Neue Rollenbilder: Wie Männer sich neu definieren können
Von: Constanze Alvarez
Stand: 05.07.2024
Immer funktionieren, keine Schwäche zeigen: Immer mehr Männer lehnen Klischees von Männlichkeit und traditionelle Männerbilder ab. Wie Vorbilder in Job und Familie neue Rollenbilder prägen und was ihr selbst dafür tun könnt.
Das ist eine schwierige Frage, auf die es keine eindeutige Antwort gibt. Fest steht: Das alte Rollenbild des Versorgers und Ernährers löst sich immer stärker auf. Gleichzeitig hat sich noch kein neues männliches Leitbild in der Gesellschaft durchgesetzt, das von der Mehrheit akzeptiert wird. Erfolg, Status, Karriere - das sind immer noch entscheidende Faktoren für das Ansehen eines Mannes und auch für sein Selbstwertgefühl. Gleichzeitig sollte "Mann" auch empathisch sein, bedürfnisorientiert handeln, die Hälfte der Hausarbeit übernehmen und die Kinder mitbetreuen. Werden die sichtbaren und unsichtbaren Aufgaben in einer Familie nicht gerecht aufgeteilt, kann das schnell zu einer mentalen Belastung, sogenannter Mental Load, werden. Der Spagat, unter dem viele Frauen seit Jahrzehnten leiden, er macht jetzt auch den Männern zu schaffen. Viele würden gerne aus dem starren Modell und Rollenbildern ausbrechen, wissen aber nicht wie. "Die Daten legen nahe, dass wir von einer Dreiteilung der männlichen Bevölkerung ausgehen müssen", erklärt der Schweizer Psychologe Markus Theunert im Gespräch mit dem BR. "Ein Drittel befindet in der Vorwärtsbewegung, ein Drittel in der Rückwärtsbewegung und ein Drittel in der suchenden Mitte, finden Gleichstellung und Egalität irgendwie in der Theorie schon gut, aber in der Praxis wollen sie nichts damit zu tun haben."
Ein neues Rollenbild: Männer, die trösten und Gefühle zeigen, galten früher als unmännlich. Heute sind sie Vorbild für ein neues Männerbild.
Um ein eigenes, neues Selbstbild als Mann zu entwickeln, das nicht den althergebrachten Klischees entspricht, ist es wichtig, sich die eigenen Vorbilder anzuschauen. Also die eigenen Eltern, den Vater: War er ein abwesender Vater? Oder hat er Zeit mit den Kindern verbracht?"Die Abwesenheit der Väter prägt die Kinder und insbesondere die Söhne sehr stark, weil es kaum männliche Rollenmodelle gibt in der kindlichen Lebenswelt", erklärt Psychologe Markus Theunert. "Weil in der Kita, im Kindergarten, in der Grundschule Männer Mangelware sind, ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass ich als Junge bis zum Alter von etwa zehn Jahren kaum realen Männern begegne." Kinder könnten also die Erfahrung nicht machen, dass auch Männer trösten, putzen oder singen und nicht alle Männer gerne Fußball spielen. Diese Männer gibt es zwar heute immer häufiger, aber früher zu wenig. An einen Vater, der tröstet, putzt und singt war in den 1970er-Jahren kaum zu denken. Der Krieg steckte vielen Männern noch in den Knochen und hat sie emotional abgestumpft.
Die heutige Generation von Vätern um die vierzig, fünfzig Jahre ist davon noch stark geprägt. Die Gefahr, unbewusst negative Muster zu reproduzieren, ist daher groß. Vätercoach und systematischer Familientherapeut Carsten Vonnoh empfiehlt deshalb, sich die Kindheit einmal näher anzuschauen: 'Wie sind die Eltern mit Konflikten umgegangen? Was haben wir möglicherweise von ihnen übernommen? Was habe ich Gutes von ihnen gelernt?' Manche Männer kommen durch Selbstreflexion recht weit. In manchen Fällen bedarf es jedoch professioneller Hilfe, um unbewusste Muster erkennen und auflösen zu können.
"Es geht dabei nicht um Abwertung oder Schuldzuweisung, sondern darum, zu sagen: Okay, das [traditionelle Rollenbild] ist so gewesen und jetzt möchte ich das anders machen."
