ARD und ZDF verlieren an Quote bei den Vorabendserien wie ...

Vorabendserien brachten einmal das richtige Leben in die Wohnstuben. Heute sind sie ein Abklatsch ihrer selbst und strotzen vor Albernheit

ARD - Figure 1
Foto Neue Zürcher Zeitung - NZZ

Dem öffentlichrechtlichen Fernsehen laufen die Zuschauer der Telenovelas davon. Die Dutzendware gibt es auf Instagram und Tiktok in konzentrierter Form.

In der Folge 4171 von «Sturm der Liebe» finden sich zwei beim Maskenball, aber leider die Falschen.

Christof Arnold / ARD

Zum Hirschgulasch unbedingt einen 2010er Dottore Primavesi! Da ist mit Herrn Finkenstein nicht zu spassen. Aber dann das Drama im Weinkeller des Hotels Fürstenhof in Bichlheim. Ein umgestürztes Regal, Scherben, verlorene Jahrhundertjahrgänge. Man atmet kurz auf: Die Herzen des Personals haben sich schneller gefasst als die zugehörigen Hirne.

Eine Angestellte nimmt die Schuld am Regalunfall auf sich, um den zu decken, den sie liebt. Der liebt aber sie nicht. Irgendwann werden sie sich vielleicht doch noch kriegen. Wenigstens Herr Finkenstein als Gast des Hauses muss auf sein Hirschgulasch nicht ganz so lang warten.

Es ist der übliche Wahnsinn in der ARD-Soap «Sturm der Liebe». Nach 48 Minuten ist Schluss bei Folge 4260 der Serie. Seit Herbst 2005 läuft das Format, aber der öffentlichrechtliche Sender will es im nächsten Jahr zurechtstutzen. Nur noch halb so lang. Der Sendeplatz am Werktagsnachmittag soll mit der dann ebenfalls gekürzten Serie «Rote Rosen» geteilt werden, der anderen emotionalen Kalorienbombe, die die ARD zu bieten hat.

Diät gibt es gerade obendrauf. Nicht weniger als drei Monate Sommerpause für «Sturm der Liebe», neun Wochen für «Rote Rosen». Es läuft beim Publikum nicht mehr so, wie es laufen soll. Die Quoten sind in den letzten zehn Jahren um rund ein Drittel gesunken.

Das ist weniger Drama, als das deutsche Fernsehen in zwei Sendeminuten seiner Soaps unterbringt. Aber wie hat es überhaupt zu alldem kommen können? Warum diese deutsche Serienmanie, die sich krakenhaft auch noch ins Ausland ausgebreitet hat? «Sturm der Liebe» wurde nach Österreich, in die Schweiz, die Slowakei, nach Italien, Estland, Lettland, Litauen, Polen, Bulgarien, Frankreich, Albanien, Slowenien und Kanada exportiert.

Was selbst in Italien als «Tempesta d’amore» aus dem Fernseher kommt, müsste in Wahrheit «Die Winde der Liebe» heissen. Telenovelas sind wie Blähungen im Gedärm der Anstalten, und man konnte bisher kaum etwas dagegen tun. Vielleicht unternehmen die Sender jetzt selbst etwas?

Das Schicksal schlägt zu

Es waren noch die Jahre des Kanzlers Helmut Kohl, als Anstalten wie ARD und ZDF die amerikanischen Vorbilder «Dallas» und «Denver Clan» sahen und sagten: Das können wir auch! Die 1985 geschaffene Serie «Schwarzwaldklinik» stand für Liebe und Intrige in einem Land kämpferischer Harmoniesucht.

Während der Ferien streichelte Kohl die Rehkitze in den Bergen, und die Öffentlichrechtlichen machten statt bösartigem amerikanischem Familienzoff etwas Eigenes. Ein Gebilde aus Mittelstand, Keuschheit und Arztroman. Die existenzielle Tragik, die daraus entsteht, dass die Menschen tatsächlich auch bösartig sind, wurde in etwas Unschuldiges umgebogen.

Die Figuren in deutschen Serien sind seit der «Schwarzwaldklinik» in der Regel alle herzensgut, werden vom Schicksal aber manchmal auf Abwege gebracht. Überhaupt das Schicksal: Drehbuchgemäss fährt es in die normalsten Familien hinein. Es lässt verschollen geglaubte Verwandte wieder auftauchen, bringt Geschwister, die von ihrer Verwandtschaft nichts ahnen, an den Rand des Inzests und sorgt für sogenannte Schicksalsschläge. Zum Beispiel für Krankheiten, zu deren Heilung dann aber auch immer ein Arzt zur Stelle ist.

Dumm nur, dass im zweiten Handlungsstrang der Folge 4260 von «Sturm der Liebe» der Arzt selbst einen Kunstfehler begeht. Er mischt unabsichtlich psychoaktive Pilze ins Essen, was unter zwei Paaren zu einer Orgie führt.

Szenenbild aus Folge 4260 von «Sturm der Liebe».

