Kino-Krise in Berlin: Arsenal und Zeughauskino im Exil
Das wäre einmal eine passende Frage an Kulturpolitiker aller Ebenen in Deutschland: Was kann man mit 6000 Euro alles machen? Zehn Dichterlesungen, eine winzige Ausstellung, sechzig Hausmusikabende? Das Zeughauskino in Berlin verfügt seit dem vergangenen Wochenende über 6000 Euro zusätzlich, denn es wurde mit dem Lotte-Eisner-Preis im Rahmen des 25. Kinopreises des Kinemathekenverbundes ausgezeichnet. Die deutschen filmkulturellen Institutionen wählen einmal im Jahr eine aus, die sich besonders hervorgetan hat. Dass die Wahl auf das Zeughauskino fiel, ist in jeder Hinsicht plausibel.
Seit achtzehn Jahren verantwortet Jörg Friess in dem Haus, das zum Deutschen Historischen Museum gehört, ein kluges, immer wieder überraschendes Programm, mit dem sich die Ost-West-Debatten der Republik genauso bereichern und differenzieren lassen wie die vielfältigen Begriffe von Filmerbe in einer Weltstadt wie Berlin. Der Preis kommt allerdings zu einer Zeit, in der das Zeughauskino in einem Provisorium arbeitet.
Ein Ende der Bauarbeiten im DHM ist nicht in Sicht
Seit Anfang 2023 ist das Kino, das in einem Saal im östlichen Trakt des Zeughauses Unter den Linden untergebracht war, ebenso wie die Dauerausstellung des Deutschen Historischen Museums geschlossen. Vorstellungen finden in einem winzigen Ausweichsaal im Pei-Bau statt. Eine Notlösung in jeder Hinsicht, mit der man sich nun noch länger abzufinden hat, denn für die Bauarbeiten wird neuerdings kein Abschlussdatum mehr genannt. Ursprünglich war Ende 2025 angepeilt worden.
Der Umstand gewinnt an Brisanz, wenn man einen Blick auf die anderen filmkulturellen Institutionen des Bundes in Berlin wirft. Das Kino Arsenal, das mit seinem Trägerverein fast ein Vierteljahrhundert lang im Filmhaus am Potsdamer Platz beheimatet war und trotz dieser ungeliebten Lage ein Stammpublikum an sich band, schließt ebenfalls Ende Dezember und muss bis zur Wiederaufnahme des Betriebs an seiner künftigen Spielstätte im Wedding ein Jahr überbrücken. Und das Museum für Film und Fernsehen, das zur Deutschen Kinemathek gehört und mit seiner Dauerausstellung im Filmhaus nicht zuletzt eine Touristenattraktion geboten hat, schließt Ende Oktober und wird erst im Herbst 2025 wiedereröffnen – im E-Werk, einst ein Techno-Club und derzeit noch beworben als „exklusive Event Location für Corporate Events in industrieller Atmosphäre“.
Der Versuch, am Potsdamer Platz im Sony Center eine gemischte Nutzung mit kulturellen Anteilen inmitten von Büro-Architektur und massentouristischer Gastronomie zu etablieren, ist damit gescheitert. Das hat drastische Folgen auch für die Berlinale, die zuletzt schon darauf angewiesen war, den Ausfall eines Multiplex-Kinos mit improvisierten Spielstätten zu kompensieren, die eher an Kirchentage als an Lichtspieltheater erinnerten.
Zu den infrastrukturellen Veränderungen kommt eine wichtige Personalie: Rainer Rother, der langjährige künstlerische Direktor der Deutschen Kinemathek, geht im kommenden Jahr in den Ruhestand. Als seine Nachfolgerin wurde Heleen Gerritsen bestellt. Die gebürtige Niederländern ist seit mehr als zwanzig Jahren in vielfachen Funktionen in der deutschen Filmbranche tätig. Vor allem als Leiterin des Wiesbadener Festivals GoEast hat sie sich als Brückenbauerin zu den osteuropäischen Kinematographien bewährt und dabei ein gutes Augenmaß für die politischen und historischen Komplexitäten gezeigt.
Ein neues Filmhaus bleibt vorerst ein Traum
Für die Deutsche Kinemathek, die unter anderem auch jährlich die Retrospektive der Berlinale verantwortet, dürfte Gerritsen ein Gewinn sein. Sie muss dabei allerdings mit den Eigenheiten der Berliner Landschaft zurechtkommen. Denn die Deutsche Kinemathek entspricht zwar mit ihrem Anspruch am ehesten dem, was in England das British Film Institute oder in Frankreich die Cinémathèque Française leistet, also eine starke, gut dotierte Bundesinstitution, die Archivarbeit mit Präsentation verbindet. Anders als die genannten Institutionen hat die Deutsche Kinemathek aber kein Kino, keinen Vorführbetrieb. Diese Lücke schließen – in autonomer Programmierung – das Arsenal und das Zeughauskino.
Man kann davon ausgehen, dass Heleen Gerritsen einerseits die Zusammenarbeit mit den beiden Kinos vertiefen, andererseits aber danach trachten wird, eigene Programmschwerpunkte zu setzen, neben einer neu gestalteten Dauerausstellung. Da das Arsenal an seiner neuen Adresse deutlich weniger Plätze hat und aus dem Stadtzentrum in einen der Berliner Kieze zieht, bleibt Bedarf für einen alten Traum, den die lokale Politik immer groß gedacht, aber nie konkret in Angriff genommen hat: ein Filmhaus, das all jene Aufgaben bündeln könnte, die nun mehr denn je verstreut sein werden.
Dabei zeigt sich nicht nur am Beispiel des Zeughauskinos, dass die filmkulturelle Intelligenz in der Hauptstadt in hohem Maß vorhanden ist. Sie wird nur aktuell mehr denn je in Zwischen- und Kompromissnutzungen gedrängt.