Warum die Antisemitismus-Resolution des Bundestags zu vage ist
Die am Donnerstag vom Bundestag verabschiedete Resolution „Nie wieder ist jetzt“ ist ein Dokument des guten Willens, in einer durch das Hamas-Massaker und den Gazakrieg noch brisanter gewordenen Situation bei der Bekämpfung des Antisemitismus nicht nachzulassen. Doch sie weicht einer für die Beurteilung dieser Situation entscheidenden Frage aus: Unter welchen Bedingungen genau ist Protest gegen Israels Politik legitim? Und wann ist er antisemitisch und daher zum Beispiel von öffentlicher Kulturförderung auszuschließen? Bezeichnend für dieses Ausweichen ist die Beharrlichkeit, mit der Redner der vier Fraktionen, die die Resolution erarbeitet hatten, auf der allein maßgeblichen Rolle der Antisemitismus-Definition der IHRA bestanden.
Anders als Definitionen sonst ist diese nämlich keine Eingrenzung, sondern eine programmatische Entgrenzung des Begriffs, den sie als „eine bestimmte Wahrnehmung von Jüdinnen und Juden“ kennzeichnet, „die sich als Hass gegenüber Jüdinnen und Juden ausdrücken kann“. Diese Formel ist weit genug, dass sie potentiell antisemitische Motive auch hinter Israel-Kritik erfassen kann; doch da sie selber nur Beispiele, aber kein allgemeines Kriterium dafür angibt, überantwortet sie diese Einschätzung dem Ermessensspielraum der jeweiligen Deutungsinstanz.
Das Beispiel jener Doppelmoral, die „von Israel ein Verhalten fordert, das von keinem anderen demokratischen Staat erwartet oder gefordert würde“, ist besonders interpretationsoffen – Vergleichspunkt müssten hier ja andere Krieg führende Staaten und die von ihm betroffenen Bevölkerungen sein. Deshalb sprechen Kritiker wie Barbara Stollberg-Rilinger, die Rektorin des Wissenschaftskollegs, oder der Völkerrechtler Matthias Goldmann von einer „Missbrauchsanfälligkeit“ der Definition und einer Bedrohung für die Kunst- und Wissenschaftsfreiheit, sobald sie in Behörden etwa bei der Vergabe von öffentlichen Geldern zur Anwendung kommt.
Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.
Im Bundestag wurden solche Befürchtungen jetzt brüsk als „fundamentales Missverständnis“ oder „bösartige Unterstellung“ zurückgewiesen. Dabei hat sogar Kenneth Stern, der Direktor des „Bard Center for the Study of Hate“, der die Definition federführend entwickelt hatte, mehrfach beklagt, sie sei „missbraucht“ worden, „um propalästinensische Meinungsäußerungen zu unterdrücken“. Ein offensichtliches Beispiel für Missbrauch lieferte schon im Bundestag selbst Beatrix von Storch (AfD), die für Resolutionspassagen wie die Zurückführung des Antisemitismus auf Zuwanderung oder die Aufforderung, „repressive Möglichkeiten konsequent auszuschöpfen“, die Urheberschaft beanspruchte: „Das nennen wir eine Zeitenwende. Nur die AfD will umsetzen, was Sie nur fordern!“ Es seien keine Rechten, die in den Hochschulen jetzt Juden bedrängten, sondern Muslime und Linke. Da rächte sich, dass in der Resolution zwar die Preisverleihung auf der Berlinale erwähnt wurde, nicht aber der Terroranschlag auf die Synagoge in Halle.
Es war Armin Laschet (CDU), der sich der antimuslimischen Hetze widersetzte und mit Verweis auf eine gemeinsame Erklärung mit islamischen Verbänden in NRW sagte: „Sie müssen die friedlichen Muslime mit hinein holen.“ In der gleichen Richtung äußerte sich Gregor Gysi (Linke), der sein beeindruckend bedrücktes Statement mit dem Ausruf beendete: „Gleichberechtigung und Gleichbehandlung für alle!“ So wie der Kampf gegen Rassismus niemals missbraucht werden dürfe, um Antisemitismus zu rechtfertigen, dürfe der Kampf gegen Antisemitismus nicht für die Einschränkung von Grundrechten herhalten.
In der Resolution selbst fehlt eine solche ausdrücklich universalistische Perspektive. Wenn es jetzt um rechtlich verbindliche Regelwerke geht, sollte die Debatte der Anstoß sein, die Lücke zu schließen.