Wahl in Frankreich: Was Alice Weidel von Marine Le Pen lernen will
Analyse · Zu einer Regierungsübernahme der Rechten kommt es in Frankreich nicht, erfolgreich ist der Rassemblement National aber schon. Das will die AfD für sich nutzen – und bringt Alice Weidel nicht zufällig am Tag der Neuwahl im Nachbarland als Kanzlerkandidatin 2025 ins Gespräch.
Alice Weidel stellt Co-Parteichef Tino Chrupalla in den Schatten - zuletzt auf dem AfD-Bundesparteitag in Essen.
Foto: dpa/Bernd von JutrczenkaGemeinsame Bilder von Alice Weidel und Marine Le Pen gibt es keine. Auch wenn es der deutschen AfD-Chefin sehr gefallen dürfte, hat sich das Gesicht des Rassemblement National (RN), die französische Politikerin und dreimalige Präsidentschaftskandidatin Marine Le Pen, noch nie mit ihrer deutschen Kollegin ablichten lassen. Und das, obwohl Weidel kaum eine Gelegenheit zur Anbiederung ausließe: Mit „respektvoller Würdigung“ und der „größten Hochachtung“ schrieb die AfD-Politikerin Anfang des Jahres einen persönlichen Brief an Le Pen, nachdem sich die beiden in Paris zum Mittagessen getroffen hatten. Weil dort nicht alle Unstimmigkeiten ausgeräumt werden konnten, die das „Potsdamer Geheimtreffen“ zwischen Le Pen und AfD auslöste, verlangte die Französin ein schriftliches Zugeständnis – und Weidel lieferte.
Die bekanntesten Politiker der AfD seit 2013
14 Bilder
Auf den Fuß folgen würde die zehn Jahre jüngere AfD-Vorsitzende ihrem französischen Vorbild wohl gerne auch auf der großen politischen Bühne, wie seit Sonntag klar sein dürfte. Dass sie als Kanzlerkandidatin der AfD zur Bundestagswahl 2025 antritt, hat zumindest der formal gleichberechtigte Partei-Co-Vorsitzende Tino Chrupalla im ARD-Sommerinterview ins Spiel gebracht. „Alice Weidel wäre eine sehr gute Kanzlerkandidatin, was ich auch unterstützen würde“, sagte Chrupalla. Dass er betont, entscheiden würde dies letztlich die Basis der Partei, der er nicht vorgreifen würden, ist zu vernachlässigen. Denn er selbst wäre derzeit die einzige parteiinterne Konkurrenz in der K-Frage. Er legt damit seine eigenen Ambitionen öffentlich ad acta. Auch dass sich Weidel in ihrem Sommerinterview im ZDF zu der Frage bedeckt hält, dürfte eher taktische Gründe haben. Nach außen – in Teilen auch nach innen – gibt sich die AfD schließlich gern als besonders basisdemokratische Partei.
Das ist Alice Weidel
13 Bilder
Den Mitgliedern und natürlich auch der Spitze der Partei reichen gute zweistellige Bestwerte, die bei den Ostwahlen durchaus zu erwarten sind, nicht mehr aus. Sie wollen über kurz oder lang mitregieren. Dafür sind offene Debatten über Kanzlerkandidaturen und mögliche Ministerpräsidentenämter zu wenig – es braucht strategische Konzepte, die Brandmauern zu durchbrechen, solange keine absoluten Mehrheiten in Sicht sind. Kein Wunder, dass Weidel, und nicht nur sie, sich an ihren erfolgreichen Pendants in den Nachbarländern orientieren, von den Besten lernen will. Das tat die AfD schon unter der damaligen Parteichefin Frauke Petry, die regen Austausch mit den europäischen Radikalen pflegte. Geert Wilders (jüngst Wahlsieger in den Niederlanden), Matteo Salvini (damals Vorsitzender der italienischen Lega Nord) und Marine Le Pen (damals noch Chefin der der Partei unter ihrem alten Namen „Front National“) folgten Petrys Einladung im Januar 2017 zu einem Kongress der europäischen Rechtspopulisten in Koblenz. Kurz nach dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise stimmte man sich dort darauf ein, gemeinsam Strategien gegen eine „Massenimmigration“ nach Europa zu entwickeln.
Der kleinen, gleichnamigen Fraktion im EU-Parlament (“Europa der Nationen und der Freiheit“) gehörten zum damaligen Zeitpunkt 36 Abgeordnete rechtspopulistischer bis -extremistischer Parteien Europas an – auch die AfD fand dort ihren Platz. Inzwischen haben die Rechtsaußen-Fraktionen im Europäischen Parlament zwar deutlich an Gewicht und Bedeutung zugenommen, die AfD aber scheint nun außen vor zu sein. Wie an diesem Montag bekannt wurde, ist sie auch im neuen Bündnis der „Patrioten für Europa“ nicht dabei, nachdem sie schon die weit rechts stehende ID-Fraktion ablehnte. Der von der FPÖ, Viktor Orbáns ungarischer Fidesz sowie der populistischen ANO aus Tschechien neugegründeten Patrioten-Fraktion schloss sich kurzerhand nun auch Marine Le Pens RN an. Nachdem sich die Französin persönlich schon vor der EU-Wahl deutlich von der AfD distanziert hatte.
Dass es damals wie heute um Migrationspolitik geht, bei der sich die rechtsextremen Parteien in ihren Zielen keineswegs unterscheiden, zeigt die Taktik Le Pens: Eine Distanz zum Schein, um wählbar zu wirken. Vom ganz Extremen hat sich ihre Partei nach außen gelöst – angefangen bei der Namensänderung im Jahr 2018. Stück für Stück hat sich Marine Le Pen damit nicht nur von ihrem rechtsextremen, antisemitischen Vater und Parteigründer Jean-Marie Le Pen abgesetzt, sondern die asylfeindlichen, nationalistischen Inhalte durch gekonntes Marketing salonfähig gemacht. Genau wie Le Pen will auch Weidel als für höchste Ämter geeignet präsentieren, verzichtet zunehmend auf schrille Töne, lässt Fragen notfalls offen und Provokationen ins Leere laufen. Einigkeit nach außen ist die neue Devise, deren Schein Chrupalla und Weidel ganz gut wahren – auf dem Parteitag sogar Scherze über ihre gegenseitige Liebe machten. Zu dem schlechteren Wahlergebnissen der Favoritin Weidel kein Ton. Da scheint die von Chrupalla zur Primetime ausgegebene Kanzlerinnen-Würde wie ausgleichende interne Gerechtigkeit.
Trotz aller Bemühungen um Professionalität ist die AfD in Deutschland dennoch weit entfernt vom Erfolg des RN in Frankreich. Allein Skandale wie die um die EU-Spitzenkandidaten Maximilian Krah und Petr Bystron würden einer Marine Le Pen nicht passieren. Hinter den Kulissen des wiedergewählten Führungsduos brodelt es weiter, auch wegen des Umgangs mit den beiden Beschuldigten. Nicht zuletzt dadurch gibt die AfD den Verfassungsschutzbehörden immer neuen Anlass, die Überwachung zu verschärfen. Auch das macht einen Durchmarsch wie den des RN in absehbarer Zeit eher unmöglich. Eine Kandidatur fürs Kanzleramt öffentlichkeitswirksam anzukündigen und im Wahlkampf auf die durchaus kluge Alice Weidel zuzuspitzen, wird auch da nicht helfen. Der RN in Frankreich wird nicht nur auf EU-Fraktionsebene fürs Erste unerreichbar bleiben.