"A Quiet Place - Day One" von Michael Sarnoski - Im Kino - Filmkritik ...

3 Tage vor

"A Quiet Place": Der Titel der Reihe ist auch deshalb schön, weil man ihn auf zwei Arten lesen kann: Er beschreibt einerseits das Gefängnis, das die Welt für seine Figuren geworden ist; einen Ort, an dem man leise weinen muss und nicht laut lachen darf; sich leise streiten, leise durchs Laub wandern, leise Kinder gebären, leise barfuß in einen Nagel auf einer Treppenstufe treten, mit drei Worten: leise leben muss. Zum Schutz seiner Angehörigen eventuell auch leise sterben muss.

A Quiet Place: Day One - Figure 1
Foto perlentaucher.de

Andererseits ist der "ruhige Ort" auch das, was diese Figuren suchen: die Utopie eines Ortes, an dem die bedrohliche Stille nicht immer nur die Ruhe vor dem (nächsten) Sturm wäre; an dem nicht jeder Lärm zu Gewalt, Zerstörung und zum Tod führen wird. Die Utopie eines Ortes, an dem man leise sein kann, nicht leise sein muss; an dem man, wenn man dies nicht will, oder aber wenn - noch wichtiger - die Situation es erfordert, allerlei Geräusche machen kann.

Im ersten, sehr erfolgreichen Teil der Filmreihe aus dem Jahr 2018 ging es um den Kampf der Familie Abbott mit tödlichen Wesen auf Menschenjagd, die die Erde übernehmen wollten, und ausschließlich ihr feines Gehör verwenden konnten, um ihre Opfer aufzuspüren. Die Fortsetzung aus dem Jahr 2020, die die Geschichte der Familie und ihrer Feinde weitererzählte, krankte nicht zuletzt daran, dass sie die Reduktion auf das Wesentliche, die den Vorgänger ausgezeichnet hatte, mit allerlei Erklärungen aufbrach: So erfahren wir in einer Rückblende, dass die Jäger tatsächlich von fremden Planeten auf die Erde kamen.

Das Prequel "A Quiet Place - Day One" wagt nun in mehrerer Hinsicht einen Neuanfang. Weil es - wie bereits der Titel suggeriert - um den Beginn der Invasion geht; weil die Abbotts keine Rolle mehr spielen; und auch, weil John Krasinski, auf dessen Idee die Reihe zurückgeht, nicht mehr selbst Regie führt, sondern an Michael Sarnoski übergiebt.

Die gehörlose Darstellerin Millicent Simonds als Regan, Teenage-Tochter der Abbotts, war eine der großen Entdeckungen der ersten beiden Filme, ihre Beeinträchtigung fügte Wesentliches zur Mythologie der Reihe hinzu: das Mädchen, das nicht hören kann, im Kampf mit den Kreaturen, die nicht sehen können; ein Kampf zwischen verschiedenen Modi der Weltwahrnehmung. Für Samira (Lupita Nyong'o), die Protagonistin von "Day One", ist der zentrale Konflikt ein anderer: Für sie geht es darum, im Angesicht der Apokalypse ein Leben neu schätzen zu lernen, von dem ihr nicht mehr viel bleibt; lernen wir sie doch zu Beginn in einem Hospiz kennen, wo sie, viel zu jung, auf ihren Krebstod wartet.

A Quiet Place: Day One - Figure 2
Foto perlentaucher.de

Ein geschickter Kniff der Erzählung ist das, weil er den Konflikt zwischen der - auch in der globalen politischen Situation unserer Gegenwart - dauerhaft brüchigen und bedrohten großen Welt und der nicht minder prekären "kleinen Welt", die das Leben jedes Einzelnen von uns bildet, ins Zentrum stellt. Aber auch, weil sich die Frage, die sich Samira stellt, von denen unterscheidet, um die es den meisten Protagonisten ähnlicher Filme geht: Was soll sich eine sozial isolierte junge Frau, der eher Wochen als Monate bleiben, dafür interessieren, wie es nach ihrem Tod für den Rest von uns weitergeht? Was bedeutet die Apokalypse für jemanden, für die sich an der Grunderkenntnis, bald tot zu sein, ohnehin nicht viel ändert?

Es geht also - wie stets in solchen Endzeitszenarien, nur anders, expliziter - um das Zusammenspiel des Großen und des Kleinen. Das zeigt sich nirgends besser, als in dem Plan, den Sam und ein Mitarbeiter des Hospiz für ihren gemeinsamen Ausflug in die New Yorker Innenstadt haben: ein Stück Pizza essen. Ob die Welt nun untergeht oder nicht, die letzte Pizza ihres Lebens bleibt für Sam die Priorität. In dem ausbrechenden Chaos begegnet sie Eric (Joseph Quinn), dem gegenüber sie sich zunächst schroff und abweisend verhält, der ihr aber mehr und mehr ans Herz wächst. Ein gemeinsamer Tanz der beiden, nachdem Sam endlich zu ihrem Stück Pizza kommt, ist die schönste Szene des Films.

Allerdings kann man sich fragen, ob sich die Erzählungen unserer Populärkultur durch ihre neue politische Ausrichtung wirklich so sehr verändern: Unterscheidet sich die Geschichte einer schwarzen jungen Frau, die durch die Begegnung mit einem weißen Mann in der generischen letzten Einstellung endgültig zu sich Selbst findet, wirklich so sehr von älteren Erzählungen über Männer, die Frauen retten? Geht es nicht auch hier um die zurecht kritisierte Erzählung eines "weißen Retters"?

Davon abgesehen ist "Day One" ein Film, der sich mit im Genre lang nicht mehr gesehener Faszination die apokalyptische Verheerung New Yorks ausmalt. Die Bilder der zerstörten Brooklyn Bridge sprechen Bände. Allerdings sind auch hier die politischen Untertöne, ohne die das Mainstream-Kino scheinbar nicht mehr auskommt, eher im Weg: Die Bilder der durch die verwüsteten Straßen Manhattans flüchtenden Menschenmassen werden nicht interessanter, wenn man sie so inszeniert, dass sie an die realen Krisengebiete dieser Erde erinnern.

Unterm Strich jedoch fügen sich auch im dritten "A Quiet Place"-Film der Wille, eine etwas andere Geschichte über den Überlebenskampf während der Apokalypse zu erzählen, und ein grundsolides Genre-Handwerk, das vor allem in den Action-Set-Pieces aufblüht, zu einer sehenswerten Mischung.

Nicolai Bühnemann

A Quiet Place: Day One - USA 2024 - Regie: Michael Sarnoski - Darsteller: Lupita Nyong'o, Joseph Quinn, Bryan Woods, Djimon Hounsou, Jennifer Woodward - Laufzeit: 100 Minuten.

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