Arzt in Magdeburg rettet Jungen: "In Afghanistan hätte er nicht ...

3 Stunden vor
Afghanistan
Seit 2002 organisiert der Verein "Kinder brauchen uns" medizinische Hilfe für Kinder aus Afghanistan.Es geht um lebensrettende Eingriffe, die in der Heimat der Kinder nicht oder nur schwer möglich werden.Auch der Magdeburger Chefarzt Salmai Turial, selbst geboren in Afghanistan, engagiert sich.

Omars schelmisches Lächeln mag gar nicht verschwinden. Der Zehnjährige ist ein ganz normaler Junge: Er liebt es, mit dem Auto zu fahren, erkundet die Gegend, mag Schattenspiele. Noch vor einem Jahr hatte Omar Angst. Angst, dass beim Schlafen der Hautsack platzt, in dem er seine Organe vor dem Bauch mit sich trug. Das hat er Rona Nawabi erzählt, die – wie er – aus Afghanistan stammt und ihn zur Behandlung nach Deutschland geholt hat.

Nabelschnurbruch – anderswo ein Todesurteil

Omar war mit einem Nabelschnurbruch geboren worden. Seine Leber, ein Teil des Magens und der Därme befanden sich nicht im Bauch, sondern in einem Hautsack außerhalb des Bauchs. Die Bauchspalte ist ein Defekt, der zwischen ein- bis zweimal bei 10.000 Neugeborenen auftritt. Hierzulande wird das wie in den meisten Ländern der Welt gleich nach der Geburt operiert.

"In ärmeren Ländern oder Ländern mit nicht so guter medizinischer Versorgung werden die Kinder nach Hause geschickt. Mit dem Ziel, sie sterben zu lassen", weiß Salmai Turial. Auch er kommt aus Afghanistan, studierte in der Tschechoslowakei und der DDR Medizin und promovierte hier. Heute ist er Chefarzt in der Abteilung für Kinderchirurgie, Kindertraumatologie und Kinderurologie der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg.

In Afghanistan hätte er nicht überlebt.

Ein Jahr Vorbereitung auf die OP

Omar gehört zu den wenigen, die den Defekt auch ohne Behandlung überlebten. Doch immer trug er den Hautsack vor dem Bauch, immer lebte er mit Angst. Der Verein "Kinder brauchen uns – Kinderluftbrücke Kabul-Hamburg" wurde auf Omar aufmerksam. Der Verein organisiert seit mehr als 20 Jahren medizinische Hilfe für Kinder aus Afghanistan. Mit Spenden und ehrenamtlichem Engagement werden Kinder wie Omar Wali in Afghanistan entweder vor Ort operiert oder nach Deutschland geholt.

Salmai Turial nimmt regelmäßig Urlaub, um Kindern in seinem Heimatland zu helfen. "Wir hätten auch Omar in Afghanistan operieren können", sagt der Kinderchirurg, "aber er hätte dort nicht die postoperative Versorgung erhalten können, die er gebraucht hätte. Er hätte nicht überlebt." Rona Nawabi organisierte den Flug, suchte in Deutschland nach Behandlungsmöglichkeiten und einer afghanischen Pflegefamilie. Beides fand sie in Magdeburg. Vor einem Jahr begannen die Vorbereitungen auf die Operation.

Verständigung mit Händen und Füßen

"Wenn ein Kind einen Teil seiner Organe außerhalb des Bauchraums trägt, dann entwickelt sich dieser Bauchraum ja nicht", beschreibt Salmai Turial die Herausforderung der Behandlung. Um Platz für die Organe zu schaffen, musste der Bauchraum geweitet und anschließend die Bauchdecke so zusammengesetzt werden, dass sie nicht wieder aufreißt.

Auch für Anästhesistin Selinde Mertz war die Operation etwas Besonderes. Sie und ihr Team wollten dem Jungen keine angstlösenden Mittel verabreichen. Ihm die Angst vor der OP auch so zu nehmen, war jedoch wegen der Sprachbarrieren schwierig. "Omar sprach damals so gut wie gar kein Deutsch", erzählt die Oberärztin, "aber dadurch, dass er uns schon von der Station kannte und wir uns mit Hand und Fuß verständigt haben, konnten wir auch Witze machen. Er hat auch gelacht und ist lachend eingeschlafen." Aufgewacht sei er dann "ohne dieses Problem", lacht Rona Nawabi.

Zusammenarbeit auch mit den Taliban

Der Verein "Kinder brauchen uns" hat seit Anfang der Zweitausenderjahre eigenen Angaben zufolge bereits mehr als 400 Kindern helfen können. Das geht nicht ohne die Unterstützung in Afghanistan. "Uns werden Operationsmöglichkeiten bereitgestellt. Wir erhalten auch jede sonstige Unterstützung", berichtet Salmai Turial, der sich für seine Besuche in Afghanistan wegen der streng religiösen Taliban stets einen Bart wachsen ließ. In diesem Jahr nicht, weil ihm versichert wurde, dass das nicht nötig sei. "Es hat mich auch niemand angesprochen", versichert er und berichtet, dass im Nordosten des Landes, wo er operiert habe, auch Frauen ganz normal arbeiteten. Das widerspricht dem Bild, was wir hierzulande von Afghanistan haben.

Wenn man die Armut und Probleme sieht, wird einem klar, wie gut es uns hier geht.

Die Universität in Magdeburg unterstützte die Operation, sicherte die Kostenübernahme aus humanitären Gründen zu. Auch Salmai Turial überlegte nicht lange und sagte sofort zu, als die Anfrage kam. "Uns geht es hier sehr gut", beschreibt er seine Beweggründe. "Erst wenn man draußen ist, wo Krieg ist und man die Armut und Probleme sieht, wir einem klar, wie gut es uns hier geht. Mein Motiv ist es, ein Stück davon zurückzugeben. Vor allem den Kindern, denn ich bin ja Kinderchirurg". Omar kann Ende Oktober wieder zurück nach Afghanistan. So wohl er sich auch hier fühlt, so viele Freunde, wie er hier gewonnen hat – er vermisst seine Familie und freut sich auf zu Hause.

Abschied von den kleinen Patienten – aber der Kontakt bleibt

Der Verein hat zu vielen der kleinen Patienten auch später noch Kontakt und verfolgt, was aus ihnen wird. Einige von ihnen erlangen im spendenfinanzierten Steinhaus in Kabul eine Schulbildung. Das ist eine Einrichtung für betreutes Wohnen und Lernen für Kinder aus armen Familien. Allerdings mussten die Mädchen das Steinhaus wieder verlassen, nachdem die Taliban die Macht im Land wieder übernommen haben.

Omar hat sich vorgenommen, Pilot zu werden. Vielleicht wird er eines Tages andere Kinder von Afghanistan zur Behandlung nach Deutschland fliegen.

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