Adele in München: Bier, Schweiß und Tränen

3 Aug 2024

Beim ersten von zehn Konzerten in einer eigens gebauten Arena zeigte sich Adele ehrlich überwältigt. Unterstützt von beeindruckender Technik zog sie eine glamouröse Show ab. Bei der umliegenden „Adele World“ handelt es sich um einen raffinierten Marketingschmäh.

Adele - Figure 1
Foto DiePresse.com

Ausatmen, Adele, ausatmen. Die englische Pop-Diva muss sich erst einmal sammeln. Phu. Die ehrliche Überwältigung ist ihr ins Gesicht geschrieben, als sie mit glänzenden Augen in die Menge blickt. Ihre Menge. Mit ihrem Song „Hello“ hat sie in München an die 74.000 Fans begrüßt, jetzt kämpft sie sich über den von einem vorabendlichen Platzregen nassen Laufsteg zur Bühne vor. Und gesteht, vorne angekommen, erstmal ihre Nervosität: „I underestimated how fucking scared I am!“

Konzerte in solcher Größenordnung wollte sich die Sängerin eigentlich nicht mehr antun. Sie hat es sich stattdessen in Las Vegas gemütlich gemacht: Dort spielt die Tournee-unfreudige Adele seit eineinhalb Jahren fast jedes Wochenende vor 4000 Menschen, „Residency“ heißt dieses Konzept, und dass das auch in Stadiongröße möglich ist, soll ihr Gastspiel in München zeigen. Eine gigantische Arena und rundherum eine „Erlebniswelt“ namens „Adele World“ wurden dafür extra ins Münchner Messeareal gebaut.

Wobei der wichtigste Faktor, damit sich das nicht wie ein unpersönliches Massenspektakel anfühlt, Adele selbst ist: Wenn sie sich nicht gerade eine Powerballade nach der nächsten von der von Liebesweh geschundenen Seele schmettert, scherzt und plaudert sie wie eine gesprächige Urlauberin an der Weinbar und trinkt aus ihrem tönernen Bierkrug. Gleich zu Beginn steckt sie sich das Mikro in den Ausschnitt ihres nachtblauen Abendkleids, um sich die Schleppe von der Taille binden zu können: Weg mit dem nassen Fetzen! „Look at it dripping!“

Ein Volksfest in Schwarz-Gold

Da kann man sich fast vorstellen, wie Adele ihre Anfänge in Londoner Pubs gestaltet haben könnte, witzelnd und fluchend und saufend und zwischendurch dramatisch trällernd auf Barhockern. Das „The Good Ship“, in dem sie frühe Auftritte absolviert hat, soll für die „Adele World“ originalgetreu rekonstruiert worden sein, war vorab in Medienberichten zu lesen – zu finden war es am Eröffnungstag nicht. Stattdessen aber ein blau vertäfeltes Bar-Hütterl mit der Aufschrift „Duke of Wellington“ – im gleichnamigen West Londoner Pub hat Adele ihren ersten Plattenvertrag unterschrieben. Welcher denn Adeles Lieblingsdrink sei, den man hier angeblich bekommen könne, weiß der Barkeeper auch nicht. Er hat Bier, Radler, und „Weinschorle“.

Es ist ein raffinierter Marketingschmäh, diese vom steirischen Konzertveranstalter Klaus Leutgeb ersonnene „Adele World“, die im Grunde eine Fress- und Verkaufsmeile ist, üppig dimensioniert für ein Stadionkonzert, längst normal bei Festivals. Es gibt Crepes, frittierte Tortellini, einen Biergarten und ein Kettenkarussell. Dazu eine Telefonzelle für Selfies (so british!), Kunstrasenplatzerln zum Verweilen (fast britisch) und ein schwarz-goldenes Farbschema, das diesem Volksfest ein etwas edleres Antlitz gibt. Und gut zum fein herausgeputzten Publikum passt, manche Besucherin ist gar im Abendkleid gekommen. Man ist hier schließlich bei der glamourösesten der derzeit regierenden Pop-Königinnen.

