„Entsprechende“ Antwort: Moskau droht nach ATACMS-Beschuss

15 Stunden vor
ATACMS

„Entsprechende“ Antwort

Hochrangige ukrainische und US-amerikanische Verantwortliche haben russische Angaben, wonach die Ukraine erstmals russisches Territorium mit von den USA gelieferten ATACMS-Raketen beschossen habe, bestätigt. Das berichteten am Dienstag unter anderem die „New York Times“ und die Nachrichtenagentur Reuters. Der russische Außenminister Sergej Lawrow kündigte eine „entsprechende“ Antwort an.

Online seit heute, 20.00 Uhr (Update: 21.51 Uhr)

„Wenn Raketen mit größerer Reichweite von der Ukraine aus in Richtung russisches Territorium eingesetzt werden, bedeutet das, dass sie von US-Militärexperten bedient werden“, sagte Lawrow am Dienstag. Lawrow sagte nach dem G-20-Gipfel in Rio de Janeiro weiter: „Wir werden das als eine neue Phase des westlichen Krieges gegen Russland betrachten und entsprechend reagieren.“

Es handle sich um ein „Zeichen“ der Ukraine und ihrer westlichen Verbündeten, dass diese eine Eskalation suchten. Lawrow sagte außerdem in Richtung der westlichen Verbündeten der Ukraine, diese sollten die russische Nukleardoktrin „vollständig“ lesen.

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell nannte die Drohung „unverantwortlich“. Die EU verurteile jede Drohung mit Atomwaffen, sagte er nach einem Verteidigungsministertreffen in Brüssel. Es sei nicht das erste Mal, dass der russische Staatschef Wladimir Putin Unsicherheit erzeugen wolle, so Borrell. Er gab außerdem an, dass die EU der Ukraine – mit Verspätung – eine Million Artilleriegeschoße geliefert habe. Die Munition sei an die Ukraine geliefert worden, „einige Monate später als erwartet“.

Russisches Ministerium meldete Beschuss von Brjansk

Zuvor hatte das russische Verteidigungsministerium erklärt, in der Nacht auf Dienstag habe Kiew eine Militäreinrichtung in der Grenzregion Brjansk mit sechs ballistischen Raketen angegriffen, dabei seien auch von den USA gelieferte weitreichende Raketen des Typs ATACMS mit einer Reichweite von bis zu 300 Kilometern eingesetzt worden.

Dem Ministerium zufolge wurden fünf der Raketen von der russischen Luftabwehr abgeschossen. Trümmerteile einer sechsten Rakete seien auf eine nicht näher spezifizierte „Militäreinrichtung“ gefallen und hätten einen kleinen Brand verursacht. Verletzte oder Schäden gab es demnach nicht.

Kiew bat Washington wiederholt um Freigabe

Die Ukraine teilte mit, sie habe ein russisches Waffenlager etwa 110 Kilometer in russischem Gebiet getroffen, was zu Sekundärexplosionen geführt habe. Die eingesetzten Waffen wurden nicht näher spezifiziert. Der Angriff ereignete sich exakt 1.000 Tage nach Beginn der russischen Invasion am 24. Februar 2022.

Kiew hatte von Washington seit Monaten grünes Licht für den Einsatz der ATACMS-Raketen mit größerer Reichweite gegen Ziele im russischen Hinterland gefordert. Die Ukraine will mit den Raketen Abschussrampen und Produktionsstätten auf russischem Gebiet angreifen, um die Attacken vor allem auf die Energieversorgung des Landes möglichst frühzeitig abzuwehren.

US-Freigabe als Antwort auf Involvierung von Nordkorea

Dem Vernehmen nach soll die kolportierte Freigabe der US-Waffen aber nur für die von der Ukraine besetzten Gebiete in der russischen Region Kursk gelten. Auch hier geraten die ukrainischen Streitkräfte zunehmend unter Druck. Die Ukraine will das besetzte Gebiet in Verhandlungen einbringen, um eine möglichst starke Position zu haben. Solche Gespräche sind allerdings nicht in Sicht.