Christof Arnold / ARD

Erbschleicher und autoritäre Väter

Das Schema der Soaps ist seit Jahrzehnten immer das gleiche. Mehrere Stränge werden wie bei einem Zopf ineinander geflochten, am Ende kommt ein hübsches Schleifchen dran. Dieses Bild hat sich der berühmte Hans W. Geissendörfer, Produzent der «Lindenstrasse», ausgedacht. Er nennt es «Zopfdramaturgie». Komplexer ist die Sache auch nicht.

Es gibt kein richtiges Leben im falschen Fernsehformat. Serien wie «Sturm der Liebe» und «Rote Rosen» haben das Genre bis an die Grenzen des Grotesken verschoben und sind längst zur Parodie ihrer selbst geworden. Die Plots sind an Albernheit kaum zu überbieten.

Wie viele unglücklich verliebte Pferdemädchen hat es in deutschen Serien in den letzten Jahrzehnten gegeben? Wie viele Erbschleicher waren hinter dem Landgut reicher bayrischer Tanten her? Wie viele Söhne haben sich mannhaft gegen den autoritären, aber erfolgreichen Vater gestellt, um sich dann klischeehaft mit ihm auszusöhnen?

Bei den Dreharbeiten für die Serien bleiben für jede Szene fünfundzwanzig Minuten Zeit. Pro Tag wird eine ganze Folge aufgenommen. Dabei rücken die Kameras den Schauspielern so nah ans Gesicht, dass deren mimischer Mangel wie unter dem Vergrösserungsglas erkennbar wird.

Die Hintergrundmusik der Serien ist Meterware und wird für jeden Gefühlszustand passend gemacht. Flöten und Streicher fürs Romantische, schepperndes Moll bei Gefahr. Man kann sich leicht darüber lustig machen, ohne damit die echten Fans zu überzeugen, die sich in den sozialen Netzwerken zu Glaubensgemeinschaften zusammengeschlossen haben. Dort teilen sie ihr Spezialwissen über Tausende Folgen ihrer Lieblingsformate.

Bei den privaten Anstalten geht es auch nicht sehr viel anders zu als bei ARD und ZDF. Auf RTL läuft die Daily Soap «Gute Zeiten, schlechte Zeiten» seit 1992 und kommt mittlerweile auf über 8000 Folgen. Mit der zwischengeschalteten Werbung ist das ökonomisch ein enormer Faktor.

RTL verdient hier mehrere hundert Millionen Euro pro Jahr. Geld, das sich das öffentlichrechtliche Fernsehen über die Rundfunkgebühr holt. RTL hat keinen Kulturauftrag, Deutschlands publikumsfinanziertes Fernsehen schon, und doch unterscheiden sich die Schamgrenzen in Sachen Seichtheit skandalös wenig.

Flucht in die Ironie

Daily Soaps sind Dinosaurierformate, die ihren ursprünglichen Daseinszweck der Werbung verdanken. Vor allem der amerikanische Waschmittelkonzern Procter & Gamble wollte in den dreissiger Jahren im Radio ein erzählerisches Umfeld für seine Reklame schaffen. Es waren unterkomplexe Geschichten voller Stereotypien, denen man neben der einförmigen Hausarbeit folgen konnte.

Das Analoge des Formats, mit dem der Eindruck geschaffen werden sollte, man nehme jeden Tag zur gleichen Zeit teil am Leben anderer Menschen, ist in Zeiten von Reality-Formaten wie Instagram und Tiktok uninteressant geworden. Und doch schöpft die ARD gerade bei der Sendermediathek Hoffnung. Es heisst, dass «Sturm der Liebe» und «Rote Rosen» hier zum Teil wettmachen, was beim linearen Fernsehen gerade wegbricht.

Wenn die ARD nachmittags ihre Serien auspackt, stehen keine Heerscharen von bügelnden Hausfrauen mehr vor den Fernsehgeräten, und auch die Diversität des heutigen Lebens kommt in den Soaps nur in magenschonender Konzentration vor. Mit ihrem Traumpaar-Kitsch liefern die Telenovelas ein Bild menschlicher Beziehungen, das quer zu allem steht, was sich rundherum tut.

Die Mode, solche Dinge ironisch zu schauen, wird sich auf Dauer auch nicht als grosser Publikumsbringer erweisen, aber offenbar haben die Macher der Serien zunehmend auch ein Herz für solche Kunden. Das Schlechte wird immer schlechter, und irgendwann finden es vielleicht sogar die Feinde gut.

Die Folge 4260 endet mit einem kleinen Happy End und mit einem echten Cliffhanger. Herr Finkenstein lässt sich im Restaurant des «Fürstenhofs» überzeugen, auf den 2010er Dottore Primavesi zu verzichten, und nimmt stattdessen einen anderen Wein. Darauf schallt der Ruf durch die Küche: «Das Gulasch kann raus!»

Gleichzeitig tut sich bei «Sturm der Liebe» schon ein neuer Abgrund auf. Gerade hat der Page Theo Wege gefunden, mit seiner ADHS-Erkrankung und seiner Klaustrophobie umzugehen, da steht er schreckensbleich vor einem neuen Gast und vor neuem Ungemach: «Mein Vater!» Nach dem Sommer geht’s weiter.

So sieht das richtige Leben aus, aber wieso soll man ihm auch noch am Fernsehen zuschauen? Aus der Folge 4002 von «Rote Rosen».

NDR

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