Carsten Vonnoh, Vätercoach und systematischer Familientherapeut
Männer, die aus der klassischen Rolle des alleinigen Versorgers und Ernährers heraustreten wollen, geraten häufig in einen Konflikt. Gehen sie in Teilzeit, um sich mehr um die Betreuung der Kinder zu kümmern, erleben sie häufig Verständnislosigkeit bei den Kollegen. Viele fürchten einen Karriereknick und der geringere Verdienst nagt am Selbstwertgefühl, erklärt Psychologe Markus Theunert im Gespräch mit dem BR: "Ein Teilzeit erwerbstätiger Mann hat mir mal gesagt: Seit ich nur noch 80 Prozent arbeite, bin ich für meine Kollegen nur noch eine halbe Portion." Im übertragenen Sinn heißt das: Nur 100 Prozent Erwerbstätigkeit geht mit 100 Prozent Selbstwert einher. "Das ist eine der größten Hürden, weshalb viele Männer das Risiko nicht eingehen mögen, obwohl sie sagen, sie würden eigentlich gerne weniger und flexibel arbeiten", sagt Theunert. Doch wie damit umgehen? Eine Möglichkeit besteht darin, sich genau zu überlegen, für wen man arbeiten möchte. Mittlerweile machen sich immer mehr Firmen darüber Gedanken, wie sie am besten ihre Fachkräfte halten können und zeigen sich offener als vor zehn, zwanzig Jahren.
Neue Männerbilder dienen als Vorbild und können traditionelle Rollenbilder von Mann und Frau aufbrechen.
Viel hängt von den Führungskräften ab. Das beobachtet auch Vätercoach Carsten Vonnoh. Er ist Gründer des Online-Netzwerks "Väter in Verantwortung" und berät regelmäßig auch Männer, die sich stärker in der Familie einbringen wollen und dabei an Herausforderungen stoßen und wenig Unterstützung erfahren. "In diesem Fall ist es wichtig, sich als Familie zu fragen: 'Was ist wirklich wichtig für uns? Was ist gut für die nächsten Jahre, gerade, wenn die Kinder klein sind?' Und daraus Klarheit und Mut zu schöpfen", rät Carsten Vonnoh. Hilfreich sei es auch, im Unternehmen nach Verbündeten zu schauen: "Wer hat bisher schon einmal Teilzeit gemacht? Was hat sich da bewährt? Gibt es ein Väternetzwerk, oder eine Möglichkeit, sich mit anderen Männern ehrlich darüber auszutauschen?" Zu sehen, dass man nicht allein ist, kann die Angst vor Veränderung mildern.
Der Weg zu einem neuen Selbstverständnis als Mann sei eine Gratwanderung, sagt Vätercoach Carsten Vonnoh. Wichtig sei es, neben den äußeren Anforderungen immer auch nach innen zu schauen, rät er den Männern. Und sich zu fragen: "Was wird von mir erwartet und was ist wirklich meins? Was gehört zu mir?" Und dann auch den Mut zu haben, offen darüber zu sprechen. Das sei ein heikler Punkt, denn Männer seien es gewohnt, Gefühle zu verdrängen oder darüber zu schweigen. "Weil wir als Jungs gehört haben, dass wir nicht heulen sollen, dass alles halb so schlimm ist, dass wir Stärke zeigen sollen, in Situationen, wo wir eigentlich zutiefst verletzt sind", erklärt Carsten Vonnoh. Und diejenigen, die es wagen auch einmal eine Schwäche zu zeigen, würden häufig abgestraft und beschämt. Das bestätigt auch Psychologe Markus Theunert. "Es ist eine Leistung, immer ständig überprüfen zu müssen, darf ich mir diesen Impuls erlauben? Laufe ich damit Gefahr, als unmännlich dargestellt zu werden?" Um Ängste und Zweifel abzufedern bräuchte es mehr gesellschaftliche Solidarität, mehr Angebote, sagt Theunert. Mehr Jugendpädagogik, Männerberatung, Väterbildung, "um den Männern zu zeigen: 'Du musst dich bewegen.'" Und: Es muss nicht immer das neue Telefon oder ein dickeres Auto sein. Ein gutes Selbstbewusstsein speist sich aus vielen Quellen, beispielsweise aus einer guten Beziehung zur Familie.
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