nach 38 Runden. Das ist nicht mehr so viel wie noch zu Saisonbeginn, aber im Schnitt trotzdem eine halbe Sekunde pro Runde, auch wenn viel davon in den ersten 20 Runden des Stints herausgefahren wurde. "Immerhin haben wir gesehen, dass sie gepusht haben, aber eine halbe Sekunde, das ist ein langer Weg", meint Mercedes-Teamchef Toto Wolff.

Red Bull bleibt bei Argwohn. "Wir wollen mit beiden Fahrern eine Lücke haben, wenn wir nach Europa zurückkommen, denn da werden viele mit Updates kommen, und wir haben eine reduzierte Kapazität, um dieses Jahr zu entwickeln", erinnert Christian Horner. Wenn die eigenen Fahrer sich so pushen wie in Baku bleibt eine nicht unwesentliche Fehlergefahr zurück.

Kostete dieser Red Bull Fehler Verstappen den Sieg?: (18:34 Min.)

© Motorsport-Magazin

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