Die Freigabe der US-Raketen, über die erst am Sonntag berichtet worden war, gilt als Antwort auf den vermuteten Einsatz nordkoreanischer Soldaten aufseiten Moskaus. Bisher durfte die Ukraine nur HIMARS-Raketenartillerie aus den USA gegen Ziele dicht hinter der russischen Grenze einsetzen, um die Offensive gegen die ostukrainische Großstadt Charkiw abzuwehren. Die Entscheidung des ausscheidenden US-Präsidenten Joe Biden ist im Lager seines Nachfolgers Donald Trump auf Kritik gestoßen.

Putin setzt neue Atomwaffendoktrin in Kraft

Der russische Präsident Wladimir Putin hatte indes am Dienstag die erneuerte Atomwaffendoktrin seines Landes in Kraft gesetzt. Ausgehend von der Lage im Krieg und der Krise im Verhältnis zum Westen zählt das Dokument neue Bedrohungsszenarien auf, in denen Russland zu Nuklearwaffen greifen könnte.

Die neue Doktrin löst die Fassung von 2020 ab und wurde auf der Website des Kreml veröffentlicht. Neu ist, dass Moskau die Aggression eines nicht nuklearen Staates, der aber von Atommächten unterstützt wird, als deren gemeinsamen Angriff auf Russland wertet. Das richtet sich dagegen, dass die Ukraine von den Atommächten USA, Großbritannien und Frankreich militärisch unterstützt wird. Seit Jahren versucht Putin – durchaus mit Erfolg – mit der Drohung, Nuklearwaffen einzusetzen, den Westen von stärkerer Unterstützung der Ukraine abzuschrecken.

Experte rechnet mit „horizontaler Eskalation“

Da Russland keineswegs im Begriff sei, den Krieg zu verlieren, schätzte Militärexperte Franz-Stefan Gady die Chance einer „vertikalen Eskalation“ – also die Gefahr eines Nuklearkrieges – am Montag gegenüber Ö1 trotz russischer Drohungen als gering ein. Durch die Freigabe von weiteren Präzisionswaffensystemen könne aber eine „horizontale Eskalation“ erwartet werden.

Der Experte meint damit „die Ausweitung der russischen Sabotagekampagne in Europa beziehungsweise auch die Lieferung weiterer Waffensysteme an die Huthis im Roten Meer, um internationale Schifffahrtsrouten zu blockieren“. Bundesheer-Oberst Markus Reisner betonte gegenüber ORF.at wiederum, dass die Policy der USA bisher gewesen sei, „es eben nicht zu einer Eskalation kommen zu lassen“. Er erwartete deshalb, dass eine „ausnahmsweise“ Freigabe neuer US-Waffen auf die russische Region Kursk begrenzt bliebe.

Selenskyj: Putin „wird nicht von sich aus aufhören“

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj mahnte angesichts des seit 1.000 Tagen andauernden Krieges gegen Russland Europa zu einem entschlosseneren Vorgehen. Der russische Präsident Putin sei „darauf aus, diesen Krieg zu gewinnen, er wird nicht von sich aus aufhören“, sagte Selenskyj am Dienstag in einer Videobotschaft an das Europäische Parlament. Je mehr Zeit Putin habe, „desto schlechter werden die Bedingungen“, argumentierte Selenskyj.

„Jeder Tag ist der beste Moment, um Russland härter zu bedrängen.“ Das EU-Parlament hielt am Dienstag eine Sondersitzung anlässlich 1.000 Tagen Krieg seit der russischen Invasion im Februar 2022 ab. Parlamentspräsidentin Roberta Metsola hatte vor der Sitzung bekräftigt, die EU werde die Ukraine „so lange wie nötig“ unterstützen.

In mehreren russischen Regionen kam es am Dienstagabend nach einem breiten Drohnenangriff zu Schäden. Betroffen sollen russischen Angaben zufolge die Regionen Belgorod, Woronesch, Brjansk und Tula gewesen sein. Die Angaben können derzeit nicht unabhängig überprüft werden.

Mehr lesen
Ähnliche Nachrichten
Die beliebtesten Nachrichten der Woche