Achtsam morden: Originalität ist nicht alles

2 Nov 2024
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Stand: 02.11.2024, 05:11 Uhr

Von: Reinhard Prahl

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Mit der Krimiserie „Achtsam morden“ nehmen sich Doron Wisotzky und sein Autorenteam bei Netflix des gleichnamigen Romans von Karsten Dusse an und legen in den ersten beiden Episoden einen guten Start hin - mit Luft nach oben.

Achtsam Morden - Figure 1
Foto serienjunkies.de

Spoilerwarnung - diese Meldung kann Hinweise auf die Fortführung der Handlung enthalten!

Das passiert in der Serie „Achtsam morden“

Björn Diemel (Tom Schilling) ist gestresst. Von seinem Arbeitgeber ständig bei der Vergabe von Beförderungen übergangen, ist er dazu verdammt, für eine große Anwaltskanzlei die Drecksarbeit zu erledigen. Sein größter Mandant ist der Clanchef Dragan Sergowicz (Sascha Alexander Gersak), der sein Geld mit Drogen, Prostitution und Waffenhandel verdient. Als dieser jedoch eines Tages einen Konkurrenten auf recht unglückliche Art den Garaus macht und dabei von einer ganzen Busladung voller Schüler gefilmt wird, bricht das Chaos endgültig über Schilling herein.

Gerade hatte er noch einen Achtsamkeitskurs belegt und ist nun darauf fokussiert, sein kaputtes Familienleben in den Griff zu bekommen, nun hat er einen Mörder im Kofferraum, der ihn dazu zwingt, ihn aus der Stadt zu schmuggeln. Doch plötzlich kommen Tom die Lehren seines Seminars in den Sinn. Statt Dragan aus dem immer heißer werdenden Kofferraum zu befreien, verbringt er lieber einen schönen Tag mit seiner Tochter - und entschließt sich dazu, alles und jeden zu beseitigen, der sich zwischen ihm und seine neue gewonnene Achtsamkeit stellen will, inklusive der anschließenden Verhäckselung von Dragans Leiche - und jeder anderen, die von nun an auf sein Konto geht...

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Skurriler geht immer

Tom Schilling auf einem Szenenfoto aus der Serie „Achtsam Morden“ © Netflix

Wenn man einen Roman wie „Achtsam morden“ von Karsten Dusse verfilmt, muss man über eine gehörige Portion schwarzen Humors verfügen. Schaut man sich die ersten beiden Episoden der bei Netflix zu sehenden achtteiligen Serien-Adaption an, kommt man entsprechend zu dem Schluss, dass das Autoren-Team Doron Wisotzky, Michael Kenda und Anneke Janssen ihre Hausaufgaben diesbezüglich gemacht haben.

Achtsam Morden - Figure 2
Foto serienjunkies.de

Die Prämisse der Geschichte ist aber auch zu verrückt. Ein erfolgreicher Anwalt, der für einen gefährlichen Bandenboss die Drecksarbeit macht, absolviert ein Achtsamkeitsseminar und nimmt die daraus gezogenen Lehren so wörtlich, dass er zum Massenmörder und Drahtzieher einer Drogen-, Waffen- und Prostitutionsmafia wird. Das klingt zunächst einmal völlig skurril, ist aber nicht abgedrehter als beispielsweise Guy Ritchies Kracher-Miniserie The Gentlemen, in der ebenfalls ein gut situierter, unbescholtener Bürger zu einem kühl agierenden Verbrecher mutiert...

Manchmal zu viel

Szenenfoto aus der Serie „Achtsam Morden“ © Netflix

Nicht, dass „Achtsam morden“ hier wirklich mithalten könnte, dennoch ist es erfreulich, dass sich deutsche Filmkreative endlich auch an die ungewöhnlicheren Stoffe heranwagen. In den ersten beiden Folgen mit den Titeln Atmen und Glück gelingt das dank innovativer Kameraführung, einem herrlich stinknormalen Tom Schilling und beinahe surreal dargestellten Figuren wie Björns Achtsamkeitslehrer auch recht gut, wenn auch nicht perfekt.

Nervig sind zum Beispiel die ständigen Kommentare und Erläuterungen aus dem Off seiner Figur Björn Diemel, von denen es im Verlauf einfach zu viele gibt. Das drückt trotz der an sich kurzen und knackigen Episodenlänge schon zu Beginn der Serie auf die Atmosphäre, zumal man ehrlicherweise zugeben muss, dass Tom Schilling zwar gut spielt, aber nicht unbedingt auch gut spricht. Abgesehen davon legt die Serie aber einen unterhaltsamen Start hin.