Adele - Figure 2
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Adele in München. Kevin Mazur

Dass man deren dramatischen Lidstrich und die Klunker auf ihren Ohrringen aus gefühlt nächster Nähe begutachten kann, ermöglicht eine Leinwand, mit der die Veranstalter neue Konzertstandards setzen wollen: 220 Meter lang und 17 Meter hoch, gebogen und mit Türmen an den Seiten, gibt dieser geniale Mega-Screen dem Bühnenbild die Optik einer überdimensionalen Schriftrolle. Gestochen scharf und riesengroß ragt Adeles Torso über die Menge. Mal verwandelt sich die Leinwand in einen Sternenhimmel, mal in eine Filmrolle, die Babyfotos des Popstars abspult. Zwischendurch scheinen die Produzenten vergessen zu haben, dass so eine Leinwand nicht nur Bühnenbild ist, sondern für die meisten Besucher auch die einzige Möglichkeit, Adele tatsächlich sehen zu können: Zum Hit „Set Fire to the Rain“ hätte man zu Adeles Live-Gesang lieber auch ihr Live-Bild gesehen, als ein Video aus der Konserve, in dem sie im strömenden Regen schmachtet.

Stimmlich schaltet sie, einmal gestartet, keinen Gang mehr runter. Nach dem dunkel rumpelnden „Rumour Has It“ folgt mit „I Drink Wine“ ein erstes Song-Highlight. „Why am I seeking approval from people I don‘t even know?“, fragt sich Adele in dieser souligen Ballade aus ihrem jüngsten Album „30“. Das Lied „Send My Love (To Your New Lover)“ sei all ihren Ex-Freunden gewidmet, von denen gebe es viele. Es sei ein „very nice Fuck You“, und Adele singt es, als meinte sie es auch. Mit echten Gefühlen geht sie nicht sparsam um.

Glücksspiel und Heiratsantrag

Eher pflichtschuldig absolviert werden die Show-Elemente, die so ein Arena-Konzert offenbar haben muss. Man will den Tausenden, die hier mitunter 400 Euro für ihre Karten gezahlt haben (die Preise variierten und sanken zwischendurch wieder, was manche Käufer verärgerte, aber das ist eine andere Geschichte), ja etwas zurückgeben. Also sucht sich Adele ein Kind, um es auf die Bühne zu holen, ihm verzichtbare Fragen zu stellen (Name? Alter? Anreise angenehm?) und ihm ein Sackerl mit Merchandise-Produkten zu schenken. Später wird sie T-Shirts in die Menge ballern – mit erstaunlichem Ehrgeiz, was die perfekte Flugbahn angeht – und einen kleinen Zettel aus ihrem Strumpf fischen, auf dem die Nummer eines Sitzplatzes steht, auf dessen Unterseite 50 Euro in einem Gefrierbeutel angeklebt sind. Glücksrad und Bingo-Tafel kommen vielleicht bei der nächsten Show zum Einsatz. Ist es das, was Las Vegas aus einer Musikerin macht?

Unterhaltsamer sind die offenbar spontanen Sager, die Adele im Austausch mit dem Publikum entfahren. „Oh, I‘d love to help you propose!“, reagiert sie auf ein Schild und dirigiert sodann den Heiratsantrag eines Mannes. Licht, Kamera, alle anderen aus dem Weg! 17 Jahre ist der Glückliche mit seinem Partner schon zusammen, brüllt er in Richtung Bühne und bricht in Tränen aus. „Oh, look, he‘s an emotional wreck!“, freut sich Adele.

Adele in München. Kevin Mazur

Dann plaudert sie wieder („Hat noch jemand gestern die Olympics geschaut?“), gibt Alltagstipps (zu jedem Glas Bier ein Glas Wasser!) und liefert gesanglich pure Dramatik. Von der Bühnentechnik abgesehen, ist ihre Performance radikal reduziert: Keine Outfit-Wechsel, keine Tänzerinnen, nur ein kleiner Background-Chor glitzert ein bisschen. Einen guten Part absolviert sie nur mit Klavierbegleitung auf einer kleinen Bühneninsel. Der Laufsteg, der sich ringförmig ums Parkett windet (und für dessen Umrundung Adele sich zwei Lieder lang Zeit nimmt) spuckt Nebelfontänen, Konfetti und ein Streichensemble aus. Im Finale, beim treibenden „Rolling In The Deep“, kriegen auch die Brandschutzbeauftragten einiges zu tun.

„Die Depression ist ein Teil von mir“

Zuvor singt Adele noch voller Hingabe ihr „Someone like you“, diese schmerzhaft schöne Ballade mit der traurig-trotzigen „Ist schon gut, verlass mich nur“-Botschaft. „This song changed my life“, sagt Adele. Als sie das Lied schrieb, mit 21, sei sie an dem bis dahin tiefsten Punkt gewesen. „Ich wünschte, ich könnte meinem jüngeren Ich sagen: Es wird noch schlimmer!“, lacht sie. Die Depression sei ein Teil von ihr. Das Schöne: Traurige Lieder kann man auch singen, wenn man glücklich ist. Lebensrat von Adele. Das Publikum singt für sie, sie lächelt mit nassen Augen zurück.

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