Alexander Dobrindt: Selenskyjs verunglückte Pointe

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Alexander Dobrindt - Figure 1
Foto ZEIT ONLINE

Arbeitslose Ukrainer abschieben zu wollen, ist plumpe Stimmungsmache. Doch den Boden für solchen Quatsch hat ausgerechnet der ukrainische Präsident selbst bereitet.

23. Juni 2024, 13:12 Uhr

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Ukrainische Rekruten bei einer Zeremonie in Kiew © Kirill Chubotin/​Ukrinform/​Future Publishing/​AFP/​Getty Images

Achtung, Stöckchen! Alexander Dobrindt droht arbeitslosen Ukrainerinnen und Ukrainern in Deutschland, sie zurückzuschicken, in die "sicheren Gebiete" im Westen der Ukraine. Klar, so ein Satz bringt einen in die Schlagzeilen, die einen regen sich darüber auf, die anderen applaudieren. Aufgeregt haben sich über die Forderung zum Beispiel recht schnell Politiker von den Grünen und der SPD. Applaudieren wird der rechte Rand und der vermeintlich linke aus dem Umfeld Sahra Wagenknechts.  

Alexander Dobrindt fällt nun nicht zum ersten Mal durch schrille Thesen und scharfe Angriffe auf. Die Grünen nannte er schon den "politischen Arm von Krawallmachern, Steinewerfern und Brandstiftern". Die Linke wollte er verbieten lassen, die Letzte Generation bezeichnete er als Klima-RAF. Dobrindt hat den Begriff "Anti-Abschiebe-Industrie" erfunden und schuf damit das Unwort des Jahres 2018.  

Politische Macht hat Dobrindt qua Amt nicht mehr. Er war mal CSU-Generalsekretär und später Verkehrsminister, heute leitet er die CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag. Er wäre also gar nicht in der Position, Abschiebungen in die Ukraine anzuordnen, zumal mit einem Wochenendkurs in Völkerrecht sofort klar wäre, dass das nicht möglich ist.  

Die Ukraine ist nicht sicher. Nach Angaben der Ukraine, die sich nicht unabhängig prüfen lassen, aber von Russland auch nicht dementiert werden, hat Russland innerhalb von drei Wochen etwa 2.400 Lenkraketen auf die Ukraine geschossen, davon 700 allein auf die Stadt Charkiw. Erst am Samstag starben dort drei Menschen durch Beschuss, zig weitere wurden verletzt. Am Samstag sollen Raketen in Lwiw eingeschlagen sein, am frühen Sonntagmorgen flog Russland außerdem Angriffe auf Kiew. Die Wahrscheinlichkeit, von einer Rakete oder von Artilleriegeschossen getötet zu werden, ist in Charkiw geringer als an der Front im Donbass. In Kiew ist sie geringer als in Odessa, in Lwiw geringer als in Kiew. Die Gefahr, von einer Rakete getroffen zu werden, besteht aber weiter jederzeit und überall im Land.  

Dazu kommen die weniger offensichtlichen Folgen des Krieges: Die Gefahr von Tod und Verletzung wird begleitet von ständiger Angst, von Flucht im eigenen Land, vom Verlust des Arbeitsplatzes, weil etwa die Firma oder Fabrik, in der man vorher gearbeitet hat, zerbombt wurde. Vielleicht auch die eigene Wohnung. Die Menschen, die fliehen, suchen Hilfe. Das verkennt Dobrindt.  

Dobrindts Gespür für Stimmungsmache

Was Dobrindt allerdings sieht, und dafür kann man ihm tatsächlich ein feines Gespür unterstellen, sind aufgeladene Debatten, die sich leicht für Stimmungsmache hergeben. Es ist die alte populistische Empörungstreppe. Jemand beginnt eine Debatte, jemand anderes fordert etwas, und irgendwann kommt jemand vom Rand dazu und fordert etwas noch Schärferes. In diesem Fall war die Ausgangsdebatte die ums Bürgergeld für ukrainische Geflüchtete. Politiker von Union und FDP fordern, ukrainischen Geflüchteten die Höhe der Unterstützung zu kürzen. Auch das ist schon rechtlich mehr als wacklig und wirtschaftlich sowieso nicht besonders sinnvoll. Dobrindt setzt dem Ganzen trotzdem noch eins drauf.

Dahinter steckt mehr Kalkül, als es auf den ersten Blick scheint, man kennt das zum Beispiel aus Gehaltsverhandlungen: Der Chef wird weniger anbieten, als er zu geben imstande ist, der Angestellte wird mehr fordern, als er zu bekommen glaubt. Am Ende steht eine Summe irgendwo dazwischen. In der Debatte um den Umgang mit ukrainischen Geflüchteten dürfte das realistisch angestrebte Ziel von Dobrindt und Co. eher vage lauten: Sympathiepunkte bei denen sammeln, die glauben, langsam müsse mal gut sein mit der Solidarität.

