Buch "Patriot": Alexej Nawalny rechnete mit seinem Tod in Haft

13 Okt 2024

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Foto ZEIT ONLINE

Notizen des russischen Oppositionellen zeigen, dass Nawalny davon ausging, die Haft nicht zu überleben. Nun sind Teile des Tagebuchs noch vor seinem Buch erschienen.

Aktualisiert am 12. Oktober 2024, 17:16 Uhr Quelle: ZEIT ONLINE, AFP, dpa, tgr

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Nach Bekanntwerden seines Todes fanden – trotz Verbot der russischen Behörden – spontane Gedenkveranstaltungen für Nawalny statt. (Archivaufnahme vom Februar 2024) © Artem Priakhin/​SOPA Images/​dpa

Der russische Oppositionsführer Alexej Nawalny hat mit seinem Tod in Haft gerechnet. Das geht aus Auszügen aus seinen posthum zusammengestellten Memoiren hervor. "Ich werde den Rest meines Lebens im Gefängnis verbringen und hier sterben", schrieb Nawalny während seiner Haft im März 2022 in sein Tagebuch, wie am Freitag im New Yorker veröffentlichte Auszüge zeigen.

Dessen Chefredakteur David Remnick zufolge zeugt das Tagebuch von Nawalnys ungebrochener Kraft, aber auch von der "Tragik" seines Schicksals. "Es wird niemand zum Verabschieden da sein", schrieb Nawalny. "Alle Jubiläen werden ohne mich gefeiert werden. Ich werde niemals meinen Enkelkindern begegnen." Nawalny, der prominenteste Kritiker des russischen Präsidenten Wladimir Putin, war am 16. Februar im Alter von 47 Jahren in einem russischen Straflager in der Arktis gestorben, wo er eine 19-jährige Haftstrafe verbüßen sollte. Seine Anhängerinnen und Anhänger sowie zahlreiche westliche Politikerinnen und Politiker machen die russische Führung für den Tod des Oppositionellen verantwortlich.

Deutsche Ausgabe erscheint am 22. Oktober

Das neue Buch mit dem Titel Patriot stützt sich auf Tagebucheinträge Nawalnys aus der Haft und der Zeit davor. Veröffentlicht wird es am 22. Oktober vom US-Verlag Knopf, der auch eine russische Version plant. Die deutsche Ausgabe erscheint zeitgleich im S. Fischer Verlag.

In einem Eintrag vom 17. Januar 2022 schreibt Nawalny: "Das Einzige, was wir fürchten sollten, ist, dass wir unsere Heimat aufgeben, um sie von einer Bande von Lügnern, Dieben und Heuchlern ausplündern zu lassen."

In einem Eintrag vom 1. Juli 2022 fasst der Oppositionspolitiker einen typischen Tagesablauf zusammen: Aufwachen um 6 Uhr, Frühstück um 6.20 Uhr und Arbeitsbeginn um 6.40 Uhr. "Bei der Arbeit sitzt man sieben Stunden an der Nähmaschine auf einem Hocker unter Kniehöhe", schreibt er. "Nach der Arbeit sitzt man einige Stunden auf einer Holzbank unter einem Porträt Putins. Das nennen sie 'disziplinarische Tätigkeit'."

Mit dem Schreiben seiner Memoiren hatte Putins größter Kritiker nach einem Giftanschlag im Jahr 2020 begonnen, in dessen Folge er mehrere Monate lang in der Berliner Charité behandelt wurde. Im Jahr darauf kehrte Nawalny nach Russland zurück, wo er festgenommen und zu 19 Jahren Haft verurteilt wurde.

Laut dem New Yorker-Chefredakteur Remnick sind Nawalnys Tagebuchnotizen auch Ausdruck seiner inneren Stärke. Es sei "unmöglich", sie zu lesen, "ohne über die Tragik seines Leidens und seines Todes empört zu sein", sagte Remnick unter anderem über Nawalnys Beschreibungen seines Hungerstreiks im April 2021, bei dem der damals 45-Jährige jeden Tag ein Kilogramm Gewicht verlor. Die Tür zur Gefängnisküche, in der Hühnchen gekocht und Brot gebacken werden, werde "absichtlich offen gelassen", damit der Geruch zu ihm gelange, schrieb Nawalny. Am 11. April 2021 beschrieb er seinen Gemütszustand als desolat. Er sei "zum ersten Mal emotional und moralisch am Boden", hieß es in einem Eintrag. Doch bereits wenige Tage später schöpfte Nawalny neue Kraft, auch dank der internationalen Unterstützung, "darunter fünf Nobelpreisträger" und sogar Autorin "J. K. Rowling".

Ungebrochene politische Überzeugungen

Auch Nawalnys ungebrochener Humor schimmere trotz der Isolation immer wieder durch die Zeilen durch, schreibt das Magazin. Der russische Oppositionelle hielt in seinen Tagebuchnotizen etwa halb ironisch fest: "Wenn sie mich umbringen, erhält meine Familie den Vorschuss und die Autorenrechte, die es hoffentlich geben wird."

Mit Blick auf den 2020 auf ihn verübten Giftanschlag fügt Nawalny hinzu: "Seien wir ehrlich: Wenn ein undurchsichtiger Mordversuch mit einer chemischen Waffe, gefolgt von einem tragischen Tod im Gefängnis, den Buchverkauf nicht ankurbeln kann – was dann? Der Autor des Buches wurde von einem berüchtigten Präsidenten ermordet. Was könnte der Marketingabteilung Besseres passieren?"

Der letzte vom New Yorker vorveröffentlichte Tagebucheintrag stammt vom 17. Januar 2024. Darin beantwortet Nawalny die Frage von Mitinsassen und Gefängniswärtern, warum er nach Russland zurückgekehrt sei. "Ich wollte mein Land nicht aufgeben oder es verraten. Wenn unsere Überzeugungen etwas bedeuten sollen, muss man bereit sein, für sie einzustehen und, wenn nötig, Opfer zu bringen." Über die Folgen eines möglichen Anschlags auf ihn spekulierend, erklärte Nawalny, seine Memoiren würden sein Denkmal sein.

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