Reaktionen auf AfD-Sieg: Schuld sind vor allem die Anderen

Die Linkspartei hat ihre Beinfreiheit am Montag ausgiebig genutzt. Da sie weder Mitglied der Ampelkoalition ist noch Rücksicht auf die CDU nehmen muss, hat sie gleich zwei Schuldige benannt dafür, dass im thüringischen Sonneberg am Sonntag erstmals in Deutschland ein AfD-Politiker zum Landrat gewählt worden ist. „Zuallererst“ habe es eine „sehr große Unzufriedenheit mit der Politik der Bundesregierung“ gegeben, sagte der Linke-Vorsitzende Martin Schirdewan im ZDF. Als Beispiel nannte er das Gebäudeenergiegesetz, das die Ampel gerade in einem zweiten parlamentarischen Anlauf fertigzustellen versucht.

Zudem gebe es aber ein „Riesenproblem“ mit dem Verhalten von CDU und CSU „und auch der FDP teilweise“, weil diese der „AfD den roten Teppich manchmal ausrollen“. Nämlich, so fuhr Schirdewan fort, indem sie „ihre Sprüche übernehmen, indem sie ihre Politik übernehmen, beim Klimawandel zum Beispiel, bei der Migrationspolitik oder auch in Fragen gendergerechter Sprache“.

Damit waren so viele Gründe und Verantwortliche für die Entscheidung der Wähler in Sonneberg genannt, dass der Erkenntnisgewinn gering blieb. Warum die vor allem im Osten verankerte Partei Die Linke es nicht geschafft hat, den enormen Zulauf zur AfD zu verhindern, wurde jedenfalls nicht beantwortet.

SPD zeigt zumindest Spuren von Selbstkritik

Überraschender äußerte sich die SPD-Vorsitzende Saskia Esken. Sie teilte nicht nur gegen die Konkurrenz aus, sondern ließ zumindest Spuren von Selbstkritik erkennen. Die Politik der Ampel sei in letzter Zeit „nicht nur schlecht erklärt, sondern auch schlecht organisiert“ gewesen. Allerdings ließ Esken auch die Union nicht ungeschoren davonkommen und forderte sie auf, zu einer „konstruktiven Oppositionspolitik zurückzukehren“. Die SPD-Chefin bestritt, dass es sich bei der Wahl des AfD-Landrats um „eine reine Ostproblematik“ handele.

Die Union verortete die Verantwortung für die Wahl Robert Sesselmanns vor allem bei der Ampel. „In Sonneberg hat die beispiellose Unzufriedenheit mit der Bundespolitik sich ein Ventil gesucht und gefunden“, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag, Thorsten Frei (CDU), der F.A.Z. Mit Blick auf das Bemühen der anderen Parteien, gemeinsam die Wahl des AfD-Bewerbers zu verhindern, äußerte er, auch ein „aus der Not geborener kurzfristiger überparteilicher Schulterschluss“ habe die Auswirkungen der Unzufriedenheit nicht mehr eindämmen können und eher eine Abwehrreaktion hervorgerufen. Wer bislang geglaubt habe, „der Wähler werde es schon nicht wagen, ist spätestens am Sonntagabend unsanft von der Realität eingeholt worden“.

Als Rezept empfahl Frei, die unterschiedlichen politischen Konzepte und Alternativen „klar konturiert“ herauszuarbeiten. Nur so werde man der AfD erfolgreich begegnen können. „Es wäre falsch, bestimmte Themen nicht anzusprechen, nur weil sie auch von der AfD thematisiert werden.“ Die Politik müsse „von den Bürgern her denken und überzeugende Lösungen für die Herausforderungen anbieten, die sich aus ihrer Sicht stellen“, äußerte Frei.

„Die Bundesregierung spaltet das Land“

Ähnlich eindeutig wie er wies auch CDU-Generalsekretär Mario Czaja die Verantwortung für den Wahlausgang der Ampelkoalition zu. Die AfD habe im Wahlkampf in Sonneberg viele bundespolitische Themen bearbeitet, sagte Czaja dem Fernsehsender Phoenix. „Die Bundesregierung spaltet das Land. Sie hat zu viele Themen und Vorschläge, die im Land nicht auf Konsens stoßen.“

Nur selten führte die Suche nach den Ursachen des AfD-Sieges am Tag danach weiter als bis zum kurzatmigen Parteienstreit. Für einen Moment ließ Czaja den Blick auf die Vorgänge etwas grundsätzlicher werden. In Ostdeutschland würden bundespolitische Themen schon immer eine große Rolle spielen, sagte der CDU-Generalsekretär, der zumindest insofern aus Erfahrung sprechen kann, als er die DDR noch als Jugendlicher erlebt hat. Die Menschen dort hätten bereits mehr Veränderung erlebt als die Bürger in den westlichen Bundesländern. Dieser Veränderungsdruck führe dazu, dass es im Osten ein besonderes Augenmerk dafür gebe, ob in Berlin alles gerecht zugehe und Maß und Mitte gewahrt würden.

Die zu den Grünen gehörende Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt, die wie Czaja in der DDR aufwuchs, schaltete im „Tagesspiegel“ auf Parteienkampf. Wenn Teile der Union „einen Kulturkampf“ ausriefen, müsse man sich nicht wundern, wenn dieser Kampf „von rechts“ angenommen werde.

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