Alzheimer-Medikament Lecanemab vor Zulassung in der EU
Die europäische Arzneimittel-Behörde EMA hat für die EU erstmals grünes Licht für eine Alzheimer-Therapie gegeben, die auf zugrundeliegende Krankheitsprozesse abzielt. Die Behörde empfahl die Zulassung des Antikörpers Lecanemab zur Behandlung leichter Gedächtnis- und Denkstörungen oder leichter Demenz in einem frühen Stadium der Alzheimer-Krankheit.
Bisherige Alzheimer-Therapien behandeln nur Symptome der Krankheit, nicht ursächliche Prozesse im Gehirn. Bei der EMA-Empfehlung gibt es allerdings eine Einschränkung: Das Mittel solle nur für Alzheimer-Patienten verwendet werden, die nur eine oder keine Kopie von ApoE4, einer bestimmten Form des Gens für das Protein Apolipoprotein E, haben. Bei ihnen ist die Wahrscheinlichkeit für bestimmte schwerwiegende Nebenwirkungen, Schwellungen und Blutungen im Gehirn, geringer als bei Menschen mit zwei ApoE4-Kopien.
Zulassung zunächst abgelehnt
Die für die Zulassung zuständige EU-Kommission folgt gewöhnlich dem Votum der Behörde. Hersteller von Lecanemab sind die Pharmaunternehmen Eisai aus Japan und Biogen aus den Vereinigten Staaten. Im Juli hatte die EMA eine Zulassung noch abgelehnt: Das Risiko schwerer Nebenwirkungen des Antikörpers sei höher zu bewerten als die erwartete positive Wirkung, hieß es. Die Hersteller hatten eine zweite Prüfung beantragt - mit Erfolg.
Der Humanarzneimittelausschuss (CHMP) der EMA kam nun zu dem Schluss, dass in der begrenzten Population, die bei der erneuten Prüfung untersucht wurde, der Nutzen von Lecanemab bei der Verlangsamung des Fortschreitens der Krankheitssymptome größer ist als die Risiken. Bei der ersten Prüfung waren noch keine Untergruppenanalysen berücksichtigt worden, sondern alle Patienten.
Nebenwirkungen in der Untergruppe seltener
Bei den mit Lecanemab behandelten Patienten mit nur einer oder keiner ApoE4-Kopie traten demnach bei 8,9 Prozent Schwellungen im Gehirn auf, im Mittel aller Patienten bei 12,6 Prozent. Mikroblutungen gab es bei 12,9 Prozent der Patienten mit nur einer oder keiner ApoE4-Kopie, verglichen mit 16,9 Prozent der breiteren Population. Bei den Patienten mit nur einer oder keiner ApoE4-Kopie, die mit Placebo (einer Scheinbehandlung) behandelt wurden, lagen die Werte für Schwellungen bei 1,3 Prozent und für Blutungen bei 6,8 Prozent, wie es von der EMA hieß.
Hauptmaßstab für die Wirksamkeit war die Veränderung der kognitiven und funktionellen Symptome nach 18 Monaten, die anhand einer Demenzbewertungsskala (CDR-SB) gemessen wurde. Die Skala reicht von 0 bis 18, wobei höhere Punktzahlen eine stärkere Beeinträchtigung anzeigen. Mit Lecanemab behandelte Patienten wiesen nach 18 Monaten im Mittel einen etwas geringeren Anstieg des Wertes auf (1,22 gegenüber 1,75). Das deute auf einen langsameren kognitiven Abbau hin, teilte die EMA mit.
Patienten müssen regelmäßig kontrolliert werden
Die Behörde betont in ihrer Stellungnahme, dass es zwingend Maßnahmen zur Risikominimierung geben müsse. Vor Beginn der Behandlung und vor der 5., 7. und 14. Lecanemab -Dosis müssen bei den Patienten demnach MRT-Scans durchgeführt werden, zusätzliche Scans bei Warnzeichen wie Kopfschmerzen, Sehstörungen und Schwindel.
Der Antikörper, der seit Anfang 2023 bereits unter dem Handelsnamen Leqembi in den USA zugelassen ist, soll das Proteinfragment beta-Amyloid (Aß) aus dem Gehirn entfernen. „Amyloid ß steht vermutlich am Beginn einer Kaskade der neuronalen pathologischen Veränderungen im Gehirn“, sagte Jörg Schulz von der Uniklinik Aachen, Sprecher der Kommission „Demenz und Kognitive Störungen“ der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN).
Das Mittel könnte bald in Deutschland verfügbar sein
In Deutschland sind etwa eine Million Menschen von der Alzheimer-Krankheit betroffen. Der nun empfohlene Antikörper Lecanemab bessert die Symptomatik nicht, sondern soll lediglich das Fortschreiten der Krankheit bremsen. Daher wird er nur für Betroffene im frühen Stadium der Erkrankung empfohlen. Verabreicht wird der Antikörper alle zwei Wochen durch eine intravenöse Infusion, die unter Aufsicht erfolgen muss.
Fachleute wie Frank Jessen vom Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) in Köln gehen zwar davon aus, dass das Mittel relativ schnell in Deutschland verfügbar sein wird. Allerdings dürfte es dann noch eine Weile dauern, bis es an den Fachzentren eine abgestimmte und verantwortungsbewusste Einführung der Therapie gibt. Jessen nimmt aber an, dass einige Ärzte das Mittel auch schon vorher abgeben. „Weil der Druck von Patienten hoch ist. Viele sagen auch: Ich zahle das sofort selbst aus eigener Tasche.“