Diemel ist ein erfolgsorientierter Yuppie, der im Laufe seiner Karriere nicht nur seine Prinzipien, sondern auch sein Familienleben über Bord geworfen hat, um bei den Chefs in der Kanzlei trotzdem wie ein fünftes Rad am Wagen behandelt zu werden. Die Sekretärin der Bosse schasst ihn und er wird regelmäßig bei Beförderungen übergangen. Dafür halst man ihm im wahrsten Sinne des Wortes die Drecksarbeit auf, mit denen die Kanzlei reich wird.

Achtsam Morden - Figure 3
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Doch auch Diemel profitiert finanziell von der Tatsache, dass er seinen Arbeitsalltag damit verbringt, Geld für den Mafioso Dragan zu waschen, dessen Kumpanen rauszuhauen, wenn sie verhaftet werden und dafür zu sorgen, dass die illegalen Geschäfte seines Mandaten problemlos über die Bühne gehen. Erst, als seine Frau ihm das Ultimatum setzt, einen Achtsamkeitskurs zu belegen und so zumindest die Beziehung zu seiner Tochter zu retten, reagiert Diemel.

Die Szenen mit dem Achtsamkeitstrainer Joschka Breitner (Peter Jordan) sind herrlich schräg und geben uns einen Vorgeschmack darauf, wie Diemel von nun an mit seinem Leben umzugehen gedenkt. Das Ergebnis entspricht freilich nicht unbedingt den Vorstellungen seines Lehrers, ist aber dafür umso unterhaltsamer, zumal Breitner in den unpassendsten Situationen in Form von Flashbacks immer mal wieder auftaucht und uns damit eine - wenn auch im Kontext betrachtet abgedrehte - Erklärung für die Taten seines Schülers liefert.

Im Verbund mit den bereits angesprochenen Kommentaren Diemels aus dem Off und dem einen oder anderen Umschnitt kann man sich aber wiederum manchmal des Eindrucks nicht erwehren, dass die Serienmacher oft immer noch eins drauflegen wollten - und es damit letztlich manchmal übertreiben. Lustig sind derartige Einschübe aber trotzdem und daher auch ein probates Mittel, um den zynischen Ton der Geschichte aufrechtzuerhalten.

Wie geht es weiter?

Die ersten beiden Folgen kommen also trotz der oben erwähnten, allerdings geschmacklich bedingten, Einschränkungen ebenso locker wie flott daher und sorgen für Unterhaltung. Wenn Dragan im Internet mit einem Video viral geht, in dem er die rechte Hand seines Konkurrenten anzündet und mit einem Brecheisen erschlägt, oder wenn Diemel Dragans Leiche zersägt und zerhäckselt, ist das alles tiefschwarz arrangiert und sehenswert.

Die große Frage ist, ob die Serie das Niveau über acht Episoden aufrechterhalten kann oder ob sie irgendwann redundant und repetitiv wird. Auch scheint sich ein Überhang an Dialogen anzudeuten, der dem bisher angemessenen Tempo durchaus schaden könnte. Es wäre zudem wünschenswert, Diemels Kommentare aus dem Off zu reduzieren und sich auf die immer verrückter werdende Handlung im Sinne von „show, don't tell“ zu konzentrieren. Wenn „Achtsam morden“ diesen Spagat hinbekommt, erwarten uns unterhaltsame 250 Minuten Laufzeit.

Fazit

Björn Diemel aka Tom Schilling am Strand mit seiner Serientochter in „Achtsam Morden“ © Netflix

Achtsam morden kommt nicht an thematisch ähnlich gelagerte Formate wie „The Gentlemen“ heran, legt in den ersten beiden Episoden aber einen guten und unterhaltsamen Start hin. Tom Schilling mag nicht der begnadetste Sprecher sein, er ist aber genau der Björn Diemel, den man sich nur wünschen konnte. Emily Cox als seine Ehefrau Katharina ist im positiven Sinne wunderbar unauffällig und repräsentiert die „ganz normale Ehefrau und Mutter“ glaubwürdig.

Den kurzen Auftritt von Sascha Alexander Gersak als Dragan bedauert man aufgrund der Spiellaune des Mimen zudem geradezu. Inszenatorisch setzt die Serie sicherlich keine neuen Maßstäbe, traut sich aber, aus der deutschen Krimiroutine auszubrechen und dem eigenwilligen Plot damit gerecht zu werden. Bleibt nur noch die Hoffnung, dass die Serienmacher genauso weitermachen und sich nicht in endlosen Dialogen und Voice-Over-Kommentaren verlieren.

Wir vergeben daher vier von fünf Häckselmaschinen.

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