Bis hierher ist der Streit um Bürgergeld und Abschiebungen eine innenpolitische Verirrung. Der Streit ist allerdings einer, der von eher überraschender Seite angeheizt wird – nämlich aus der Ukraine selbst. Es begann zeitlich ziemlich genau damit, dass die Regierung um Präsident Wolodymyr Selenskyj die Mobilmachung im Land verschärfte. Männer durften die Ukraine seit Kriegsbeginn ohnehin nur unter bestimmten, recht engen Voraussetzungen verlassen. Mittlerweile muss fast jeder halbwegs junge Ukrainer damit rechnen, zum Kriegsdienst eingezogen zu werden. Seitdem häufen sich die Berichte darüber, dass Männer zum Beispiel in Kiew kaum noch die Wohnung verlassen und die Tür nicht mehr öffnen, weil sie fürchten, zwangsrekrutiert zu werden. Andere flüchten illegal aus dem Land. Das mag in der Ukraine ein Verbrechen sein. Als Kriegsdienstverweigerer Asyl in einem anderen Land –  etwa Deutschland – zu suchen, ist es nicht. 

Selenskyjs Druck auf die Bevölkerung

Strategisch war diese Entscheidung notwendig. Der Ukraine gehen die Soldaten aus, weil sie an der Front reihenweise getötet werden. Der Westen bleibt zögerlich, was die Lieferung von Waffen und Munition angeht. Kämpfer an der Front fühlen sich verheizt. Die Stimmung im Land wird schlechter, zumal die ausgesetzte Präsidentschaftswahl und jüngere Berichte über Repressionen gegen Journalistinnen und Journalisten nicht gerade helfen. Und dann entschied die Regierung auch noch, ukrainische Männer im Ausland unter Druck zu setzen, indem sie in den Konsulaten keine Papiere mehr ausgestellt bekommen. So will Selenskyj die Männer ohne Pässe ins Land zurückholen, um sie dort zu mustern und einzuziehen.  

Bei den Ukrainerinnen und Ukrainern im Exil kam das gar nicht gut an, und es gibt bislang auch keine Hinweise darauf, dass das Gesetz ernsthaft positive Auswirkungen auf die Mobilisierung hat. Stattdessen hatte die Ankündigung einen ungewollten außenpolitischen Effekt. Sie ist eine Steilvorlage für Dobrindt und Co. Selenskyj hat selbst das Bild vom Drückeberger skizziert, das dann zunächst die FDP (Bürgergeld) und dann Dobrindt (Abschiebungen) ziemlich grell ausmalten. 

Was Selenskyj dabei unterschätzt hat, war die Wahrnehmung, wie sich dieses Bild auf das ganze Land ausweiten würde. Die ohnehin schon zaghafte Unterstützung der Ukraine ließ sich im Westen viel leichter verkaufen, als es um die tapferen Verteidiger der Demokratie und Europas ging. Aber Geld und Waffen an eine Bande von angeblichen Drückebergern, das ist politisch schwer zu argumentieren.  

Die Wirkung von Symbolen unterschätzt

Natürlich stimmt dieser Eindruck nicht. Es ist eine irrsinnig naive Schwarz-Weiß-Einteilung der Welt, zu glauben, die Ukraine bestünde nur aus mutigen Patrioten oder aus feigen Fahnenflüchtigen. Mit solchen Schablonen lässt sich allerdings Stimmung machen, und mit Stimmung lässt sich Politik machen. Das nennt man Soft Power.  

Erstaunlich ist nur, dass ausgerechnet Selenskyj dieser strategische Fehler unterläuft. Er war es schließlich, der wenige Stunden nach Beginn der russischen Invasion und dem befürchteten Sturm auf Kiew Videos von sich und seinen Ministern ins Internet postete und damit das Signal aussendete: Wir sind hier, wir bleiben und wir kämpfen. Selenskyj, der in einem früheren Leben mal Schauspieler und Komiker war, weiß um die Wirkung von Symbolen und Pointen. Er hob sich ab von so vielen Despoten und Oligarchen der Vergangenheit, die lieber das Weite suchten und es sich im Exil gut gehen ließen, statt für etwas einzustehen.  

Man kann kaum überschätzen, wie wichtig dieses Signal in den ersten Kriegstagen für die Ukraine war. Zweieinhalb Jahre nach der großen russischen Offensive scheint dem Präsidenten das Gespür für solche Signale abhandengekommen zu sein. Die traurige Pointe ist, dass nun ganz andere Politclowns diese Leerstelle auszufüllen versuchen – und sei es nur mit hanebüchenen Forderungen nach Abschiebungen. 

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