Wie verbreitet ist Antisemitismus unter Muslimen in Deutschland?

14 Mär 2024
Antisemitismus
Verschwörungsmythen in der arabischen Welt

Was Qabbani erzählt, ist eine antisemitische Verschwörungsideologie: Juden als angebliche Strippenzieher, und der Staat Israel als Täter. Auch im Netz finden sich antisemitische Inhalte aus der arabischen Welt. Juden werden als Schweine dargestellt, Israel das Existenzrecht abgesprochen.

Wenn wir die sozialen Medien anschauen, dann merke ich, dass wir seit dem 7. Oktober eine gut durchdachte, sehr professionelle Kampagne erleben.

"Wenn wir die sozialen Medien anschauen, dann merke ich, dass wir seit dem 7. Oktober eine gut durchdachte, sehr professionelle Kampagne erleben", sagt der Extremismus-Experte Ahmad Mansour. Der Psychologe wurde in Israel als Kind arabisch-palästinensischer Eltern geboren. Seit 2004 lebt er in Deutschland. Er warnt: "Die Hamas und ihre Unterstützer versuchen, Menschen im Westen, auch hier in Deutschland, auf der Straße zu bewegen. Das sind sehr emotionalisierende Ansprachen. Und das ist natürlich Futter für eine weitere Radikalisierung."

Eine Radikalisierung in Deutschland

Omar hat sich ohne soziale Medien radikalisiert. Da er nicht erkannt werden möchte, wird sein voller Name hier nicht genannt. Omar kam als Dreijähriger nach Deutschland. Seine Eltern flohen aus der Türkei, verweigerten bei ihrem Asylantrag den Herkunftsnachweis, um nicht abgeschoben zu werden. Für Omar hieß das: eingeschränkte Rechte, keine Bewegungsfreiheit, keine Arbeitserlaubnis. Er geriet auf die schiefe Bahn.

"Bei der letzten Straftat, da haben wir fast einen Menschen getötet. Gottseidank ist er nicht gestorben, aber es war fast so weit", sagt Omar. Die Konsequenz: 30 Monate Jugendknast. Omar sucht Zuflucht im Islamismus. Kein unehelicher Sex, kein Alkohol - der Glaube, sagt er, habe ihm den Freiheitsentzug erleichtert.

Hinter Gittern radikalisiert er sich. "Wenn da mehrere Muslime sind, die dann 'Scheißjude' sagen und ein Muslim das nicht sagt, dann hat er ein Problem, auch im Gefängnis", erzählt Omar. "Und da will man sich nicht trauen zu sagen 'Nein, ich sage das nicht' oder 'Ich bin ein Judenfreund'."

Ausschlaggebender als die Religion sei jedoch die Herkunftsregion, sagt Antisemitismusforscherin Arnold. "Es gibt unterschiedliche Einflussfaktoren für diese erhöhten Zustimmungswerte zum israelbezogenen Antisemitismus. Das eine sind sicherlich Narrative aus Herkunftsregionen." Dabei gehe es um Menschen, die aus Ländern ausgewandert sind, in denen Anti-Zionismus zum Staatsprogramm gehöre.

NS-Ideologie in muslimischer Welt verbreitet

Abdullah Qabbani wohnt mit seiner Frau in einer Plattenbausiedlung. Schon als Kind würde man in seiner Heimat Syrien lernen, gegen Israel zu sein. "In der Grundschule haben wir gelernt, dass Israel ein Feindstaat ist und wir stark sein müssen, um diesem Staat entgegenzutreten, weil sie unser Land besetzen wollen." Diese Perspektive auf Israel habe sich auch in den vergangenen sieben Jahren in Deutschland nicht geändert.

In der Grundschule haben wir gelernt, dass Israel ein Feindstaat ist und wir stark sein müssen, um diesem Staat entgegenzutreten, weil sie unser Land besetzen wollen.

Bei den Recherchen ist MDR Investigativ auf ein drei Jahre altes Video gestoßen: In Reih und Glied stehen Kinder in blauen Uniformen auf einem Schulhof. Es soll einen Appell in Syrien zeigen, bei dem die Schüler einen Eid auf ihr Land schwören. Am Ende strecken alle den rechten Arm mit ausgestreckter Hand nach oben – eine Geste, die an den Hitlergruß erinnert. Qabbani sagt, dass er das genauso aus seiner Schulzeit kenne: "Kinder lernen das." Ob die Geste wirklich den Hitlergruß meint, können wir nicht final klären.

