Frankreich: Abbe Pierre: Vatikan kannte Missbrauchsvorwürfe seit ...

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Frankreich

Der Vatikan war nach Hinweisen aus französischen Archiven schon deutlich früher als bisher bekannt über das problematische Verhalten des katholischen Geistlichen Abbe Pierre informiert, dem kürzlich zwei Dutzend Frauen sexuelle Gewalt vorgeworfen haben.

Abbé Pierre - Figure 1
Foto ORF Religion

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Bereits 1959 habe demnach der Vatikan dem Geistlichen befohlen, eine geplante Reise nach Kanada abzusagen. Das geht aus einem Schreiben der Apostolischen Nuntiatur an die französische Bischofskonferenz hervor, das sich in dem seit Kurzem zugänglichen kirchlichen Archiv in Issy-les-Moulineaux findet. Papst Franziskus hatte nach Bekanntwerden der teils schweren Vorwürfe eingeräumt, dass der Vatikan seit dem Tod des in Frankreich sehr beliebten Abbe Pierre 2007 von den Vorwürfen gehört habe.

Die französische Bischofskonferenz hatte eine vorzeitige Öffnung der kirchlichen Archive angekündigt. Dort fanden sich nach Recherchen von Journalisten nun zahlreiche Hinweise auf einen regen Briefwechsel unter französischen Bischöfen, die vor dem problematischen Verhalten des Geistlichen warnen – ohne allerdings je auf die genaue Natur des Verhaltens einzugehen.

„Junge Mädchen" mit lebenslangen Schäden“

In einem Schreiben von 1964, das vermutlich der Generalsekretär der Bischofskonferenz verfasst hat, ist davon die Rede, dass Abbe Pierre „jede Kontrolle über sich verloren“ habe. „Junge Mädchen haben lebenslange Schäden davongetragen“, heißt es weiter.

Der französische Priester Abbe Pierre, 1954

„Wir müssen davon ausgehen, dass all dies bekannt werden kann und die Öffentlichkeit sich dann wundern wird, dass die katholische Hierarchie immer Vertrauen in Abbé Pierre hatte“, heißt es in einem Schreiben von 1958.

Mehrere Minderjährige betroffen

Gegen Abbe Pierre waren im vergangenen Sommer Vorfälle sexueller Gewalt bekannt geworden, die sich zwischen den 1950er und den 2000er Jahren ereignet haben sollen. Mehrere der betroffenen Frauen seien zum Zeitpunkt der Geschehnisse minderjährig gewesen, berichtete Anfang September ein Gremium, das von der Stiftung Abbe Pierre und von Emmaus mit der Untersuchung beauftragt worden war.

Die Vorwürfe hatten in Frankreich eine Schockwelle ausgelöst. Abbe Pierre, der 2007 im Alter von 94 Jahren gestorben war, hatte über Jahrzehnte zu den beliebtesten Persönlichkeiten in Frankreich gehört.

In Widerstandsbewegung aktiv

Die Stiftung Abbe Pierre sicherte den Betroffenen ihre „völlige Unterstützung“ zu und kündigte an, nicht mehr den Namen ihres Gründers tragen zu wollen. Das Hilfswerk Emmaus, das heute in mehr als 40 Ländern aktiv ist, schloss einen Gedenkort für den Priester im französischen Esteville.

Der 1912 in Lyon geborene Henri Groues war mit 20 Jahren dem Kapuzinerorden beigetreten und später im Zweiten Weltkrieg in der französischen Widerstandsbewegung aktiv. Aus dieser Zeit stammt sein Name „Abbe Pierre“. 1949 gründete er die Organisation Emmaus, die sich um Arme und Obdachlose kümmerte.

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