Bruckner-Ausstellung in Wien: Fromm, schroff, akribisch, verstörend

Anton

Als Erstes fällt die akribische Notenschrift auf. Zwar sind die langen, von Hand gezogenen Taktstriche in den Partituren seiner großen Symphonien nicht immer ganz gerade, zwar sind die Notenköpfe ein wenig nach links geneigt, dennoch offenbart diese Schrift die Sorgfalt ihres Schöpfers: Jeder kleinere Notenwert ist mit voll ausgefüllten Kügelchen notiert, nichts deutet auf die ungestüm-energetische Notation Ludwig van Beethovens, nichts auf die Flüchtigkeit der oft in Kutschen geschriebenen Partituren Wolfgang Amadeus Mozarts. Am ehesten erinnert diese säuberliche und gut leserliche Notenschrift an jene von Johann Sebastian Bach.

Anton Bruckner, von dem hier die Rede ist, hätte sich wohl nie träumen lassen, dass alle seine Hauptwerke rund zweihundert Jahre nach seiner Geburt im oberösterreichischen Ansfelden in dem erhabenen, fast zwanzig Meter hohen Prunksaal der Österreichischen Nationalbibliothek (ÖNB) in Wien ausgestellt werden würden. Zwar hatte der bescheidene Komponist die Autographe seiner neun Symphonien sowie einiger Messen 1896 der damaligen Hofbibliothek testamentarisch vermacht, doch eine Ausstellung in diesem von Fischer von Erlach geplanten barocken Ambiente dürfte über alle Vorstellungen dieses zeitlebens von Selbstzweifeln geplagten Musikers hinausgegangen sein.

Bis zum 26. Januar 2025 ist diese von Andrea Harrandt und Thomas Leibnitz im Auftrag der ÖNB kuratierte Bruckner-Ausstellung zu sehen, die vor allem wegen der zahlreichen Originalwerke und historischen Zeugnisse aus Bruckners Zeit so aufschlussreich ist. Überdies wird sie im Lauf dieses Jahres, in dem sich Bruckners Geburtstag am 4. September zum zweihundertsten Male jährt, mehrfach variieren: Denn die sichtbaren Seiten aus den originalen Partituren – alle neun Symphonien sind versammelt – müssen aus konservatorischen Gründen immer wieder umgeblättert werden.

Der streng katholische Moderne

Mit dem Titel „Der fromme Revolutionär“ verweisen Harrandt und Leibnitz auf das Spannungsfeld, innerhalb dessen sich der Komponist bewegt hatte: Einerseits streng katholisch und konservativ (man kann seinen Taschenkalender sehen, in welchen er seine Gebete eintrug) konnte Bruckner die damals schon aufkeimenden Zweifel an der autoritären Habsburger-Monarchie schwer nachvollziehen, um andererseits mit seinen Symphonien musikalisch das Tor zur späteren Moderne weit aufzustoßen. Was ihm zu Lebzeiten oft Spott eingetragen hatte, konnten doch viele seiner Zeitgenossen das große Potential seines Schaffens noch nicht verstehen.

„Der Mangel an Intelligenz, das ist es, was uns die Bruckner’schen Symphonien, bei aller Originalität, Größe, Kraft, Phantasie und Erfindung so schwer verständlich macht. Überall ein Wollen, colossale Anläufe, aber keine Befriedigung, keine künstlerische Lösung.“ So urteilte selbst der Bruckner eigentlich wohlgesonnene Komponist Hugo Wolf über dessen dritte, Richard Wagner gewidmete Symphonie in d-Moll (1873, revidiert 1876/77 und 1888/89).

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