Dass die NS-Ideologie in der muslimischen Welt weit verbreitet ist, bestätigt Extremismus-Experte Mansour. "Wenn sie nach Jordanien gehen und sagen, sie sind Deutscher, dann werden sie wahrscheinlich angesprochen auf Hitler und wie toll der Mann war." Hitlers "Mein Kampf” sei eine Art Bestseller in der muslimischen Welt. "Das ist ein ganz anderer Zugang aufgrund dieses Hasses auf Juden natürlich. Das heißt, diese Reflexion, die die Deutschen mitgemacht haben und auch die Distanzierung von dieser Nazi-Ideologie, das ist in der arabischen Welt kaum vorhanden."

Antisemitismus nicht nur ein muslimisches Problem

Igor Matviyets ist Jude. Er arbeitet für das "Landesnetzwerk der Migrantenorganisationen in Sachsen-Anhalt" und ist in der SPD aktiv. Seit dem 7. Oktober und den darauffolgenden Ausschreitungen und Parolen gegen Israel und Juden sei er bereits mehrfach gefragt worden, ob jüdisches Leben in Deutschland sicher sei.

Also, ich habe eher den Eindruck, dass die Leute sehr schnell vergessen, dass die Bedrohung des jüdischen Lebens eigentlich eine Konstante in der deutschen Geschichte ist.

"Also, ich habe eher den Eindruck, dass die Leute sehr schnell vergessen, dass die Bedrohung des jüdischen Lebens eigentlich eine Konstante in der deutschen Geschichte ist", sagt Matviyets. "Und sobald dann halt etwas so Tragisches, so Schlimmes, ja so Großes wie am 7. Oktober passiert, schauen wieder alle hin."

Nun allein auf den Antisemitismus unter Muslimen zu schauen, sei der falsche Ansatz, so Matviyets. "Es wird suggeriert, das ist nicht ein deutsches Problem. Und damit macht man sich das in meinen Augen zu einfach. Also ich lebe in Halle. Unsere Gemeinde wurde Ziel eines Deutschen, der vom Antisemitismus angetrieben wurde."

Im Oktober 2019 versuchte der Attentäter an Jom Kippur mit Waffengewalt in die Synagoge einzudringen, um die dort versammelten Menschen zu töten. Er ermordete zwei Menschen. Matviyets arbeitet heute selbst mit vielen Muslimen zusammen. Er sagt: Um verfestigte antisemitische Denkmuster zu durchbrechen, brauche es vor allem mehr Bildungsangebote.

Eine Lösung: Integration richtig angehen

Omar konnte sich mit Hilfe eines Gewaltpräventionsprogramms vom Islamismus lösen. Heute arbeitet er selbst als Sozialarbeiter mit Straftätern. Er versucht die Hilfe, die er einmal selbst bekommen hat, weiterzugeben. Das Nachdenken über seine eigenen Einstellungen und die Hilfe, die er bekommen hat, haben es ihm ermöglicht, seine erlernten Vorurteile abzulegen. "Ich habe wirklich 20 Jahre gedacht, dass der Jude mein größter Feind ist, ohne zu wissen, warum. Weil mir das als Kind so in der Sprache mitgegeben worden ist."

Doch längst nicht allen gelingt es, antisemitische Denkmuster abzulegen. Zu stark sind diese in manchen Biografien verankert. "Wenn wir Integration richtig machen wollen, da reichen nicht ein oder zwei Integrationskurse", sagt Psychologe Mansour. Die Menschen müssten begleitet und ihnen klargemacht werden: "Wer Teil von Deutschland sein möchte, muss die Werte dieser Gesellschaft auch verinnerlichen und danach leben und als Chance sehen. Aber diese Bemühungen sehe ich nicht. Ich sehe nur eine Politik, die immer wieder sagt, nie wieder und Antisemitismus hat keinen Platz. Aber so weitermacht wie vor dem 7. Oktober."

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