Pizza zum Weltuntergang

3 Tage vor

„A Quiet Place: Day One“ ist ein Prequel von großer kultureller Symbolkraft mit schönen Bildern, das Ästhetik über Logik stellt.

A Quiet Place: Day One - Figure 1
Foto FM4

Von Natalie Brunner

Manhattan liegt in Schutt und Asche. Alle Brücken sind gesprengt worden. Blinde Kreaturen, die aussehen wie das love child des Giger-Aliens und einer Artischocke, fressen sofort alles, was auch nur einen Pieps von sich gibt. Sie jagen nach Gehör, können aber weder sehen noch schwimmen.

Menschen ziehen schweigend zur Südspitze der Halbinsel, um von Booten evakuiert zu werden. Gegen diesen Menschenstrom wandert eine magere Frau, gespielt von Lupita Nyong’o, mit einer Katze im Arm Richtung Harlem.

„A Quiet Place: Day One“ ist der dritte Film in der „A Quiet Place“-Reihe und der erste, bei dem Michael Sarnoski Drehbuch geschrieben und Regie geführt hat. Wie schon bei den Vorgängerfilmen versuchen die Protagonist:innen in einer von außerirdischen Kreaturen mit einem ausgeprägten Hörsinn übernommenen Welt zu überleben. Die ersten beiden Teile wurden von Regisseur und Schauspieler John Krasinski gemacht, der auch gemeinsam mit seiner Frau Emily Blunt in der Hauptrolle zu sehen ist. Die beiden spielen ein Ehepaar, das zumindest zwei gute Gründe hat, zu überleben: die gemeinsamen Kinder.

Pizza als Sinn des (Über-)Lebens

Samira, die von von Lupita Nyong’o gespielte Protagonistin des dritten Teils, hat sich eigentlich schon von der Welt verabschiedet. Sie lebt in einem Hospiz und wartet auf ihren Tod. Die Aussicht auf eine Pizza veranlasst die dann doch erstaunlich fitte Sterbenskranke, auf einen Ausflug des Hospizes nach Manhattan mitzukommen. Die Alien Invasion überrascht sie während des Besuchs eines Marionettentheaters. An diesem Punkt wird klar, dass in „A Quiet Place: Day One“ manches nicht ganz logisch ist und der Poesie der Bilder geopfert wird. Warum landen die Aliens nur auf der Halbinsel Manhattan, was macht das für einen Sinn, außer das tolle Bild, wenn die Brücken gesprengt werden? Keep Brooklyn alienfree?

Samira hat eine Katze, ein Servicetier, das ihr folgt wie ein Hund und weder bei Explosionen noch beim Abtauchen in die überflutete U-Bahn einen Mautz von sich gibt. Meine eigene Katze würde mich einer Alien-Horde ohne zu zögern mit lauten Beschwerde-Miaulauten ausliefern, wenn auch nur ihr Frühstück 5 Minuten zu spät serviert wird, aber die „A Quiet Place: Day One“-Katze ist gut trainiert und ein schöner Blickfang, wenn sie von der abgemagerten Lupita Nyong’o durch den Angriff der nach Sound jagenden Aliens getragen wird.

A Quiet Place: Day One - Figure 2
Foto FM4

CONSTANTIN FILM

Die Poesie des Weltuntergangs

Samira ist eine spannende Protagonistin für einen Alien-Horrorfilm, weil sie bereits mit ihrem Leben abgeschlossen hat, eine Art Geist ist, dem das Überleben prinzipiell nicht so wichtig ist - sie will nur noch ihr Stück Pizza in dem Restaurant, in dem sie die glücklichsten Momente ihrer Kindheit verbracht hat.

Eine kühle, aber nicht unempathische Beobachterin streift durch das zerstörte New York und jede ihrer Begegnungen mit anderen Überlebenden ist poetisch symbolschwer inszeniert. Mit einer I-Love-New-York-Tasche zieht sie durch die menschenleere, staubbedeckte Stadt. In einem Park trifft sie zwei Kinder, die sich hinter der Fontäne eines runden Brunnens versteckt haben, weil die Aliens sie hinter dem plätschernden Wasser nicht hören; an anderer Stelle bricht sie während dem Donner eines Gewitters ihr altes Appartement auf, um an Schmerzmittel zu kommen und um ein letztes Mal in ihrem Bett zu schlafen. Es ist eine gespenstisch poetische Apokalypse, durch die Michael Sarnoski uns da schickt.

Eine sterbende schwarze Frau, fast schon ein Geist, streift mit ihrer Katze als Beobachterin durch die Apokalypse, in ihrer Handtasche ein Notizbuch voll mit ihren Gedichten sowie ein Roman der afro-amerikanischen Sci-Fi-Autorin Octavia Butler. Octavia Butler war eine der ersten publizierten Schwarzen Science-Fiction-Autorinnen in den USA. Ihre ab den 1970er Jahren erschienenen Romane behandeln visionäre Themen wie Ungerechtigkeit gegenüber Afroamerikaner:innen, globale Erwärmung, Frauenrechte und politische Ungleichheit.

CONSTANTIN FILM

Empfehlung für Untergangsromantiker:innen

In der zweiten Hälfte des Films wird Samira von einem weißen Anwalt im Anzug, gespielt von Joseph Quinn, verfolgt, weil sie die einzige ist, die in dem ganzen Wahnsinn einen Plan zu haben scheint - und der Alumnus einer Eliteuni Sterbende für besser geeignet fürs Überleben halten dürfte.

Die beiden überleben eine Glasbruchsymphonie der Zerstörung in einem Business Tower, was wiederum sehr gut als visuelle Metapher für den Kollaps von Wirtschaftssystemen funktioniert, und waten anschließend bereits aneinandergekuschelt Richtung Uptown durch überschwemmte U-Bahn-Tunnel, die - oh Wunder - ihren Ausgang in einem Brunnen in einer Kirche haben. Es ist sehr unlogisch, aber ein schönes Bild.

Die Service-Katze ist im Wasser schwimmend, verfolgt von Monstern, immer erstaunlich ruhig. Die Pizzeria der Kindheit finden die beiden zwar nicht, aber dafür den besten Ort mit der besten Musik für das Ende der Welt. Ohne zu spoilern - genau so würde auch ich die Apokalypse verbringen und dem Ende in die Arme laufen wollen.

Wer auf Logik, Action und Überraschungen hofft, wird mit „A Quiet Place: Day One“ keine große Freude haben. Untergangsromantikerinnen wie ich eine bin werden den Film aber lieben.

Publiziert am 27.06.2024

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