Die Physiker*innen: Max Planck, Albert Einstein, Frits Zernike, Anton ...

3 Tage vor

Determinismus, Indeterminismus, Libertarianismus, Kompatibilismus – Wer hat Recht?

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Foto SciLogs

Seit dem 20. Jahrhundert beschäftigen sich nicht nur Philosophen und Psychologen mit dem Thema Willensfreiheit. Die Kapitel 3 bis 5 meines neuen Buchs zum Thema behandeln die Standpunkte verschiedener Physikerinnen und Physiker zur Willensfreiheit. Auf der Abbildung sehen wir im Uhrzeigersinn: Max Planck (links, 1858-1947, Nobelpreis 1919), Albert Einstein (1879-1955, Nobelpreis 1921), Frits Zernike (1888-1966, Nobelpreis 1953), Anton Zeilinger (Nobelpreis 2022) und Sabine Hossenfelder.

Plancks Aufsatz aus den 1930ern über die Willensfreiheit inspirierte das gesamte Buch (er ist im Anhang neu veröffentlicht). Für den Gründer der Quantenphysik hing es von der Perspektive ab, ob wir Willensfreiheit haben oder nicht. Die kausale Geschlossenheit der Welt war für ihn eine Voraussetzung der Wissenschaft schlechthin.

Max Planck hatte seinen früheren Freund Albert Einstein aus der Schweiz nach Deutschland und Berlin geholt. Zusammen mit Plancks Sohn Erwin musizierten die drei regelmäßig zusammen: Einstein spielte Geige, Erwin Cello und Max Planck Klavier; Letzterer hatte als junger Mann zwischen einem Studium der Altphilologie, Musik und Physik geschwankt.

Die Freundschaft Plancks und Einsteins zerbrach allerdings wegen der Militarisierung Deutschlands und der Nazi-Diktatur. Der Pazifist und Jude Einstein sah sich zunehmenden öffentlichen Angriffen ausgesetzt und musste schließlich fliehen. Auf physikalischem Gebiet widersetzte er sich zeit seines Lebens dem Gedanken des Indeterminismus (z.B. in einem Brief an Max Born vom 4. Dezember 1926): Gott würfle nicht!

(In)Determinismus

Ich vertrete den Standpunkt (Kapitel 4), dass sich die Determinismusfrage überhaupt nicht lösen lässt: Sinnvollerweise könnte man nur vom (In)Determinismus des gesamten Universums sprechen. Doch dieser lässt sich mit den bekannten wissenschaftlichen Mitteln weder beweisen noch widerlegen. Ob hinter der Unbestimmtheit auf der Quantenebene echter Zufall steckt, hängt nach wie vor von der Interpretation ab.

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Bei Teilsystemen wie dem Gehirn oder einem Getränkeautomat kann man sinnvollerweise keinen Determinismus annehmen, da es sich um offene Systeme handelt, die permanent von außen beeinflusst werden. In der Informatik ist ein Algorithmus genau dann deterministisch, wenn die gleiche Eingabe (beim gleichen internen Zustand) immer zum gleichen Ergebnis führt.

Ein einfaches Beispiel ist die Maschinentabelle eines Getränkeautomats: Nehmen wir an, ein Getränk kostet 2 Euro. Der Automat akzeptiert 1 und 2 Euro-Münzen. Dann führen (vereinfacht gesagt) zwei 1- oder eine 2 Euro-Münzen zur Ausgabe des Getränks. Ist das wirklich immer der Fall? In der realen Welt muss man nur den Stromstecker ziehen und der Automat wird überhaupt nichts mehr ausgeben.

Was wie ein triviales Beispiel klingt, verdeutlicht schlicht den Punkt, dass deterministische Regeln realer Systeme immer durchbrochen werden können – dann sind diese Systeme aber nicht mehr deterministisch. Was es dann noch nutzt, über den theoretischen Determinismus idealer Systeme zu reden, möge jeder selbst beurteilen. Ich will die Willensfreiheit als praktisches Problem behandeln.

Gehirngleichungen

Jedenfalls scheitert daran auch Sabine Hossenfelders (angebliche) Widerlegung der Willensfreiheit von physikalischer Seite. Sie nimmt schlicht an, dass Gehirne durch deterministische Differenzialgleichungen beschrieben werden könnten. Doch weder gibt es solche Gleichungen – noch kann es sie geben, wenn meine Argumentation stimmt. Vielmehr müsste so eine Gleichung permanent umgeschrieben werden. Gemäß deterministischer oder indeterministischer Reglen?

Zudem lehnt Hossenfelder kompatibilistische Vorstellungen von Willensfreiheit, wie sie heute die Mehrheit der Philosophen vertreten, schlicht als “Begriffsverwirrung” ab. Ist das ein guter akademischer Stil? Viele Philosophen und Psychologen haben dafür argumentiert, dass Freiheit und Determination kein Widerspruch sind, sondern Willensfreiheit gerade eine bestimmte Form von Determination voraussetzt.

Physik und Philosophie

Frits Zernike kommt im Buch vor, weil er sich in den 1930er-Jahren an einer Ringvorlesung zum Thema Willensfreiheit an der Universität Groningen beteiligte. Darin gibt er – kontra Max Planck – die Vorstellung des kausalen Determinismus auf. Er war (als Experimentalphysiker) auch kein Freund des Philosophierens. Seiner Meinung nach würden Philosophen viel zu lange brauchen, um auf empirische Funde zu reagieren – die dann schon wieder lange überholt seien.

Im Buch vertrete ich den Standpunkt, dass sowohl die schnelle als auch die reflektierende Betrachtung in Wissenschaft und Philosophie ihre Berechtigung haben. In der Wissenschaft erhält oft nur derjenige den Ruhm, der eine Entdeckung als erster macht. Die tatsächliche Bedeutung so einer Entdeckung stellt sich oftmals aber erst in einer tiefgründigeren und längerfristigen Betrachtung heraus. Zudem gibt es in der Wissenschaftstheorie und Philosophie der Physik heute viele Akademiker*innen, die beide Fächer studierten.

Anton Zeilinger kommt – zusammen mit dem Schweizer Quantenphysiker Nicolas Gisin – im Buch kurz vor, weil er die Willensfreiheit schlicht für eine Notwendigkeit für wissenschaftliches Arbeiten hält. Damit schließt sich der Kreis zu Max Planck.

Mehr dazu in:

Schleim, S. (2023). Wissenschaft und Willensfreiheit: Was Max Planck und andere Forschende herausfanden. Berlin: Springer. Schleim, S. (2024). Science and Free Will: Neurophilosophical Controversies and What It Means to Be Human. Berlin: Springer.

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Lizenzen der Abbildungen: Anton Zeilinger von Jaqueline Godany, CC BY 4.0, Sabine Hossenfelder von HossenfelderS, CC BY-SA 4.0

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